Die Maschinen arbeiten unaufhörlich, das Atomkraftwerk schießt seinen giftigen Dampf in die Luft, das Land ist karg, die Stadt dunkel. Am Stadtrand werden Leichen wie Müllsäcke weggeworfen, Zwischenmenschliches ist komplett auf der Strecke geblieben und wird von Prostitution, Drogenmissbrauch und Mord gnadenlos im Keim erstickt: Willkommen in Bad City, dem Schauplatz des iranischen Vampirfilms „A Girl walks Home alone at Night.“ Dabei ist iranisch eigentlich nicht ganz richtig. Zwar sind Darsteller iranischer Herkunft und der Film in Farsi gedreht, produziert wurde er allerdings in Amerika (unter anderem von Elijah Wood). Manch einer mag sich jetzt vielleicht abgeschreckt abwenden, wenn hier von einem iranischen Vampirfilm mit Westernelementen gesprochen wird, aber halt: Mit „A Girl walks Home alone at Night“ haben wir nicht nur mit einem genialen Sammelsurium aus Filmzitaten und Genres zu tun, sondern auch mit einem der besten, weil atmosphärisch dichtesten und inszenatorisch brillantesten Filmbeiträge der letzten Jahren, der sowohl visuell, als auch inhaltlich unnachgiebig gefangen nimmt und zu einem wahren Traum für Cineasten avanciert.
Die wahre Bandbreite an filmischen Verweisen und Zitaten wächst dabei über die Kenntnisse des Kritikers hinaus, durch so viele verschiedene Genres bewegt sich der Film in seinen 99 Minuten. Und nicht nur bildsprachlich, sondern auch musikalisch. Musik ist wohl eines der größten Themen des Streifens, wie sie uns berührt und wie sie letztlich gar zum letzten künstlerischen Aspekt avanciert, der ein totes, auf Erden wandelndes Wesen noch emotional an diese Welt bindet. „A Girl walks Home alone at Night“ verbeugt sich cinematographisch nicht nur vor den Größten der Vampirfilme, den Western oder den Lynchs und Jarmusches, sondern bindet auch eine beeindruckende Auswahl an verschiedenen Musikgenres in seine Inszenierung hinein: Von Pop, über Elektro, bis hin zu Rock und Western à la Ennio Morricone ist hier alles verbaut. Und alles macht einen Sinn im Kontext und geht fast unvergleichlich einheitlich in der hier dargebotenen Geschichte auf. Kein Song, kein Zitat wirkt fehl am Platz, alles verbindet sich zu einem funktionierenden Ganzen und macht aus Geborgtem etwas Eigenes. Tarantino wäre stolz.
Die eigentliche Geschichte, die sich um den armen Arash, dessen Vater heroinabhängig ist und das undurchsichtige Mädchen mit dem dunklen Kopftuch und Umhang, welches ein düsteres Geheimnis mit sich trägt, dreht, ist dabei zwar zu keiner Zeit narrativ etwas Überraschendes, sie wird aber so wunderbar leise und dennoch eindringlich vorgetragen, dass dieser Kontrast, ebenso wie der Kontrast der erbarmungslosen Stadt und der tiefgehenden Emotionen unserer beiden Hauptcharaktere füreinander, absolut aufgeht. Hier haben wir es vielleicht mit einem der romantischsten Filme der letzten Zeit zu tun. Wenn Arash und das Mädchen das erste Mal gemeinsam in ihrer Kellerwohnung verweilen und einfach nur der Musik lauschen, dann ist das eine der ausdrucksstärksten und romantischsten Szenen der letzten Jahre. Und das ganz ohne Dialog. Bravo!
Manch einer mag wegen der argen Dialogarmut des Films vielleicht gelangweilt das Handtuch werfen, wenn man sich aber auf das Gezeigte einlässt (und das ist wohl die wichtigste Voraussetzung), dann wird der Zuschauer mit zwar seltenen, aber pointierten und scharfen Dialogzeilen belohnt, die jedem Charakter eine nötige und melancholische Tiefe verleihen. Was manch anderer Film innerhalb seiner gesamten Laufzeit nicht fertigbringt, das schafft „A Girl walks Home alone at Night“ in nur wenigen Sätzen: Seinen Figuren einen interessanten, nachvollziehbaren und mitreißenden Charakter zu geben, der die Welt um sie herum, wenn auch nie erklärt, absolut wirklich wirken lässt. Da ist es auch eine gute Sache, dass der Film sich einem kleinen Augenzwinkern nicht verwehrt und gerade seine komödiantischen Sequenzen einer Reihe von düsteren Momenten gegenüberstellt, die beide Richtungen des Films nur noch intensiver gestalten. Und dabei kommt „A Girl walks Home alone at Night“ fast komplett ohne Goreffekte aus.
Abgerundet wird dieser audiovisuelle Rausch, dieses Meisterwerk, letztlich durch die umwerfende Schauspielerleistung von Hauptdarstellerin Sheila Vand ("Argo"). Die Intensität, die sie alleine in ihre Blicke legen kann, erreichen manche Schauspieler ihr Leben lang nicht. Auch Arash Marandi ("Großstadtrevier") als Arash, Marshall Manesh ("How I met your Mother") als Vater und Mozhan Marnò ("House of Cards") als Prostituierte Atti brauchen sich darstellerisch nicht zu verstecken, gehen vor Vands Präsenz aber Reihenweise unter, ein vielleicht negativer Aspekt an diesem sonst großartigen Film, der innerhalb der Geschichte aber absolut Sinn macht. Wunderbar. Wunderbar, wie die akribisch genaue Inszenierung dieses Films, bei dem jede Einstellung, jeder Kamerschwenk und jede Unschärfe aufs genauste geplant und stimmig ausgeführt wirkt. Dieser Film wirkt einfach sowohl cinematographisch, als auch darstellerisch und narrativ wie aus einem Guss und wird dabei nur seltenst negativ plakativ. Die symbolische Bildsprache geht zum Großteil absolut auf und fügt sich einfach sehr stimmig in das Gezeigte ein. „A Girl walks Home alone at Night“ zeigt als bestes Beispiel, wie unglaublich ästhetisch sich das Medium Film präsentieren kann.