„Der Geschmack von Rost und Knochen“ ist ein französisches Drama vom Pariser Regisseur Jacques Audiard, der bereits mit seinem Werk „Ein Prophet“ einiges an Aufsehen erregen konnte. Und so verwundert es nicht, dass auch sein neuer Film auf der Premiere in Cannes viele begeisterte Kritiken erhielt, welche den Film als beste Liebesgeschichte der letzten Jahre titulieren. Doch an dieser Stelle ist Vorsicht angebracht, denn „Der Geschmack von Rost und Knochen“ ist ein Film der leisen Töne und zeigt uns Liebe fernab jeglichem romantisiertem Kitsch. Allein die Tatsache, dass der einer der beiden Hauptcharaktere bei einem Unfall beide Beine verliert, zeigt die Tragik auf die im Kern dieser Geschichte weilt.
Dabei legt Regisseur Audiard den Fokus auf die Beziehung seiner beiden Hauptfiguren und zeichnet eine Charakterstudie voller Vertrauen, Bedauern und Rückschläge. Die Geschichte ist vor allem in der ersten Stunde äußerst intensiv, voller Gefühl und Poetik. Man muss sich als Zuschauer vom Sog der Gefühle hineinziehen lassen in die unbequeme Welt von Ali und Stéphanie. Ansonsten könnte man sich schnell stören an dem zugegebenermaßen recht konstruierten Szenario.
Auf der einen Seite Ali, das Opfer der Wirtschaftskrise, von der drogensüchtigen Frau verlassen und auf sich allein gestellt. Ein scheinbar gefühlloser Klotz, der seinen gestählten Körper zu Geld macht, indem er an illegalen Straßenkämpfen teilnimmt. Auf der anderen Seite die gefühlsbetonte Stéphanie, die nach ihrem Unfall in eine Depression verfällt und die isoliert in einer kargen Sozialwohnung seelisch und körperlich zu verkümmern droht. Ausgehend von dieser dramatischen Grundstimmung müssen die beiden Figuren noch viele weitere Rückschläge im Film verkraften, die in ihrer geballten Form fernab jeglicher Realität angesiedelt sind. Aus diesem Grund gibt es auch einige Nebenhandlungsstränge, die die Geschichte nur schwerlich vorantreiben und unnötig in die Länge ziehen. Vor allem in den letzten 10 Minuten gipfelt „Der Geschmack von Rost und Knochen“ dann in einem Ende, das eher unpassend und wie ein Fremdkörper im Gesamtwerk wirkt.
Soweit zu den kritischen Tönen. Denn Audiard kann viel aus dem Talent seiner beiden Hauptdarsteller schöpfen, die den Film erst zu ganz großem Kino machen. Marion Cotillard spielt ihre Rolle absolut mitreißend. Die Schauspielerin, die 2007 für „La Vie En Rose“ den Oscar gewann, zeigt allein durch Gestik und Mimik mehr Emotionen, als es tausend Worte vermögen. Dabei tritt sie fast den gesamten Film ohne Make Up auf, um ihrer Rolle mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen. Mut zeigt sie bei ihrer Verkörperung der Stéphanie auch deshalb, weil sie sich wie selbstverständlich körperlich und seelisch völlig entblößt. Das ist brillantes Schauspiel, das man gesehen haben muss.
Auch Matthias Schoenaerts entfesselt eine Präsenz, wie sie noch lange in Erinnerung bleibt. Es fällt einem als Zuschauer schwer einen Typen wie Ali zu mögen. Eine tickende Zeitbombe, die die aufgestaute Wut nur in Straßenkämpfen oder bei Sex mit willkürlich aufgegabelten Damen ablassen kann. Ali ist eine Figur, die sich gegenüber seiner Umwelt abschottet und es vehement ablehnt soziale Verantwortung zu übernehmen.
Obwohl „Der Geschmack von Rost und Knochen“ in einem Nachbarort von Cannes spielt, einer Gegend der Schönen und Reichen, sorgt er durchweg für einen gedrückten und düsteren Unterton. Selten gibt es aufheiternde Szenen oder humoristische Einlagen. Somit ist er mit dem thematisch ähnlich gelagerten „Ziemlich beste Freunde“ und dessen eher aufbauender Art kaum zu vergleichen.
Das Besondere an Audiards Film ist aber, dass man sich selbst als Zuschauer dabei ertappt, mitzufühlen und mitzuleiden. Man hofft und bangt mit den Charakteren, empfindet oft Abscheu gegenüber Alis Verhalten und bekommt ein weiches Herz, wenn Stéphanie sich zu einem Lächeln durchringen kann.
Möglich macht dies besonders auch das Team hinter der Kamera. Die Effekte-Abteilung hat ganze Arbeit geleistet, denn die amputierten Beine von Marion Cotillard sehen beängstigend echt aus. Die Kamera hält immer drauf und führt dem Zuschauer so ständig Stéphanies Leid vor Augen.
Zum gewollten Gefühlschaos tragen vor allem auch Alexandre Desplat für seine eindringliche Musik und Stéphanie Fontaine für die beeindruckende Kameraarbeit bei. Es gibt einige Aufnahmen die man so noch nicht gesehen hat und die sicherlich in Erinnerung bleiben. Gerade die Gefühlswelt der Protagonisten hat man hier in viele schreckliche, aber zugleich auch wunderschöne Bilder verpackt.
Es wäre einfach Audiards „Der Geschmack von Rost und Knochen“ vorzuwerfen, dass die Geschichte nur eine unglaubwürdige Aneinanderreihung von tragischen Ereignissen ist. Und eben diese Ereignisse sind oft nicht der berühmte Tritt in die Magengrube, sondern werden meist soweit vorher angedeutet, dass sich der Betrachter darauf einstellen kann.
Trotzdem: Lässt man sich auf die dramatische Konstellation ein, wird man mit einer spannenden Charakterstudie, verpackt in traumhafte Bilder und mit einem brillanten Schauspiel, belohnt. „Wir können weitermachen… aber nicht wie Tiere“ bietet Stéphanie dem umtriebigen Ali an, als sie sich ihrer Gefühle bewusst wird. Liebe heißt hier, seine Gefühle zeigen zu können, für jemanden da zu sein und Verantwortung zu übernehmen. Eine Kernaussage des Films.