5.5

MB-Kritik

Charlatan 2020

Drama, History

5.5

Ivan Trojan
Josef Trojan
Juraj Loj
Jaroslava Pokorná
Jiří Černý
Miroslav Hanuš
Ladislav Kolár
Martin Sitta
Jan Vlasák
Barbora Milotová
Milena Šajdková
Magdaléna Borová
Otmar Brancuzský
Daniela Voráčková
Adam Hrdy
Pavlína Storková

Inhalt

Souveränität und Solidarität zeichnen Jan Mikolášek aus. Er ist talentiert, sensibel, durchsetzungsfähig, rätselhaft. Ob als junger oder alter Mann, privat wie öffentlich, ein Mensch der Tat, Vernunft und Intuition. Ein Wunderheiler. Der Blick durchs Uringläschen genügt, schon weiß er, woran seine Patienten leiden. Mit dem Ruhm kommt auch der Reichtum, und das zu einer Zeit, als die Tschechoslowakei Spielball zwischen den Machtblöcken ist.

Kritik

Ihr Gespür für faszinierende historische Charaktere verlässt Agnieszka Holland (Pokot) auch nicht in ihrem neuen Berlinale-Beitrag, inspiriert durch den außerhalb seines Heimatlandes praktisch unbekannten tschechoslowakischen Kräuterheiler Jan Mikolasek (Ivan Trojan, Burninh Bush). Dessen ambivalente Persönlichkeit wird zur klaffenden Leerstelle eines unentschlossenen Biopics, gefangen zwischen den Konventionen von Mystery-Thriller, Politkrimi und Ikonographie. Crux ist nicht Hollands atmosphärische Inszenierung, die das wechselnde politische Klima der Ära in kontrastierenden Lichtschattierungen übersetzt, sondern Marek Epsteins (Ve stinu) von paternalistischem Moralismus gelenktes Skript.

Dessen didaktischer Ansatz irritiert besonders aufgrund der logischen, psychologischen und dramaturgischen Inkohärenz. Weder zeigt das spannungsarme Drama ein konkretes Konzept der Titelfigur, noch eine schlüssige biografische Theorie. Fanatiker, Fake oder Phänomen? Was Mikolasek tatsächlich war und zu sein glaubte, bleibt noch rätselhafter als sein Verhalten. Der Misanthrop agiert als Menschenfreund, pendelt zwischen Verschlagenheit und Prinzipientreue, Sadismus und Selbstaufopferung. Von all den narrativen Wegen schlägt die trotz realer Grundlage reichlich fabriziert wirkende Story den konventionellsten ein.

Unterbrochen von widersprüchlichen Rückblenden, etabliert die Haupthandlung Mikolasek als Provinzprominenten, der Hunderte Patienten täglich gratis kuriert und ihnen sogar Kuraufenthalte sponsert. Woher hat der Gärtnersohn dann seinen Wohlstand? Wie heilen Gangrän, Gallensteine und Geschwüre dank Kräutertee und Schmalzwickeln? Dergleichen Hausrezepte bestärken den Verdacht lebensgefährlicher Betrügerei. Dafür macht das Regime dem Urinproben-Propheten und seinem Assistenten-Lover Frantisek (Juraj Loj, Tango s komarmi) offiziell den Prozess. Dessen eigentliche Hintergründe bleiben ominös, genau wie Mikolaseks politische Haltung und medizinische Fähigkeiten.

Fazit

Wenn Agnieszka Holland aus einem Drehbuch nicht mehr rausholt als stimmungsvolle Bilder, muss es verdammt mies sein. Das ist Marek Epsteins verworrene Heiler-Historie, zerfressen von Esoterik, Idolatrie und christlichem Mystizismus. In das dissonante Gebräu mischen sich Justizkrimi, Diktaturdrama und eine verbotene schwule Affäre, die kein (Negativ)Klischee auslässt. Motive, Gefühle und Ethik des umstrittenen Protagonisten bleiben hinter Ivan Trojans eiserner Miene verborgen. Während Charakterisierung und Plot sich dahin quälen, sind Glaubwürdigkeit und Spannung verreckt.

Autor: Lida Bach
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