In einer nicht allzu fernen Zukunft gibt es eine Realität, in der „der Tod jedermanns Sache ist“, um den Planeten zu retten, wobei 50-Jährige das Opfer auf sich nehmen, während jugendliche Künstler ihn dokumentieren müssen.
Es ist zugleich dramaturgische Crux und Stärke Ann Marie Flemings (The Magical Life of Long Tack Sam) futuristischem Fabel, dass deren symbolreiches Szenario ebenso gut als Dystopie betrachtet werden kann, wie als Utopie. Die sich darin abspielenden Erlebnisse der jungen Protagonistin (Keira Jang) sind kaum so spannend wie die Frage nach der individuellen Sicht auf die trügerisch friedfertige Fiktion einer nur scheinbar idyllischen Idealgesellschaft. Was auf den ersten Blick als paradiesische Perfektion erscheinen mag, verbirgt wie so oft eine buchstäblich fatale Facette.
Jene ist in der Friede-Freude-Eierkuchen-Welt ist der gesetzlich vorgeschriebene Freitod im Alter von 50 Jahren, wobei das „frei“ rein rhetorisch ist. Was passiert, wenn jemand sich weigere, die schmerzlose Selbstvergiftung zu vollziehen, fragt Kiah (Jang) ihren etwa gleichaltrigen Kollegen Daniel (Joel Oulette, Here) am ersten Tag ihrer neuen Verpflichtung. Selbige ist die titelgebende Dokumentation der sogenannten Abschiedszeremonien mittels Zeichnungen. Die sind eine der letzten erlaubten Ausdrucksformen innerhalb des totalitären Terrorstaats, der Technologie verbietet und Pflichtdienst fordert.
Eine objektive Dokumentation der Vergangenheit existiert ebenso wenig wie die unteren Gesellschaftsschichten, deren Eliminierung angesichts der indirekten Hinrichtungen nahe liegt. Selbst der Wohlstand der in ihrer Betulichkeit wie sediert wirkenden Gemeinschaft ist nur dekorativ, ohne Strom, Warmwasser und Reisefreiheit. Der minimalistische Plot widmet sich allein der Konstruktion dieser Welt, in der Kiah in verschiedenen Variationen erlebt, was bald ihrer Mutter Ellie (Sandra Oh, Quiz Lady) bevorsteht. Eine surreal schöne Schreckensvision, in der Grauen und Glückseligkeit beklemmend relativ sind.
Fazit
Die existenzialistischen Fragen, die Ann Marie Flemings philosophisches Sci-Fi-Drama mal konfrontativ ausformuliert, mal unterschwellig andeutet, sind der eigentliche Fokus der ruhigen Erzählung. Deren subtile Stärke liegt in der vage gespenstischen Atmosphäre einer nahen Zukunft, in der Umweltzerstörung zu radikaler Ressourcen-Rationierung geführt hat und Krieg und Konflikte toxischem Optimismus gewichen sind. Poetische Naturaufnahmen spiegeln in ihrer entrückten Schönheit die fragile Balance zwischen Harmonie und Horror, die durch die hervorbrechende Trauer der eindrucksvoll gespielten Charaktere gestört wird.
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