Schon der frankokanadische Autorenfilmer Xavier Dolan benutzte das knallige „A New Error“ von Moderat, um sein famoses Gefühlsepos „Laurence Anyways“ nach Strich und Faden zu elektrisieren. Die peitschenden Klangwellen, die von diesem Lied im Stakkato ausgesendet werden, dürfen nun auch über Andreas Dresens „Als wir träumten“ hinwegrollen – und irgendwie fühlt es sich doch schon hier so an, als würde dort irgendetwas nicht ganz zusammenpassen. Im Hinterkopf trägt man erst noch Andreas Dresens ungemein bedächtigen Gestus, da werden die Gehörgänge im selben Augenblick auch schon mit aufgeladenen Techno-Salven freigepustet. Das lässt sich indes nicht nur darauf zurückführen, dass sich „Als wir träumten“ um eine Leipziger Jugendtruppe handelt, die ihren ganz persönlichen Träumen im wiedervereinigten Deutschland nacheifern, sondern auch darauf, dass Dresen hier nun wirklich ein für ihn neues, extrovertiertes Terrain betritt. Sieht man aber von einigen Unstimmigkeiten und Akklimatisierungsproblem(ch)en ab, ist auch „Als wir träumten“ mindestens ein weiteres sehenswertes Kapitel im Dresen'schen Schaffen.
Und da möchte man doch behaupten, dass Dresen es unter diesem Qualitätsprüfstand einfach nicht macht, dafür ist er letzten Endes einfach zu erfahren und begabt. „Als wir träumten“, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Clemens Meyer, setzt sich in erster Linie damit auseinander, was es für Jugendliche bedeuten kann, wenn sie in ihrer Sturm-und-Drang-Phase nichts mehr vor die Nase gesetzt bekommen, gegen das es sich lohnt, eine Rebellion aufzufahren. Als Kinder nämlich trugen Dani (Merlin Rose, „Feuchtgebiete“), Rico (Julius Nitschkoff, „Vier Tage im Mai“), Pitbull (Marcel Heuperman) und Mark (Joel Basman, „Wir sind jung. Wir sind stark.“) noch das rote Pioniertuch um den Hals, bis kurz darauf die Mauer gefallen ist und zwei Systeme miteinander kollidierten. Wie sollen sich diese heranwachsende Jungen darüber bewusst werden, welchen Weg sie einschlagen sollen, wenn das Land, in dem sie leben, beinahe noch mehr strauchelt? Angenehmerweise verzichtet Andreas Dresen fortwährend genauso darauf, das seit Kindertagen bestehende Freundschaftsband bis in die verwegene Brüderlichkeit hochzustilisieren, wie er auch die in Ansätzen erkennbaren Coming-of-Age-Klischees unscheinbar klein hält.
Die schnellen Schnitten, die markanten Lichtwechsel zwischen den Episoden und Zeitebenen, die aufbrausenden, wilden Sequenzen, die ein Hauptbestandteil von „Als wir träumten“ sind, gehören zum Neuland, welches Andreas Dresen mit seinem Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase („Solo Sunny“) betritt. Und diese – eigentlich – dezidiert deutsche Geschichte, pflegt eine erzählerische Spannweite von universaler Resonanz: Das Aufrechterhalten von Individualität, die Zerstörungslust, im Freuden- und Aggressionstaumel, die Suche nach Identität und Selbstverwirklichung. Mit all diesen Motiven bricht „Als wir träumten“ selbstverständlich aus den städtischen Grenzen des zwischen Sozialismus und Kapitalismus oszillierenden Leipzigs aus. Es sind allerdings die wirklich starken Schauspielleistungen, die mitreißen, die berühren, weil Andreas Dresen sein frisches Ensemble genau zu nehmen weiß, weil er sie niemals irgendeinem gesellschaftlichen Ideal anbiedernd unterwirft, sondern genauso Pickel, fettiges Haar und Lidschwellungen festhält, wie er es sich erlaubt, seinen Hauptdarsteller durch seine Feigheit zu charakterisieren. Das macht die Figuren sympathisch, gibt ihnen Ecken und Kanten, weil sie nicht penetrant nach Gegenliebe heischen.