Spontane, ungeplante Entwicklungen gehören völlig selbstverständlich zum natürlichen Lauf des Lebens dazu. Genauso wie der sich oftmals an derartige Momente anschließende Wunsch, selbst über ausgewählte Situationen bestimmen zu können, Veränderungen vorzunehmen oder das eigene Leben wie eine Geschichte immer wieder neu zu schreiben.
In Johannes Schmids (Wintertochter) Agnes steht dieses Vorgehen gezielt im Mittelpunkt, wenn Walter seine gemeinsame Geschichte mit der titelgebenden Frau in literarischer Form auf zunächst selbstreflexive Art zu einem Roman verarbeiten will. Der Sachbuchautor hat sich schon zuvor an fiktionalen Romanen versucht, doch die Verkaufszahlen bescherten ihm alles andere als den gewünschten Erfolg. Bei der Recherche für sein neues Sachbuch in einer Universitätsbibliothek fällt sein Blick sofort auf Agnes. Die unscheinbar und reizvoll zugleich wirkende Physikstudentin steht vor ihm am Kopierer, doch Walter begegnet er ihr noch ein weiteres Mal in der U-Bahn und wieder zieht es ihn zu ihr hin.
Dass die beiden wenig später in seiner Wohnung zusammen im Bett landen, klingt auf dem Papier bereits wie der typische Beginn einer Geschichte, doch erst mit Agnes' Vorschlag, Walter solle für seinen nächsten Roman ein Porträt über sie und die Entstehung ihrer Liebesbeziehung schreiben, beginnt der Regisseur in seinem Film ein ausuferndes Spiel zwischen Realität und Fiktion, dem sich beide Parteien irgendwann kaum noch entziehen können.
In Peter Stamms 1998 erschienenen Roman, der an Schulen in Baden-Württemberg auch heute noch zur Pflichtlektüre gehört und als Vorlage für den Film diente, verschiebt der Autor die Grenze zwischen seiner Geschichte und einer Geschichte innerhalb der Geschichte regelmäßig, so dass irgendwann nicht mehr klar trennbar ist, was dem unbenannten Ich-Erzähler wirklich widerfährt und was nur Teil seiner eigenen, aufgeschriebenen sowie fiktiv konstruierten Gedanken ist.
Der Regisseur gießt diese experimentelle, anspruchsvolle Form in eine filmische Struktur, die den Kern der Romanvorlage ebenso komplex wie stimulierend einfängt. Ein Song, der in einer Szene erst nur dumpf aus den Lautsprechern von Walters Laptop ertönt, wird in der nächsten Szene zum Soundtrack eines idyllischen Moments, der den gesamten Raum ausfüllt. Genauso wie sich der Autor ab einem bestimmten Punkt zwischen dem wirklichen Leben und dem von ihm erschaffenen, nach seinem Belieben manipulierten Leben kaum noch selbst wiederzufinden scheint, verliert sich auch der Zuschauer spätestens ab der Hälfte in den bewusst verwirrenden, vielschichtigen Bildern, die Schmid zu einem unklaren Bewusstseinsstrom montiert.
Auch wenn Hauptdarstellerin Odine Johne (Die Welle) in der Rolle von Agnes manchmal etwas unbeholfen agiert und die Chemie zwischen ihr und Walter, den Stephan Kampwirth (Fleisch ist mein Gemüse) mit souveräner Unsicherheit verkörpert, nicht immer einen idealen Eindruck erweckt, passt dieser Tonfall wiederum zum Wesen der Geschichte, welche ständige Interpretationen zulässt, ob die ausgesprochenen Worte nicht vielleicht absichtlich hölzern klingen, da sie Walter zuvor unüberlegt in seiner Geschichte aufgeschrieben hat.
Agnes regt somit fernab der zunehmend chaotischen Gefühlswelten seiner Figuren zum Nachdenken an, inwieweit das Leben von fremden Konstanten abhängig sein kann und wie sich spontane Momente sowie kontrollierte Bestimmungen überlappen und abstoßen. Während eines harmonischen Ausflugs am See sagt Walter zu Agnes, er könne seinen Roman momentan nicht weiterschreiben, da das Glück keine guten Geschichten hergeben würde. Später kehrt er immer und immer wieder zu diesem Gefühl zurück, auch wenn seine Realität längst eine andere geworden ist. Vielleicht ist ihm der perfekte Moment schon viel früher einfach nur entgangen.