An einem verschneiten Morgen kehrt Suzon über Weihnachten nach Hause zurück. Ihre Mutter Gaby hat sie vom Bahnhof abgeholt und führt sie ins abgelegene Haus der Familie. Dort wird Suzon von ihrer Großmutter Mamy, ihrer jüngeren Schwester Catherine, von der Köchin Madame Chanel sowie von ihrer Tante Augustine und dem neuen Hausmädchen Louise empfangen. Lediglich Suzons Vater Marcel – der einzige Mann im Haus – lässt sich nicht blicken. Als Louise ihm sein Frühstück aufs Zimmer bringen will, entfährt ihr ein gellender Schrei, denn der Hausherr liegt tot in seinem Bett mit einem Messer im Rücken. Der Versuch, die Polizei zu rufen, scheitert, weil das Telefonkabel durchtrennt wurde. Auch das Auto springt nicht an. Daher sehen sich die Frauen gezwungen, selbst den Mörder zu finden. Durch den vielen Schnee, der das Verlassen des Anwesens unmöglich macht, wird ihnen schnell klar, dass eine von ihnen den Mord begangen haben muss.
Verlust und Vergänglichkeit, Sexualität und Begehren, Einsamkeit und Besinnung. Das Kino des Francois Ozon ist ein regelrechter Ballungsort urwüchsiger Empfindungen und Sehnsüchte. In Frantz, seinem bis dato letzten Film, der für viele die wohl beste Regiearbeit des französischen Tausendsassas darstellt, werden über die Begegnung einer verwitweten Deutschen und einem französischen Ex-Soldaten genau diese Gefühlsströmungen im melodramatischen Schwarz-Weiß freigelegt – und Ozon übernimmt sich in dieser Sintflut der Affekte keinesfalls. Der gebürtige Pariser nämlich besitzt ein außerordentliches Talent dahingehend, den Menschen an der Sollbruchstelle seiner emotionalen Prozesse abzuholen, was im Klartext bedeutet: Ob wir von Frantz, von Jung & Schön oder auch von In ihrem Haus sprechen. Ozon legt größten Wert darauf, eine Entwicklung zu beschreiben, anstatt gnadenlos in den Exzess zu stürzen.
Seine Filme funktionieren also, weil seine Charaktere greifbar gemacht und somit ihre Bedürfnisse geerdet. In 8 Frauen wird dieser Umstand besonders deutlich gemacht, weil Ozon sich in der Adaption eines Theaterstücks von Robert Thomas eigentlich nur der gnadenlosen Überspitzung widmen kann. Da werden die involvierten Damen zu Anfang erst einmal über verschiedene Blumenarten charakterisiert (von der Orchidee bis zur Sonnenblume ist alles vertreten), um dem Zuschauer dann ein hochherrschaftliches Anwesen zu präsentierten, in dem die Farben in einer derart quirligen Bonbonvehemenz aus dem Bildschirm strahlen, dass es einem den zuckersüßen Camp-Pelz auf die Zunge treibt. Aber all das hat Methode, denn Francois Ozon hat mit 8 Frauen einen Film konzipiert, in dem die Reinheit der Oberfläche kontinuierlich und mit reichlich Biss hinterfragt werden soll.
Der Blick hinter das tanzenden Funkeln des Diamantencollier steht in 8 Frauen zum Diskurs. Und hinter all der schwelgerischen Anmut, mit der Francois Ozon sein theatrales Setting ausgekleidet hat, hinter dem Agatha-Christie-artigen Ausgangspunkt, hinter den wunderbaren Musical-Einlagen, die sich als Moment der Offenbarung jeder einzelnen Figur veranschaulichen und hinter jenen Verbeugungen vor der Filmgeschichte, die in diesem Fall Alfred Hitchcock, Douglas Sirk, Rainer Werner Fassbinder und Jacques Demy umgreifen, demonstriert Ozon erneut seine wahre Könnerschaft: Das feinsinnige Nachspüren verdeckter Gefühlsbewegungen. 8 Frauen dringt immer tiefer in das Seelenleben seiner Charaktere ein und erklärt das bühnenhafte, ganz und gar flamboyante Ambiente zum Tanzboden, auf dem unausgesprochene Konflikte, Lebenslügen, Enttäuschungen, unterdrückte Leidenschaften und brennendes Verlangen aufkochen. Ein boulevardeskes Kollektivpsychogramm, wenn man so will. Ungemein kunstfertig inszeniert und formidabel gespielt.
Fazit
Was vorerst anmutet, wie eine bonbonbunte Hommage an das klassisch-kriminalistische Agatha-Christie-Narrativ, wird frühzeitig bereits mit der ersten Musical-Einlage transzendiert. "8 Frauen" ist flamboyantes Ensemblekino, welches sich sowohl einen Spaß daraus macht, Stereotype zu bedienen, um sich dann im nächsten Augenblick zu unterlaufen, aber gleichwohl als ernstzunehmendes Charakterportrait funktioniert. Die Schönheit der Oberfläche wird hinterfragt, der Moment der Wahrheit ist alles, was zählt.
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