Mit The Raid als auch The Raid 2 ist es dem walisischen Filmemacher Gareth Evans mit einem sagenhaften Doppelschlag gelungen, die Grenzen des kinetischen Action-Genres einer berauschenden Neudefinition zu unterziehen: Selten hat sich ein Künstler derart viel Zeit genommen, um einzelne Bewegungsabläufe innerhalb der Kampfchoreographien aufs Genaueste durchzuplanen. Nichts sollte dem Zufall überlassen sein, kein Wimpernschlag, kein Fingerzeig, was natürlich auch die handwerkliche Pedanterie von Evans unterstreicht, im Endeffekt aber nichts weniger als Filmgeschichte zum Ertrag hatte. Die Erwartungen also konnten an das Nachfolgewerk kaum exorbitanter sein – und als dann schließlich angekündigt wurde, dass Evans sich nicht etwa mit dem dritten Teil der The Raid-Reihe beschäftigen, sondern einen Horrorfilm namens Apostle in Szene gießen wird, sollten die Ohren noch weiter gespitzt werden.
Denn, sind wir ehrlich, so fulminant The Raid und The Raid 2 auch gewesen sind, Gareth Evans hat zu dem Thema im Prinzip alles gesagt und neue Maßstäbe gesetzt. Ein Aufbruch an neue Ufer, genau das ist es doch, was nicht nur Evans interessieren sollte, sondern auch dem Zuschauer bestätigen könnte, dass es sich bei dem Mann um einen echten Meisterregisseur handelt, der auch außerhalb seiner stilistischen Komfortzone funktioniert. Apostle, den Evans ebenfalls geschrieben hat, trägt in gewisser Weise erneut die Handschrift des ungemein auf Physis bedachten Filmschaffenden, allerdings ist der Okkult-Horror leider nicht das Meisterwerk geworden, welches man sich im Vorfeld versprochen hat. Das liegt in erster Linie schlicht und ergreifend an einem Problem, welches sich schon in Ansätzen in The Raid 2 manifestierte: Die bisweilen zerfranste Erzählökonomie.
Zweifelsohne, wenn Thomas Richardson (Dan Stevens, The Guest) im Jahre 1905 aufbricht, um seine Schwester aus den Fängen einer religiösen Sekte zu retten, die ihre Freigabe nur im Tausch mit einem ordentlichen Umfang an Lösegeld gestatten, dann ist allein die Reise in das von der Außenwelt rigoros abgeschirmte Herz der Gemeinde, die irgendwo auf einer abgelegenen Insel zwischen Wäldern und Bergen lokalisiert ist, eine ungemein stimmungsvolle. Schritt für Schritt zeichnet Gareth Evans nach, wie schnell Thomas unter Beobachtung steht, wie extrem all die Menschen, die ihm über den Weg laufen respektive begleiten ein Auge für die Details, die Nebensächlichkeiten, das Unauffällige besitzen. Dieses bedrückende Gefühl, dass nur die kleinste Unachtsamkeit geradewegs in ein Desaster führen kann, liegt wie ein omnipräsenter Schleier über dem gesamten Film.
Thomas nämlich reist inkognito, er infiltriert die Sekte, da er sich vollkommen im Klaren ist, dass er diesen mysteriösen Ort, irgendwo im Nirgendwo, nie wieder verlassen wird, selbst wenn er die gewünschte Geldsumme überreicht. Apostle beherrscht es dabei recht gut, mit Stimmungen zu arbeiten, die Spannungskurve aufrecht zu erhalten und sich die nötige Zeit zu nehmen, um die Alltagsstrukturen innerhalb des Kults zu untersuchen, an dessen Kopf der (falsche) Prophet Malcolm (Michael Sheen, Frost/Nixon) steht, der von Gottes Wort predigt, aber auch Gottes Zorn walten lässt. Je tiefer sich Thomas in die vorherrschenden Gegebenheit einarbeitet; Regeln bricht, die seltsamen, oftmals von bestialischer Brutalität begleiteten Bräuche dokumentiert, desto ausufernder spannt Gareth Evans den narrativen Rahmen, kommt ihm aber nicht mit stofflicher Dichte hinterher: Apostle ist zwar in die Breite, jedoch nicht in die Tiefe erzählt.
Spätestens nach einer Stunde macht sich ein leises Völlegefühl innerhalb des Zuschauers bemerkbar, hat Gareth Evans in dieser Zeit zwar aufmerksam die Zustände innerhalb des Glaubenszirkels abgebildet, wohin sich seine Geschichte entwickeln soll jedoch bleibt noch seltsam vage. Das liegt letztlich an dem Umstand, dass Evans zu viele Handlungsstränge kombiniert und Apostle zu einem Konglomerat aus Versatzstücken und Schicksalen macht, die alle ihren Raum zur Entfaltung verlangen, zu oft jedoch an den Rand geschoben werden, um dann, schlussendlich, in einem Blutbad zu ertrinken. Dieses leicht Ziellose und merklich Überladene aber weiß Apostle zu flankieren, indem er sich vor allem aus inszenatorischer Perspektive als eine echte Augenweide verdient macht: Die Bildkompositionen, die wahrlich einen Blick für jede Nuance und jede Finesse innerhalb der Einstellung besitzen, sind beachtlich, teilweise sogar von atemberaubender Wirkungsmacht.
Audiovisuell ist Apostle ohnehin ein voller, zutiefst düsterer Erfolg: Die ausgereiften Bildwelten und die bedrängende Klangkulisse mit ihren dissonanten, terrorisierenden Tonebenen, die den Zuschauer immer wieder an die allgegenwärtige Gefahr der Situation gemahnen, entfesseln eine Sogwirkung, die den Zuschauer auffrisst. Darüber hinaus beweist Gareth Evans hier seine ungezähmte Leidenschaft für den Okkult-Horror und baut nahezu jede Insigne, jedes Element, jedes Attribut in seine blutigen Gruselmär ein, welche dieses (Sub-)Genre jemals ausgezeichnet haben. Daraus entsteht dann ein bis zuletzt hochgradig religionskritischer, sukzessive ins Übernatürliche ausschlagender Diskurs über die Verbindung von Gewalt und Gottesfürchtigkeit. In einer Sequenz findet Evans sogar eine ungemein treffende Metapher für dieses von Angst und Leid geschwängerte Verhältnis: Der Glaube, das ist ein flammendes Kreuz im Auge des Menschen. Wäre der Film nur etwas stringenter, er wäre wirklich famos.