„Ich bin ein ehrlicher Mensch und wenn das mein Unglück sein soll, dann soll es so sein. Aber ich werde nicht leise abtreten.“
Einige der letzten Worte, die Samuel Bicke (Sean Penn, Der schmale Grat) in Form von Tonbandaufzeichnungen an die Außenwelt richtet, bevor er am 22. Februar des Jahres 1974 bei dem Versuch eine Passagiermaschine am Baltimore-Washington International Airport zu entführen ums Leben kommt. Sein Ziel, so ging ebenfalls aus besagten Tonbandaufnahmen hervor, war das Weiße Haus. Dort hinein wollte er die Maschine abstürzen lassen, um den amtierenden US-Präsident Richard Nixon zu töten. Doch Bicke war nicht etwa ein Terrorist oder politischer Gegner Nixons, sondern schlichtweg ein auf allen Ebenen gescheiterter Mann, der den Präsidenten für seinen Niedergang höchstpersönlich verantwortlich machte.
Das Spielfilmdebüt von Regisseur Niels Mueller (dessen zweiter und bis heute letzter Film Small Town Wisconsin erst satte 16 Jahre später folgen sollte) erzählt in weiten Teilen die wahre Geschichte von Samuel Byck (nicht wie im Film Bicke), dessen Fall damals kurzzeitig für Aufsehen sorgte, heutzutage aber überwiegend vergessen scheint. So wie auch dieser Film, der damals schon keine großen Wellen schlug und bei seinem Start 2004 lediglich in 59 US-Kinos gezeigt wurde, entsprechend auch nicht mal 1 Million $ einspielte und hierzulande sang- und klanglos ohne größere Promotion in den Videotheken versteckt wurde. Verwunderlich, denn mal abgesehen von dem (nach wie vor) unbekannten Regisseur und Co-Autor waren hier sehr prominenten Stars vor und hinter der Kamera aktiv. Eben jene führte z.B. Emmanuel Lubezki, der unter Alfonso Cuarón (Gravity) zwischen 2014 und 2016 dreimal in Folge den Oscar in dieser Kategorie gewinnen sollte. Als Produzenten fungierten neben Cuarón zudem Alexander Payne (About Schmidt) und Leonardo DiCaprio (Killers of the Flower Moon). Und Sean Penn hatte gerade erst für Mystic River den Oscar als Bester Hauptdarsteller einheimsen können. Einen Preis, dem er Jahre zuvor noch wenig Beachtung geschenkt hatte, bei vorangegangenen Nominierungen teilweise gar nicht anwesend war. Inzwischen war er dem roten Teppich nicht mehr ganz so abgeneigt, sich aber unmittelbar nach seinem „größten Triumph“ direkt wieder einer so kleinen Independent-Produktion zu verschreiben zeigt jedoch sehr deutlich, wo seine künstlerischen Präferenzen liegen. Ihm zur Seite stehen u.a. mit Don Cheadle (No Sudden Move) und Naomi Watts (King Kong) ebenso erfolgreiche Kollegin*in, womit sich Cast und Crew lesen wie bei einer großen Hollywood-Produktion.
Stattdessen ist Attentat auf Richard Nixon ein sehr kleiner, bescheidener Film, der in seinen gut 90 Minuten sich vollständig auf die psychische und soziale Entgleisung seines Protagonisten konzentriert. Wir starten nicht direkt am Beginn dieser Abwärtsspirale, sondern begegnen Samuel Bicke an einem Punkt, als er eigentlich schon am Boden liegt, aber gerade noch einen Funken Hoffnung schöpft. Seine Frau (Naomi Watts) hat ihn gemeinsam mit den beiden Töchtern und dem Familienhund bereits vor einem Jahr verlassen und macht ihm auch wenig Hoffnung auf eine baldige Wiedervereinigung, dennoch glaubt Sam, durch seinen neuen Job als Büromöbelverkäufer schnell wieder in die Spur und zurück in den Schoß seiner Familie zu finden. Für den unsicheren und von seiner Umwelt aufgrund dessen oft schikanierten, wie manipulierten Sam bricht bald darauf seine eh schon wenig rosige Welt völlig zusammen. In seinem Job als Verkäufer soll er gegen seine moralischen Prinzipien verstoßen und den Kunden zugunsten des Profits „belügen“, seine Frau hat einen neuen Liebhaber und auch die angestrebte Selbstständigkeit mit seinem besten (und einzigen) Freund (Don Cheadle) geht den Bach runter, da er keinen Kredit gewährt bekommt.
Sam sieht sein Scheitern begründet in der Verrohung der Gesellschaft. Einer Gesellschaft, die keinen Platz für einen Menschen wie ihn bereithält. Dabei tut er doch alles, um gemocht und akzeptiert zu werden. Biedert sich bei seinem ihm respektlos auftretenden Chef an und versucht, ein waschechtes Verkaufsass zu werden. Inklusive der Trennung von seinem heißgeliebten Schnurrbart. „Lauert“ seiner Frau fast täglich mit Blumen und den Versprechungen von einer besseren Zukunft vor der Tür auf und besucht sogar das Büro der Black Panther, um nicht nur eine Bargeldspende zu tätigen, sondern direkt seine Dienste anzubieten. Dass diese maximal irritiert ablehnen sollte für jeden absolut nachvollziehbar sein, für Sam allerdings nur ein weiterer Nackenschlag und die Bestätigung, dass er nirgendwo Akzeptanz findet. Ähnlich wie ein Travis Bickle in Taxi Driver findet er sich nicht (mehr) in der Gesellschaft zurecht, sucht verzweifelt Anschluss und manövriert sich durch dieses obskure Verhalten nur noch mehr ins soziale Abseits. Von seiner Umwelt eher ablehnend als alarmierend beäugt, obwohl jeder wahrscheinlich erkennen könnte, was dort gerade geschieht. Am Ende dieses fatalen Strudels manifestiert sich die verzweifelte Wut auf eine verlogene und ungerechte Gesellschaft eines hilflosen, moralisch krampfhaft bemühten und psychisch komplett gebrochenen Mannes auf den seiner Meinung nach größten Lügner, Heuchler und Hochstaplers, der ihn Tag für Tag von der Mattscheibe aus anlächelt.
Der Titel (sowie alle verfügbaren Informationen) „spoilern“ ja mehr oder weniger schon das Crescendo, und um den eigentlichen Amoklauf bzw. das (gescheiterte) Attentat geht es auch vordergründig nicht. Dieses extrem auf seinen Protagonisten fokussierte Psychogramm soll den Weg dorthin schildern und einen Einblick wie eine Form von „Verständnis“ schaffen. Sehr subtil geht man dabei nicht unbedingt vor, auch da die Nebenfiguren relativ wenig Raum bekommen und lediglich einen Zweck erfüllen. Alles konzentriert sich auf die One-Man-Show von Sean Penn und wäre diese nicht so herausragend, ließe sich an Attentat auf Richard Nixon vielleicht noch das ein oder andere Haar in der Suppe finden, dass man aber aufgrund dessen lediglich suchen könnte – aber gar nicht muss. Mit maximalem Einsatz zelebriert Sean Penn den bemitleidenswerten wie erschreckenden Verfall eines armen Schluckers, der dadurch nicht frei von Schuld ist. Aber er generiert eine Form von Verständnis, die Amokläufern in der Regel eigentlich gar nicht zusteht. Das dies gelingt, obwohl das Drehbuch dafür eigentlich keinen richtig zwingenden Argumenten liefert (konnte auch ein Taxi Driver nicht, aber der war auch gar nicht darauf aus), liegt einzig und allein an dieser sagenhaften Performance.