Paris 1895. Unter grauem Winterhimmel marschieren Soldaten im Hof der École Militaire auf. Alfred Dreyfus (Louis Garrel, Little Women) wird nach vorne gerufen, versucht eine unbewegte Miene beizubehalten, während ihm die Schulterklappen von der Uniform gerissen, sein Säbel zerbrochen wird. Aus einiger Entfernung verfolgt der Offizier Marie-Georges Picquart (Jean Dujardin, The Artist) die Degradierung. Dreyfus ist frisch wegen Hochverrats verurteilt worden – zu lebenslanger Haft und Verbannung. Von der Rechtmäßigkeit dieses Urteils ist Picquart in dieser Eingangssequenz noch felsenfest überzeugt.
Wegen seiner vorbildlichen Mithilfe im Fall Dreyfus wird Picquart kurz darauf zum Leiter des Nachrichtendiensts ernannt. Diszipliniert macht er sich daran, der heruntergekommenen Behörde seinen Stempel aufzudrücken. Dabei stößt er auf Hinweise für Dreyfus’ Unschuld. Doch als Picquart sich daran macht, die Wahrheit ans Licht zu bringen und den Verurteilten zu rehabilitieren, findet er sich mit dem Widerstand seiner Vorgesetzten konfrontiert, die einen Skandal um jeden Preis vermeiden wollen – auch wenn das heißt, dass in der kargen Steinhütte auf der Teufelsinsel ein Unschuldiger sitzt.
Intrige präsentiert sich als atmosphärisch intensiver Historienfilm – Kostüme und Kulisse überzeugen mit Detailreichtum, die Farben sind gedämpft, Alexandre Desplats Filmmusik hält sich besonders am Anfang sehr zurück und ist in den ersten Szenen gar nicht zu hören. Das Drehbuch beruht auf Robert Harris’ Roman An Officer and a Spy, Harris hat es zusammen mit Roman Polański geschrieben (wie auch schon bei Der Ghostwriter) – und überhaupt den Roman erst durch dessen Interesse an der Dreyfus-Affäre verfasst. Harris’ Recherche damals soll äußerst akribisch gewesen sein, wohl auch deshalb hält sich »Intrige« dicht an die historischen Abläufe und Fakten. So darf auch ein Auftritt des Schriftstellers Émile Zola (André Marcon, Alles was kommt) nicht fehlen, der den berühmt gewordenen offenen Brief J’accuse verfasste, dessen Titel der Film auch in Frankreich trägt. Allerdings hat Zolas Rolle im Film eher Cameo-Charakter.
Zu fesseln vermag der Film vor allem in der ersten Hälfte, in der Picquart nach und nach das Puzzle zusammensetzt, das nur einen Schluss zulässt: Dreyfus ist unschuldig. Recht schnell wird klar, dass der pflichtbewusste Picquart bei seinen Vorgesetzten auf Granit beißt. Ab dann hat der 132 Minuten lange Film vereinzelte Längen und krankt dramaturgisch wohl gerade daran, dass er sich so eng an die Realität hält: Der Spannungsbogen flacht ab, wesentliche Figurenentwicklung findet nicht statt, obwohl sich für Picquart die Lage zuspitzt. Gegen Ende dann gerät Intrige zunehmend zum Gerichtsdrama und baut wieder Intensität auf.
Erzählerisch gibt es einige Punkte, mit denen Intrige gut unterhält: Da ist die aus heutiger Sicht kurios und unbeholfen anmutende Arbeitsweise des Nachrichtendiensts, ein ungemütlicher Mikrokosmos, in den Picquart förmlich hineingeworfen wird. Da ist, klassischer Trope, die Ohnmacht des Einzelnen angesichts starrer, übermächtiger Strukturen, die Gewissheit, dass Recht haben und Recht bekommen zwei Paar Schuhe sind. Die einzelnen Aspekte der Dreyfus-Affäre – etwa die Methoden und Ausführungen des vermeintlichen Graphologen Bertillon (Mathieu Amalric, Grand Budapest Hotel) – illustrieren nahezu erdrückend, wie grotesk der gesamte Prozess inszeniert war. All das wird in Intrige anschaulich aufbereitet.
In anderen Punkten macht es einem der Film nicht unbedingt leicht. Picquart als Hauptfigur etwa: Das Erste, was wir von ihm hören, ist ein antisemitischer Witz; in jener Zeit, das lässt uns Intrige immer wieder vor allem durch die Bemerkungen der Figuren wissen, ist Antisemitismus nicht nur salonfähig, sondern durchdringt alle Strukturen.
Doch obwohl Intrige dies immer wieder betont und eben dieser Antisemitismus ausschlaggebend für den Umgang mit Dreyfus ist, gelingt es dem Film nicht recht, diesen Punkt wirklich zum Thema zu machen. Dazu belässt er es zu sehr bei teils plakativ anmutenden und stets unwidersprochen bleibenden Aussagen der handelnden Figuren.
Das mag historisch akkurat sein, in der Konsequenz gerät dieser Aspekt von strukturellem Antisemitismus in den Hintergrund: Er wird ein fast austauschbarer Vorwand für das Handeln eines Systems, das um jeden Preis auf den Selbsterhalt seines guten Rufs und seiner Privilegien bedacht ist. Erzähltechnisch bleibt das noch immer spannend – nur ist Intrige eben zuallererst das Porträt dieses selbstgerechten Systems, keine Erzählung, die weitreichendes Bewusstsein für antisemitische Denkstrukturen schafft.
Entsprechend wird das antisemitische Denken selbst nie Gegenstand, nie reflektiert oder hinterfragt. Hauptfigur Picquart unterscheidet sich insofern jedenfalls nicht von seinen Vorgesetzten, er hat wie sie antijüdische Ansichten – aber er glaubt auch zutiefst an Gesetz und Gerechtigkeit und ist dafür bereit, nicht nur seine persönlichen Vorbehalte zurückzustellen, sondern auch berufliche Nachteile in Kauf zu nehmen. Dabei verlässt sich der Film darauf, dass dieser tiefgehende Gerechtigkeitssinn genügt, um Picquart einigermaßen als Sympathieträger zu etablieren. Teilweise funktioniert das, teilweise erzeugt es Unbehagen, dass wir eine Figur dafür wertschätzen sollen, dass sie gesetzesgemäß handelt, obwohl sie Antisemit ist.
Jenseits seiner moralischen Beharrlichkeit, seines als eben historisch zeitgemäß verklärten Antisemitismus und einer Geliebten bekommt Picquart wenig Profil und ist größtenteils einfach Akteur, der Dinge herausfindet und in Gang zu setzen versucht, dessen persönliches Schicksal uns aber wenig berührt. Zudem scheint sich Picquarts Weltbild auch über die gesamte Laufzeit kaum zu verändern – selbst das erschütterte Vertrauen in die militärischen Hierarchiestrukturen wird kaum spürbar. So interessant und ambivalent Picquart als Hauptfigur grundsätzlich angelegt ist, so wenig kann Dujardin durch das magere Skript aus ihm herausholen.
Dreyfus muss im Gegensatz zu Picquart weitgehend passiv bleiben, wirkt aber als Figur deutlich lebendiger ausgearbeitet, wozu auch Garrels Darstellung beiträgt, die unter der starren Maske des Berufssoldaten doch immer widerstreitende Emotionen erahnen lässt. Charakterlich wirkt dieser Dreyfus nicht immer bequem, nicht unbedingt sympathisch. Mit Picquart interagiert er über die Filmdauer vergleichsweise wenig, was schade ist, weil zwischen beiden eine intensive, teils unbehagliche Dynamik herrscht, die zu den Höhepunkten des Films gehört.