Inhalt
Mitten in Berlin wird Aynur von ihrem Bruder Nuri auf offener Straße erschossen. Arglos hat sie ihn zur Bushaltestelle begleitet, wenige hundert Meter entfernt in der Wohnung schläft ihr fünfjähriger Sohn Can. Wie ist es zu dieser Tat gekommen? In Nur eine Frau erzählt Aynur ihre Geschichte. Es ist die Geschichte einer selbstbewussten jungen Frau, die das Leben liebt und die genau weiß, wie sie es leben möchte. Die der Gewalt in ihrer Ehe entflieht und sich auch von ihren Brüdern und Eltern nicht vorschreiben lässt, was sie zu tun hat. Sie sucht sich und Can eine eigene Wohnung, macht eine Lehre, geht aus und lernt neue Freundinnen und Männer kennen. Sie weiß, dass sie sich damit gegen die Traditionen ihrer Familie stellt und sich selbst in Gefahr bringt, doch ihr Drang nach Freiheit ist größer. Bis die Beleidigungen und Drohungen ihrer Brüder immer ernster werden. Und es irgendwann zu spät ist.
Kritik
Mit sonnengefluteten Alltagsimpressionen aus Berlin empfängt uns Sherry Hormann (Wüstenblume). Eine Handvoll junger Damen tummeln sich dort auf den Straßen der Hauptstadt, Partnerinnen, Schwestern, Töchter, entweder auf dem Weg zur Schule, zur Arbeit oder zu Freunden. „Sie könnte ich sein, oder sie... oder sie.“, heißt es dabei aus dem Off. Nur einen Schnitt später blicken wir auf einen regungslos an einer Bushaltestelle liegenden Körper, bedeckt von einem weißen Leichentuch, während die Stimme aus dem Off fast schon salopp dazu anführt: „Aber nee, das bin ich.“ Die Frau, die dort zu uns spricht, ist Hatun Sürücu, eine 23-jährige Kurdin, die am 7. Februar 2005 von ihrem jüngsten Bruder durch drei Kopfschüsse getötet wurde. Nur eine Frau möchte sich nun als Vermächtnis dieser Frau verstehen.
Hatun, die von allen nur Aynar genannt wurde, musste den Tod finden, weil sie ein Leben nach ihren Vorstellungen führen wollte und dadurch Schande über ihre Familie gebracht hat. Das Voice Over, welches Nur eine Frau über seine gesamte Laufzeit begleitet, versteht sich dabei als direkter Kontakt mit dem Totenreich. Sherry Hormann und Hauptdarstellerin Almila Bagriacik (4 Blocks) möchten den Film als ergreifendes Denkmal für eine Kriegerin begreifen, was sie zu dem Entschluss gebracht hat, dass die Tote ihre eigene Geschichte aus dem Jenseits begleitet. Zweifelsohne möchte man die Brisanz der Thematik nicht herabwürdigen, vor allem, weil der mit extremer medialer Aufmerksamkeit bedachte Fall von Hatun die tragische Triebfeder dafür war, hitzige (und notwendige) Debatten rundum Ehrenmorde und Zwangsverheiratungen in Deutschland in Bewegung zu setzen.
Dass Nur eine Frau am Ende allerdings nicht aufgeht, liegt daran, dass sich Sherry Hormann durchweg an undifferenzierten Stereotypen abarbeitet. Während dem renitenten Wesen Aynars eine inspirierende Erhabenheit im Ausmaß von Jeanne D'Arc zugesprochen wird, verbleibt die restliche Zeichnung des türkisch-kurdischen Milieus ein Sammelbecken dämonisierter Klischees. Männer, die Aynar nicht terrorisieren, verschwinden nach freundlichen Ratschlägen urplötzlich von der Bildfläche. Viel lieber verkürzt Nur eine Frau seine bemühte Abhandlung über die Extreme des religiösen Fundamentalismus und patriarchalen Familienstrukturen fortwährend. Eine Reflexion über Kultur, Identität, Heimat und Existenz findet schlichtweg nicht statt, weil Hormann und Drehbuchautor Florian Oeller darauf versessen sind, einer plakativen Gut-Böse-Dialektik zu frönen.
Ehrenwerte und richtige Absichten aber muss man Sherry Homann und Florian Oeller durchaus anerkennen, dient Nur eine Frau doch irgendwo auch als Gedankenanstoß dahingehend, deutlich zu machen, dass Menschenrechte überall gültig sind, Frauenrechte hingegen nach wie vor nicht. Die platte, stetig gezielt manipulierende Handhabung, mit der sich der Film seinem Publikum aufdrängt, ist das Problem und ermöglicht es dem Zuschauer kaum, Zugang zu den prinzipiell natürlich nicht uninteressanten Schicksale der Charaktere zu finden. Eben weil sie eindimensional bis karikaturesk ausfallen. Schauspielerisch gibt es zudem ebenfalls recht wenig zu holen: Almila Bagriacik verläuft sich zusehends in deklamatorischen Gesten, wenn sie krampfhafte Bemühung dahingehend anstellt, sich möglichst natürlich ihrer Rolle anzunähern. Ein Umstand, der symptomatisch für Nur eine Frau steht: Gewollt, aber nicht gekonnt.
Fazit
"Nur eine Frau" ist kläglich an seinen Ambitionen gescheitert. Der Versuch, den Fall der 23-jährigen Hatun Sürücu, die 2005 von ihrem Bruder getötet wurde, zum Anlass zu nehmen, um eine Reflexion über Identität, Existenz und Kultur zu formulieren, ergießt sich letztlich in plakativen Gesten und einer erschreckend einseitigen Gut-Böse-Dialektik. "Nur eine Frau" fehlt das Feingefühl und die nötige Umsicht, um die erschreckenden Strukturen der auf wahren Begebenheiten beruhenden Geschichte zu erforschen und dadurch greifbar zu machen.
Autor: Pascal Reis