9.0

MB-Kritik

Die Frau in den Dünen 1964

Drama, Thriller – Japan

9.0

Eiji Okada
Kyôko Kishida
Hiroko Itô
Kōji Mitsui
Sen Yano
Ginzô Sekiguchi
Robert Dunham
Kiyohiko Ichihara
Hideo Kanze
Hiroyuki Nishimoto
Tamotsu Tamura

Inhalt

In dem surrealen Drama wird ein Lehrer aus der Stadt bei einer Frau gefangengehalten, deren Haus in einem Sandloch stets von nachrutschendem Sand bedroht wird.

Kritik

Ihren Ursprung nahm die filmische Karriere von Hiroshi Teshigahara (The Face of Another) mit dem Dreh von Dokumentationen. Vielleicht neigt er auch deshalb bei seinem zweiten und mittlerweile bekanntesten Spielfilm Die Frau in den Dünen immer wieder dazu, die Szenerie in ruhigen, aber überaus präzisen Momentaufnahmen einzufangen. Wenn die Kamera also in solchen Augenblicken schwelgt, Insekten, Sanddünen und Körperteile aus surreal anmutenden Nähe beobachtet, dann liegt darin nicht nur der Drang der reinen Darstellung, sondern eben auch das Ziel die Natürlichkeit dieser Bilder zu unterwandern.

Dabei ist der Film äußerst erfolgreich, denn während die Sekunden verstreichen, bekommen die Abbilder zusätzlich etwas Befremdliches, eine Irritation, welche den dokumentarischen Blick herrlich konterkariert. Diese formale Ambivalenz deckt sich auch mit der inhaltlichen Vielfalt des Films, denn egal ob man diesen nun als konkrete Auseinandersetzung mit der Befindlichkeit der japanischen Gesellschaft nach dem verlorenen Krieg sieht oder deutlich weltoffener und allgemeiner deutet, die Interpretationsvielfalt des Werkes ist stets gegeben. Auch das macht Die Frau in den Dünen zu einem der faszinierendsten Werke der kompletten Filmgeschichte.

Schon eine kurze Zustandsbeschreibung der Situation offenbart den symbolträchtigen Gehalt des Films. Als ein Lehrer und Hobbyinsektologe den letzten Bus in die Stadt verpasst, bleibt ihm nichts Anderes übrig, als bei einer einheimischen Frau in der Wüste zu übernachten. Doch die freundliche Einladung war eine Falle und so sieht sich der Mann dazu genötigt, Tag für Tag nachrutschende Mengen an Sand vom Haus fernzuhalten. Teshigahara kleidet diese simple Geschichte in eindrucksvolle Bilder, welche über eine unglaublich direkte und eindringliche Wirkung verfügen. Je nach aktueller Stimmung nimmt das existenzialistische Drama horrorartige Züge an oder gibt sich leidenschaftlich romantischen Momenten hin. Und das stellenweise sogar zeitgleich, was sich auch auf die eigensinnige Atmosphäre des Films niederschlägt. Gerade diesen Wagemut lassen die meisten Filme vermissen und so liegt eine gewisse Freizügigkeit und Willkür in den Bildern, was dem Werk zu seinem treibenden Rhythmus verhilft.

So erzählt Die Frau in den Dünen in erster Linie von einem Leben abseits von Normen und Zivilisation, das sich nichtsdestotrotz gewissen Regeln und Statuten unterwerfen muss. Freiheit und Selbstbestimmung als Illusion, Leben als sinnloser Wiederholungmechanismus aus dem es kein Entkommen gibt. Und dennoch ist der Film in seiner Ehrlichkeit kein niederschmetterndes Werk, denn mittendrin keimen immer wieder jene Momente auf, die sich für Liebe und Zusammenhalt aussprechen. Ein Meisterwerk aus Sand und Schweiß, das in hypnotischen schwarz-weiß Bildern vom Leben selbst handelt, seinen Zuschauer ungefragt in eine andere Welt zieht und weit über die zweieinhalb Stunden Laufzeit begleitet.

Fazit

Ein Film, der schlichtweg nicht von dieser Welt zu stammen scheint. In Ermangelung eines geeigneten Referenzrahmens verdient es „Die Frau in den Dünen“ als einzigartig bezeichnet zu werden. In seiner Interpretierbarkeit nahezu unerschöpflich, inhaltlich vielschichtig, formal beeindruckend und dermaßen suggestiv erzählt, dass man sich für zweieinhalb Stunden wie in einem Fiebertraum verliert. Dass der Film von Teshigahara darüber hinaus unglaublich menschlich, romantisch und nicht zuletzt erotisch ist, rückt dabei fast schon in den Hintergrund.

Autor: Dominic Hochholzer
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