Inhalt
Christopher Boyce ist Amerikaner. Er bewacht streng vertrauliche Dokumente mit hochbrisantem Inhalt.Was er dabei erfährt, zerstört sein Vertrauen in das bestehende System seiner Heimat. Voll Wut beginnt er einen gefährlichen Kampf gegen die amerikanische Rüstungsindustrie. Mit seinem Freund Daulton Lee zusammen verkauft er die Top-Secret-Papiere an die Sowjets. Gut bezahlt, jedoch auch ziemlich naiv, geraten die beiden Weltverbesserer zwischen die Fronten der beiden mächtigsten Geheimdienste der Welt...
Kritik
Bevor der Film überhaupt beginnt, sind da erst einmal nur aneinandergereihte Impressionen aus dem Pool der amerikanischen Zeitgeschichte, die stakkatoartig auf den Zuschauer einschlagen: Krawalle, Unruhen, Missstände, Meilensteine. Neue Präsidenten, neue Verräter und neue Skandale, die vertuscht werden wollen. Genau in diese nationale Gefühlswelt nistet sich auch John Schlesinger (Asphalt-Cowboy) mit Der Falke und der Schneemann ein, der seinerzeit an den Kinokassen und bei der Kritik durchaus positiv angenommen wurde, über die Jahre hinweg aber mehr und mehr an Bekanntheit einbüßen musste. Vermutlich aus dem auf der Hand liegenden Grund, dass das (vordergründige) Thema um den Vertrieb von geheimen Staatsdokumente erzählerisch einfach er- ausgeschöpft ist – und von der Realität längst schon in ganz andere Dimensionen katapultiert wurde. Der Falke und der Schneemann aber ist mehr.
John Schlesinger, der sich Zeit seines Schaffens vor allem mit den Schattenwelten innerhalb der menschlichen Existenz beschäftigt hat und mit dem herausragenden arrangierten Hochspannungskino Der Marathon-Mann sein wohl beeindruckendstes Werk ablieferte, inszeniert Der Falke und der Schneemann fast schon unverschämt an den stilistischen Gesetzmäßigkeiten des klassischen Spionage-Kinos vorbei und erklärt den mit Timothy Dalton (Spuk in Hill House) und Sean Penn (Mystic River) hervorragend in den Hauptrollen besetzten Polit-Thriller eben ganz entschieden zum aufmerksamen, nüchternen Charakter-Drama. Das Drehbuch von Steven Zaillian, welches sich der wahren Geschichte um Christopher Boyce und Daulton Lee angenommen hat, nimmt sich vorerst natürlich den Raum, um die schwerwiegenden und erschütternden Intrigen und Machtkämpfe deutlich zu machen, die aus dem Missbrauch von – ehemals rechtschaffenen – Nachrichtendiensten entwachsen.
Christopher (Hutton) und Daulton (Penn) fühlen sich in ihrem Patriotismus erschüttert, wenn sie in Kenntnis davon geraten, dass die CIA letztlich nicht mehr für die innere Sicherheit der Vereinigten Staaten verantwortlich ist, sondern sich vielmehr darum bemüht, schwächere Regierungen auszubeuten. In ihrem Idealismus sind sich die beiden langjährigen Freunde sicher, die Informationen an die Öffentlichkeit zu tragen, notfalls eben über die sowjetische Botschaft in Mexiko, die sich direkt mit dem KGB in Verbindung setzen sollte. Über das Bestreben zwei junger Männer, ihrem Land ein Stück von der Unschuld zurückzugeben, die diesem in der Vergangenheit restlos entrissen wurde, veranschaulicht Der Falke und der Schneemann bisweilen in erschreckender Klarheit, wie rigoros sich Enttäuschung, Desillusion und Angst in das kollektive Bewusstsein Amerikas eingestanzt hat. Und da wären wir wieder bei Schlesingers Schattenwelten.
In über 130 Minuten begleitet Der Falke und der Schneemann Christopher und Daulton dabei, wie sie erste Erfolge ernten, um sich alsbald in einem zermürbenden Netz aus Einschüchterung, Machtmissbrauch, Bedrohung und Todesangst wiederzufinden – bis sie ihrem tragischen Ende unausweichlich entgegensteuern. Es ist Timothy Hutton und Sean Penn zu verdanken, dass der Film sich nach wie vor als durchaus spannendes, mit einigen ergreifenden Momenten versehenes Seherlebnis gestaltet, sind es doch ihre authentischen Performances, die den Wert sowie den Zerfall von Brüderlichkeit eindringlich auf den Zuschauer übertragen. In sich ruhend, fernab von moralischer Bevormundung und konsequent auf den Erfahrungshorizont der Protagonisten fokussiert, stellt Der Falke und der Schneemann gezielt die Freiheit des Individuums in einer (oberflächlich) intakten Gesellschaft infrage – und überlässt der Wirklichkeit die bitteren Antworten.
Fazit
Sicherlich kein Meisterwerk, dafür arbeitet John Schlesinger in Sachen Bildsprache doch etwas zu konventionell und unauffällig, dafür gelingt es dem Regisseur, sich gekonnt von den althergebrachten Gesetzen des Spionage-Kinos zu distanzieren und den Schwerpunkt auf die Gefühls- und Erfahrungswelten der Charaktere zu legen. "Der Falke und der Schneemann" gelingt nicht zuletzt dadurch, dass Timothy Hutton und Sean Penn in den Hauptrollen wirklich eindringliche Performances abliefern.
Autor: Pascal Reis