7.7

MB-Kritik

Berlin Alexanderplatz 2020

Drama

7.7

Welket Bungué
Albrecht Schuch
Jella Haase
Annabelle Mandeng
Joachim Król
Richard Fouofié Djimeli
Mira Elisa Goeres
Rufina Neumann
Lena Schmidtke
Sam Pillow
Nils Verkooijen
Faris Saleh
Luissa Cara Hansen
Derek Meisenburg
Thelma Buabeng
Lukhanyo Bele

Inhalt

Auf der illegalen Überfahrt von Afrika nach Europa gerät das Boot, auf dem sich Francis befindet, in einen Sturm. Er schwört, dass er ein guter und anständiger Mensch sein will, wenn er gerettet wird, und seine Gebete werden erhört. Nun ist es an ihm, seinen Schwur auch einzuhalten. Sein Weg führt ihn nach Deutschland, wo er sich redlich darum bemüht, ein ehrliches Leben zu führen. Doch die Umstände machen es ihm nicht einfach. Wie soll man gut sein in einer Welt, die es selbst nicht ist? Bald trifft Francis auf den zwielichtigen deutschen Drogendealer Reinhold und die Leben der beiden Männer verbinden sich zu einer düsteren Schicksalsgemeinschaft. Immer wieder versucht Reinhold, Francis für seine Zwecke einzuspannen und dieser widersteht – um schließlich doch jedes Mal nachzugeben und zu fallen. Eines Tages trifft Francis auf Mieze und verliebt sich Hals über Kopf. Eine glückliche Zeit beginnt. Aber Reinhold lässt Francis nicht aus seinen Fängen…

Kritik

Die Welt steht Kopf. Das ist im Falle von Berlin Alexanderplatz erst einmal ganz wortwörtlich zu nehmen, wenn Francis (Welket Bungué, Joaquim) durch ein unnatürlich gleißendes (Farben-)Meer an den Strand eines europäischen Landes gespült wird. Seine Begleitung wird es indes nicht schaffen. Der afrikanische Flüchtling aus Bissau trifft daraufhin in der deutschen Hauptstadt ein, irgendwie halb lebendig, irgendwie aber auch halb tot. Was ihm geblieben ist, ist ein Schwur: Gut möchte er sein, ein anständiges Leben in Berlin aufbauen, rechtschaffend sein Geld verdienen und damit die Chance nutzen, die ihm das Leben so hoffnungsvoll dargeboten hat. Es dauert jedoch nicht lange, bis Francis in das intrigante Netz des Seelenfängers Reinhold (Albrecht Schuch, Systemsprenger) gerät und in der Hasenheider Drogenszene aktiv wird.

Mit Berlin Alexanderplatz hat sich Regisseur Burhan Qurbani (Wir sind jung. Wir sind stark.) an die zeitgemäße Übersetzung des literarischen Jahrhundertwerks von Alfred Döblin begeben. Die zuvor bereits von Rainer Werner Fassbinder adaptierte Geschichte bleibt im Kern erhalten, der Kontext allerdings ist ein anderer. Der deutsch-afghanische Filmemacher deutet die Vorlage zur bahnbrechend inszenierten Immigranten-Saga um und führt uns damit in eine Welt, in der das Gute selbst wie ein Fremdkörper wirkt. Francis, das gegenwartsgerechte Pendant zu Franz Biberkopf, wird dreimal straucheln, stürzen, immer wieder aufstehen und dennoch endültig zerbrechen. Sein Überleben, das verdeutlicht uns zusätzlich die Stimme von Jella Haase (Fack Ju Göhte) aus dem Off, ist eine Gnadenfrist. Ein sadistischer Aufschub der eigenen Existenz, an dessen Schmerz sich vor allem der wieselhafte Reinhold weidet, der für Francis gleichermaßen Lehrmeister wie Nemesis darstellt.

Die fulminante Qualität, die Berlin Alexanderplatz auf der Leinwand entfesselt, liegt nicht nur in seiner konsequenten Ambivalenz begraben, im Zuge derer er seine Charaktere zum Leben erweckt. Es ist vielmehr der Mut seitens Burhan Qurbani, wirklich großes, erhabenes Kino aus Deutschland auf die Beine stellen zu wollen. Diese nicht nur in die Breite, sondern ebenso gekonnt in Tiefe erzählte Großstadtballade ist sowohl sozialrealistische Spiegelung als auch klassisches Genrewerk. Die Flüchtlingskrise gerinnt in den Händen Qurbanis nicht zum rührseligen Melodrama. Vielmehr beweist sich dieses dreistündige Epos als versiert arrangierte Rise-and-Fall-Sinfonie, deren poetische Alltäglichkeit den Puls der Zeit in beachtlicher Präzision durchleuchtet. Schauspielerisch ist es vor allem Albrecht Schuchs Sensationsperformance als gebückt-durchtriebenes Frettchen, die sich definitiv im Gedächtnis des Zuschauers festsetzen wird.

Fazit

Wer immer noch der Meinung ist, dass Deutschland nicht in der Lage ist, wirklich großes Kino abzuliefern, sollte sich "Berlin Alexanderplatz" zu Gemüte führen. Die dreistündige Adaption des Jahrhundertromans von Alfred Döblin erweist sich als ungemein zeitgemäße, hervorragende inszenierte Großstadtballade, die gleichermaßen durch ihren Sozialrealismus als auch den klaren Bezug zum Genre überzeugt. Der Mut, ewas zu wagen, hat sich in diesem Fall mehr als bezahlt gemacht. Wenn man so möchte: Die deutsche Antwort auf "City of God". 

Autor: Pascal Reis
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