Über den italienischen Kannibalenfilm – übergreifend oft als Mondo-Film bezeichnet – lässt sich problemlos die Nase rümpfen bzw. lässt sich diese besondere Filmgattung mühelos als abartig und verabscheuenswürdig verteufeln und in Teilen lässt sich diese Pauschalbeurteilung auch nur schwer widerlegen. Tatsächlich sind und waren die meisten Vertreter dieser sehr speziellen Zunft lediglich daran interessiert, möglichst radikale Gewaltdarstellungen vor exotischer Kulisse in ein voyeuristisches Korsett von nackter Haut, rassistisch angehauchter Weltdarstellung und mit nichts zu beschönigendem Tier-Snuff zu schnüren. Ganz davon freisprechen lässt sich auch Cannibal Holocaust bzw. Nackt und zerfleischt aus dem Jahr 1980 definitiv nicht, dennoch kann und muss der Film des in dieser Hinsicht bereits erfahrenen Ruggero Deodato (Mondo Cannibale 2 – Der Vogelmensch) weit über den qualitativen Durchschnitt seiner Artgenossen gehoben werden. Nicht nur wegen seiner ausgefeilten Handwerkskunst, sondern explizit durch seinen Found Footage Part, der sich erst in der zweiten Filmhälfte präsentiert und zum Besten zählt, was dieses oftmals völlig überflüssige und lediglich aus Kostenminimierung „sinnvolle“ Stilmittel narrativ zu bieten hat.
Die erste Hälfte von Cannibal Holocaust ist Mondo-Business as usual: Auf der Suche nach einem verschollenen Filmteam taucht ein westlicher Aufklärungstrupp ins Amazonasgebiet ein, trifft dort auf offensichtlich „wilde“ Eingeborene und wird von deren verstörenden Gewohnheiten sichtlich abgeschreckt. Da fährt Ruggero Deodato alles auf, was man auch bisher aus dem Genre kannte. Rüde Gewalt- und Vergewaltigungsszenen, ekligen Gore und natürlich auch vor der Kamera getötete Tiere, was rückwirkend mit fadenscheinigen Begründungen versucht wurde zu entschuldigen (von wegen, dass die getöteten Tiere hinterher ohnehin verspeist wurden). Wer bis dahin noch nicht abgeschaltet hat, wird aber entsprechend belohnt. Im Schlussakt, der nun fast ausschließlich das „verlorene“ Filmmaterial der Verschwundenen zeigt, wird plötzlich das übliche Narrativ aller Mondo-Filme auf den Kopf gestellt. Nicht die Eingeborenen, sondern die Eindringlinge aus der „zivilisierten“ Welt entpuppen sich als die wahren Barbaren und ihr Schicksal fühlt sich unter einem moralischen Standpunkt mehr als nur gerechtfertigt an. Der Film stellt sehr offensiv die Frage, wer denn nun die echten Kannibalen sein und ist als kontroverse, aber in seiner radikalen Form durchaus smarte Kritik an Mediengeilheit und skrupelloser Ausbeutung der Naturvölker durch die moderne Zivilisation zu sehen.
Das der Found Footage Part für seine Zeit eindeutig funktionierte, lässt sich an einer aus heutigen Sicht beinah lachhaften Strafanzeige gegen Deodato und sein Team festmachen. Viele glaubten, dass das Gezeigte tatsächlich nicht gestellt war und so musste der Regisseur eine Zeitlang sogar untertauchen und seine Karriere war danach nicht unbedingt ruiniert, er konnte sich danach aber nie wieder für höhere Aufgaben empfehlen und blieb schlicht in der Genre- und Gore-Blase gefangen, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 2022 immerhin oftmals kultisch verehrt wurde. Mit Recht, denn obwohl er mit keiner seiner Arbeiten jemals wieder diesen qualitativen Höhepunkt erreichte, ist Cannibal Holocaust nicht nur der mit weitem Abstand beste Film seines Sub-Genres, sondern einer der ersten und eindeutig besten Found Footage Filme, da das Stilmittel hier nicht nur erzählerisch komplett Sinn macht, sondern selten so eindringlich und technisch clever umgesetzt wurde wie hier.