Man verfällt zwangsläufig in einen Zustand tiefster Wehmut, gelangt man dieser Tage in den Kontakt mit Robin Williams(„Good Morning Vietnam“). Seit seinem Suizid am 11. August 2014, sieht sich die Filmwelt nicht nur um ein hochdekoriertes Aushängeschild ihrer selbst beraubt, auch die Zuschauer, die treuen Fans von Robin Williams, müssen sich schmerzvoll eingestehen, dass mit seinem unerwarteten Ableben auch ein Teil ihrer Kindheit respektive ihrer filmischen Sozialisation die Bühne verlassen hat: Wer hat damals nicht über die vertrackte Maskerade in „Mrs. Doubtfire – Das stachelige Kindermädchen“ gelacht oder gar große Augen bekommen, wenn man einer tosende Stampede in „Jumanji“ beiwohnen durfte? Nun jedoch ist endgültig die Zeit gekommen, Abschied von Robin Williams zu nehmen, denn mit „Boulevard“ von Dito Montiel („The Son of No One“) hat es sein letzter Auftritt in einem Kinofilm nach Deutschland geschafft.
Wer Robin Williams kennt, weiß auch, dass er mehr war, als die Stand-Up-Granate und der entfesselte Spaßvogel. Es schien vielmehr so, als würde Williams gerade in seinen ernsthaften Rollen in voller Pracht aufblühen, um aufzuzeigen, wie herausragend er es beherrscht, das tragische Potenzial seiner Charaktere durch ein nuanciertes Spiel an die Oberfläche zu befördern – wenngleich sich ein (gewolltes) Schmunzeln nicht immer vermeiden ließ (man denke nur an „Der Club der toten Dichter“, „König der Fischer“ und nicht zuletzt „Good Will Hunting“, für den Williams mit dem Academy Award bedacht wurde). In „Boulevard“ ist es nun so, dass sich Williams vollständig von jedem humoristischen Ansatz distanziert und mit Nolan Mack einen Mann spielt, der in festgefahrenen Ritualen eintrocknet: Bevor es zur Arbeit in der hiesigen Bankfiliale geht, wird der Gattin (Kathy Baker, „Edward mit den Scherenhänden“) ein Tee ans Bett im anderen Schlafzimmer gebracht, um am Nachmittag dem Vater im Pflegeheim einen pflichtschuldigen Besuch abzustatten.
Die Ehe zwischen Nolan und Joy ist nicht eingefroren, die getrennten Schlafzimmer aber quittieren überdeutlich, dass hier zwei Leben aneinander vorbei gelebt werden. Warum Nolan allerdings ein Gefangener ist, lässt sich an anderer Stelle erklären: Er ist homosexuell. Darüber ist er sich seit Jugendtagen im Klaren, doch über 25 Jahre hat er versucht, sich im amerikanischen Provinz-Mittelstand einzugliedern und eine Existenz zu gründen, die sich mit den dort vorherrschenden Idealen abgleicht: Eine fürsorgliche Frau, ein sicherer Job, ein wohlgesonnenes Ansehen – und bloß nicht auffallen. Es tut tatsächlich weh mit anzusehen, wie pointiert Robin Williams diesem Mann, der in seinem jetzigen Leben schlicht keine Erfüllung mehr finden kann, ein Gesicht verleiht, wie er ihn als fragile Persönlichkeit porträtiert, die bei der nächsten Erschütterung in tausend Teile zu zerbrechen droht. Nolan aber ist noch nicht so verloren, dass er sich der Resignation geschlagen gibt.
Ein letztes Aufbegehren wartet in seinem Inneren und wird vom jugendlichen Stricher Leo (Roberto Aguire, „Sand Sharks“) befeuert, der im unerkannten Licht der Großstadt – schicksalhafter könnte dieser Umstand wohl nicht sein – zufällig vor sein Auto läuft. „Boulevard“ aber vermag es nicht, diese so elementare Figur wie Leo greifbar zu machen, er bleibt ein attraktiver Schlagschatten, der auf Robin Williams fällt, ihn, so scheint es, aber niemals im Zusammenspiel berührt. Williams allein sorgt dafür, dass „Boulevard“ einen Anschein von Intimität erweckt, sein Befreiungsschlag von Lebenslügen und dem Bemühen, das Leben zu leben, welches er seit Jahrzehnten zu verdrängen versuchte, werden von ihm in einem Höchstmaß an Menschlichkeit ausgespielt und von Dito Montiel ohne Hang zur Grobschlächtigkeit inszeniert. Schade ist nur – und das raubt dem Film einiges an Intensität -, dass sich Montiel immer noch zu selten darauf verlässt , Bilder und Gesichter sprechen zu lassen, oftmals muss noch einmal verbalisiert werden, was ohnehin jedem ersichtlich ist.