Einige Regisseure haben sich mit ihren Werken solch eine Reputation geschaffen, dass jeder neue Film von ihnen, der nicht vollends die gesteckten Erwartungen erfüllt, als künstlerischer Misserfolg gewertet wird. Das ist hart und im Falle von Ang Lees Die irre Heldentour des Billy Lynn auch ein wenig überzogen. Ja, sein Film hat, würde man eine Liste der besten Filme des Taiwanesen erstellen, nichts auf dieser zu suchen – wenn doch nur im hinteren Bereich – dennoch erweist sich Lees aktueller Beitrag seines Schaffens als Werk, über dass es sich lohnt zu reden, wegen seiner Stärken genau wie über seine Schwächen.
Damit ist allerdings nur marginal die neue Technik gemeint, mit der Die irre Heldentour des Billy Lynn gedreht wurde. Mit ultra-hochauflösenden 120 Bildern pro Sekunde filmte Lee das Drama. Wie das auf der Leinwand wirkt? Darüber können die meisten, so auch wir, nur spekulieren. Weltweit gibt es nämlich nicht einmal ein Dutzend Kinos, die über die notwendige Projektionstechnik verfügen. Der deutschen Presse wurde der Film in der handelsüblichen Auflösung gezeigt und in 2D. Was auffällt: Durch die neue Technik ist es den Filmemachern nicht mehr möglich die Darsteller wie üblich zu schminken. Schaut man Billy Lynn nun also nicht mit 120 Bildern pro Sekunde, fällt es durchaus auf, dass die Akteure naturalistischer wirken, als sonst. Stört das? Nein, keineswegs. Es passt sogar ganz zum Film.
Es geht um einen Helden, bzw. wie wir diesen wahrnehmen und vor allem der Umgang mit den Erwartungen an diese außerordentliche Position ist ein wesentlicher Bestandteil des Films. Titelfigur Billy hat im Irak eine heroische Tat vollbracht, gemeinsam mit seiner Einheit. Nun warten sie darauf, während der Halbzeitpause eines Football-Spiels, aufzutreten. Das Drama erzählt von den Stunden vor diesem Auftritt, springt immer wieder zurück kurz vor der Heldentat im Kriegsgebiet und zeigt auch ab und an, wie Billy wieder zu seiner Familie zurückkehrt.
Das tragische dabei ist, dass es keine wahre Heldenverehrung gibt. Billys Familie scheint zerrüttet und hat auf die Frage,warum ihr Sohn in den Krieg zog immer noch keine Antwort gefunden – vielleicht weil Billy diese auch immer noch sucht. Und das, was bei der Show passiert? Das ist durchorganisiert, fast schon mechanisch und im Grunde sind die Soldaten, ganz wie im Krieg auch, nur Marionetten. Während ihrer öffentlichen Ehrung bleiben sie eine verzichtbare Staffage für die Öffentlichkeit. Was wirklich im Fokus steht ist Destiny's Child, die einen Song mit großem Pomp vorführen, während Billy und seine Kameraden in zweiter Reihe hinter her trotten. Wenn dann beim Feuerwerk Traumata durchbrechen, hat das niemanden zu interessieren. Es stört einfach nur die Show.
Egal ob im Krieg oder Zuhause, man hat zu funktionieren. Diese bittere Erkenntnis serviert Lee seinem Publikum nüchtern. Es gibt nur wenige Szenen, in denen die Gefühle durchbrechen. Alles schreit und verlangt nach einem Befreiungsschlag, doch dieser wird verweigert. Es geht einfach nur um das sture Funktionieren, als Soldat, als Werbefigur - als Mensch.
Es ist gelungen, gleichsam aber auch unbefriedigend, wie Ang Lee dass alles inszeniert und präsentiert. Überall ist ein solch großer Druck zu spüren, aber die Ventile werden nur gelegentlich und dann auch höchstens minimal aufgedreht. Als Zuschauer sehnt man sich förmlich nach einem Schrei, nach Aufbegehren und nach ehrlicher wie befreiender Rage, die nach außen getragen und nicht einfach mit Ignoranz ausgemergelt wird.
Das ist inhaltlich wirklich gut bis brillant, ändert aber leider nichts daran, dass der dramaturgische Spannungsbogen von Die irre Heldentour des Billy Lynn des Öfteren ordentlich durchhängt. Auch täte es dem Film gut, wenn Ang Lee sich trauen würde, eine klare Stellung einzunehmen. Als Werk gegen die Instrumentalisierung der Veteranen bezieht er klare und offensichtlich eine Haltung. Als Dokument gegen den Krieg hingegen versagt seine fünfte US-Produktion, weil es ihr an einer klar ausformulierten und ausgesprochenen Botschaft mangelt.
Am Ende des Films war man als Zuschauer Zeuge einer emotionalen Achterbahnfahrt, die tief im inneren, im Verborgenen des Titelhelden stattfand und auch dann weitergeht, wenn wir den Charakter verlassen. Das hat etwas unangenehm bitteres, diese nicht Erfüllung des Wunsches einer Konfliktlösung. Letztlich geht alles wieder seinen gewohnten Gang. Die Showbühne ist abgebaut, die Soldaten verlassen das Stadion und überlassen wieder den Footballspielern das Feld. Jetzt sind der Quarterback und der Receiver wieder die Helden, um die wir uns kümmern. Billy und seine Jungs zelebrieren derweil die Rückkehr ins Kriegsgebiet. Warum auch nicht? Auch die Hölle kann eine Heimat sein. Eine Wahrheit die schmerzt.