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Bei einem Amoklauf in einer Bankfiliale erschießt ein 19-jähriger Student drei Menschen und sich selbst. In einer kühl gemischten, scheinbar unbeteiligten Abfolge zeigt Michael Haneke eine Chronologie in 71 Szenen.

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Quelle: themoviedb.org

Kritik

In den ersten beiden Teilen seiner Trilogie über die emotionale Vergletscherung der postindustriellen Konsumgesellschaft konfrontierte Michael Haneke (Funny Games) sein Publikum mit schockierenden Ereignissen, die regelrecht auf den Zuschauer einstürzten. Während dieses Ereignis in Der siebente Kontinent erst gegen Ende stattfand und in Benny’s Video ungefähr nach dem ersten Drittel, stellt es der Regisseur im dritten und letzten Teil seiner Trilogie direkt an den Anfang.

71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls wird von einer Texteinblendung eröffnet, die vom Amoklauf eines 19-jährigen Studenten berichtet, der an Weihnachten 1993 erst drei Menschen in einer Bankfiliale erschoss und sich mit der Waffe anschließend selbst richtete. Haneke stellt das Unausweichliche somit als Gewissheit in den Vordergrund, um es fortlaufend immer stärker verblassen zu lassen. Der Regisseur begibt sich aus dem eingeschränkten Mikrokosmos der Familie, in dem er sich zuvor bewegte, heraus und erweitert seine Perspektive um das Porträt einer ganzen Gesellschaft. Durch harte, abrupte Schnitte zerlegt er den Film in einzelne Fragmente, in denen er sich überwiegend mit Beobachtungen, Abläufen und Vorgängen beschäftigt. 

Mithilfe dieser Erzähltechnik radikalisiert der Regisseur seinen gewohnt unterkühlt-distanzierten Stil noch weiter und zeigt einzelne Menschen, die scheinbar ohne jegliche Verbindung zueinander in einem Wien leben, das nichts als graue Tristesse ausstrahlt. Obwohl Hanekes Figurenpersonal unterschiedlichste Mitglieder der Gesellschaft wie Studenten, Ehepaare, alleinstehende Rentner und obdachlose Flüchtlingskinder umfasst, eint sie der Regisseur allesamt durch den Umstand, kein Gefühl mehr für Zwischenmenschlichkeit verspüren zu können.

Verbunden durch Nachrichtenbeiträge, in denen es beispielsweise um den Bosnienkrieg oder den Prozess gegen Michael Jackson wegen Vorwürfen des Kindesmissbrauchs geht, wirken die spröde inszenierten sowie abgehakt montierten Szenen in 71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls noch abweisender als in den vorherigen Werken des Regisseurs. Trotz vereinzelter Momente, in denen es Haneke erneut eindringlich gelingt, die Einsamkeit seiner Figuren durch minimalistische Gesten oder unscheinbare Banalitäten nach außen zu kehren, scheint es so, als solle man als Zuschauer bewusst an den losen Fragmenten abprallen. 

Der Regisseur zwingt sein Publikum dazu, Leerstellen mit eigenen Reflexionen zu füllen, Bedeutung hinter Trivialem zu erkennen und Verbindungen zwischen einzelnen Handlungen zu spinnen, die er mit nüchterner, trockener Beiläufigkeit aneinanderreiht. Die anfangs angekündigte Tat des Einzelnen, welche am Ende des Films zu mehreren Toten führt, stellt der Regisseur ebenso gleichberechtigt auf eine Ebene wie den Diebstahl des Flüchtlingsjungen, der womöglich aus purer Verzweiflung ein Donald-Duck-Comic klaut, oder das minutenlange Telefonat eines Rentners, der mit seiner Tochter unentwegt in Streit ausbricht und dem es trotzdem nicht gelingt, den Hörer aus der Hand zu legen. 

Als Abschluss einer Trilogie markiert 71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls trotzdem den schwächsten Beitrag der drei Filme. Die chirurgische Kälte, mit der Haneke erfolgreich in einen Mikrokosmos einzudringen vermag, gestaltet dieses Werk über eine ganze Gesellschaft immer wieder als Geduldsprobe, bei der Szenen wie die des Studenten, der über Minuten hinweg gegen sich selbst eine Partie Tischtennis spielt, fast schon wie leere Provokation wirken, mit der der Regisseur seine Zuschauer an der Nase herumführen will. In den Fragmenten, in die Haneke seinen Film zerteilt, spiegeln sich so gleichermaßen bedeutende Augenblicke wie irritierende, nichtssagende Momente, die vom Betrachter unterschiedlich aufgefasst und gedeutet werden müssen. Neben einigen intensiven, bewegenden Facetten bedeutet 71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls also auch ein ganzes Stück Arbeit, zu der nicht jeder bereit sein dürfte.

Fazit

Als Querschnitt durch eine Gesellschaft, in der sämtliche Mitglieder unterschiedlicher Klassen und Zugehörigkeiten in Einsamkeit, Isolation und zwischenmenschlicher Kälte erstarren, bietet Michael Haneke in seinem fragmentarisch zersplitterten Werk „71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls“ genauso viele Momente von intensiver Eindringlichkeit wie banale, nichtssagende Fragezeichen. Der Regisseur fordert sein Publikum dazu heraus, eigene Gedanken zu den Geschehnissen anzustellen, doch gleichzeitig blockiert die spröde, distanzierte Inszenierung oftmals jeglichen Zugang zu den Figuren. Als Einstieg in Hanekes Schaffen ist dieses harte Stück Arbeit von einem Film somit gänzlich ungeeignet.

Kritik: Patrick Reinbott

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