Dabei ist seine Rolle keine vordergründige, ganz und gar nicht. Sy Parrish ist nämlich ein unauffälliger Mensch, der bei einer Supermarktfiliale Fotos entwickelt. Er liebt seinen Job, und in den Jahren seiner Tätigkeit begann er, eine Obsession für die Familie Yorkin zu entwickeln, die als Stammkunden regelmäßig ihre Filme bei ihm abliefern. Denn die lebt ein scheinbar erfülltes Familienleben, was bei Sy nicht der Fall ist. Als der Einzelgänger bei seinen Beobachtungen entdeckt, dass Ehemann Will Yorkin (Michael Vartan) seine Frau (Connie Nielsen) betrügt und er selbst dazu noch seinen Job verliert, brennen bei ihm die Sicherungen durch…
Wow, so hat man Robin Williams noch nie erleben können. Der sonst so hibbelige Berufskomiker in grauer Kleidung, kurz geschorener, heller Haarpracht, Bauchansatz und einer versteinerten Miene – da hat jemand eine ordentliche Wandlung durchgemacht. Nicht nur optisch, sondern auch schauspielerisch ist der Star kaum wieder zu erkennen. Es ist offensichtlich, dass er sehr im Fokus stand, als er sich zu dieser ungewöhnlichen Rolle überreden ließ und ging damit ein großes Risiko ein. Einen so unauffälligen wie gebrochenen Charakter zu spielen, gelingt nicht vielen – und normalerweise schon gar nicht einem extrovertierten Komiker –, außer vielleicht gestandenen Charakterdarstellern. Und diesen Schritt brauchte Williams nicht zu bereuen. Was der Star da abliefert, ist schlicht und ergreifend Wahnsinn! Sein ewig trauriger Gesichtsausdruck, der bedächtige Gang, die Wutausbrüche – Williams hat sich damit selbst ein Denkmal gesetzt.
Auch wenn er damit sehr, sehr im Vordergrund stand, brauchten sich auch andere Darsteller nicht vor ihm zu verstecken. Da können auch eine Connie Nielsen, ein Michael Vartan oder Gary Cole ihre Duftmarken setzen, wenn sie in einfühlsamer Weise ihre Rollen ausfüllen. Einfühlsam, weil im Film der Subtext mehr dominiert als sonst. Die Story setzt nämlich nicht auf Karacho, sondern eine nachvollziehbare Geschichte, in denen die kleinen Dinge dominieren. Genau wie es die Erzählung im Off erklärt, sind Kleinigkeiten die Dinge, die dem Film den richtigen Anlauf geben. Zwar laufen die Akteure nicht am Bildrand entlang, aber verhalten sich nicht so vordergründig, dass sich der Betrachter davon erschlagen fühlt. Auch das offensichtliche Stalking, das Sy hier praktiziert, macht daraus keinen spannungsheischenden Psychothriller mit oberflächlichen Schauwerten, sondern ein feines Psychogramm im Rahmen des durchaus Möglichen, das sich gegen Ende hin zuspitzt. Man assoziiert trotz der feinfühligen Figureneinführung recht schnell, dass Parrish etwas im Schilde führt. Da ist sogar der doppelt gesetzte, finale Twist nichts dampfhammermäßiges, sondern eine logische Konsequenz der erzählerischen Entwicklung, der auf seine eigene Weise zum Ziel führt – jedenfalls kann die Storyauslegung in jeder Hinsicht überzeugen und überraschen.
Eher vordergründig, aber auch sehr überlegt, wurden Kamera, Produktionsdesign und Schnitte eingesetzt, um Parrishs Inneres nach außen zu kehren. Jede Location versinnbildlicht seinen Status Quo. Die spärliche, farbleere Wohnung als notwendiges Übel, himmelsgleiches Design des Supermarktes für sein erfülltes Leben, aber auch das farbintensive Interieur der Yorkin-Familie, das schon erahnen lässt, dass da nicht alles eitel Sonnenschein sein kann. Auch kann die Kamera die Szenerie gut unterstützen, und das zusammen mit den richtigen Schnitten machen aus „One hour photo“ ein optisches wie vielschichtiges Erlebnis. Jeder Winkel wirkt wie zehnmal durchgesprochen, die zahlreichen Metapher sitzen in fast jedem erstellten Bild. Dass dann Williams durch feine Nuancen noch die richtigen Schlüsse aus seiner Rolle zieht, ist letztlich nur noch das letzte Bindeglied in einer Kette richtiger Entscheidungen.