Lidanoirs Gedanken zu Stephen King, dessen Schaffen sowie den zahlreichen Verfilmungen:
Stephen King begegnete mir literarisch erstmals in der Bahnhofsbuchhandlung, einem so speziellen Ort, dass dieser Text nur davon handeln könnte. Als Pendant zur Bibliothek werden Bahnhofsbuchhandlungen scheinbar regiert von kommerzieller Anarchie. Aber das täuscht! Bahnhofsbuchhandlungen sind sortiert nach einem ausgeklügelten System, individuelle entwickelt in jeder Filiale, das meist nur ein Mitarbeitender beherrscht und eines tragischen Tages mit ins Grab nimmt. Nicht, weil es so geheim wäre, sondern weil es so raffiniert ist, dass niemand anderes seine Feinheiten erfassen kann - was meist ein*e Neuangestellte*r vergeblich versucht. Aber trotz aller Bemühungen endet der Tag immer damit, dass Frau Schmiethubner-Grabowski mit missbilligendem Blick einen Band aus dem Karussell-Ständer nimmt und fragt: „Haben Sie die hier einsortiert? Die kommen ganz woanders hin…“
Von King wusste ich praktisch nichts: der US-amerikanische Horror-Autor der Buchvorlagen zu einigen Filmen, die ich trotz später Stunde im Fernsehen gesehen hatte. Die Sammlung Kurzgeschichten enthielt amüsanterweise The Monkey, eines Kings gruseligster Werke, auf dessen Verfilmung durch Osgood Perkins ich schon gespannt bin, und trug den Titel Der Fornit. Der Beginn einer kurzen, intensiven Lesebeziehung, wenn auch keiner ungetrübten. Menschlich betrachtet wirkt King echt okay. Er ist gegen die republikanische Partei. Er kritisiert die fanatischen Bücherverbote und ermutigt queere Kids zum Lesen jener verbotenen und öffentlich verdammten Bücher, unterstützt seine lesbische Tochter und respektiert trans Menschen. Sehr zum Ärger Terror-TERFs J.K. Rowling, die King auf X blockierte. Aber womöglich würde Rowling ihm wieder folgen, wäre sie vertrauter mit seinen Büchern.
Die sind randvoll mit queerfeindlichen Szenen, die meist keinerlei narrativen, psychologischen oder atmosphärischen Zweck erfüllen außer einen negativen Charakter noch negativer darzustellen und die Lesenden abzustoßen. Queerness existiert in Kings Universum nahezu ausschließlich assoziiert mit Perversion, Aggression und Geisteskrankheit. Die wenigen nicht dezidiert bösartigen queeren Charaktere sind mehrheitlich negativ besetzte Stereotypen. Auch das Frauenbild in Kings Büchern ist ambivalent. Doch während komplexe, starke Frauenfiguren als positives Gegenbild immerhin existieren - wie Dolores Claiborne, Carrie oder Rose Madder - kenne ich im gesamten King-Kosmos kein Beispiel positiver queerer Repräsentation. Wie erwähnt habe ich seine neuen Werke nicht weiterverfolgt, ist also möglich, dass sich da was getan hat. Aber wenn man sich Verschlimmbesserungen wie den IT 2 ansieht, fällt es schwer, daran zu glauben.
ist gelinde formuliert nicht Kings Stärke. Dass zeigt auch unangenehm seine chronische Verwendung des Magical Negro Trope. Das bedienen John Coffee in The Green Mile, Doc in The Shining und Mother Abigail in The Stand lehrbuchreif. Ganz ähnlich das Mystical Disabled Trope, das Neurodivergenz und mentale Einschränkung mit übersinnlichen Fähigkeiten verknüpft. Positive Ausnahmen gibt es: Marty in Cycle of the Werewolf oder Nick Andros in The Stand. Aber das ist kein Ausgleich für all die verkorksten Tropes und Stereotypen, nicht zu vergessen einige enorm creepy Sex-Szenen (It-Leser*innen wissen Bescheid). Ich hätte echt gerne geschrieben, dass Stephen King immer eine warmherzige Kindheitserinnerung sein wird. Leider geht das nicht so richtig. Aber hey, es hätte schlimmer sein können. J.K. Rowling …
Filmvorstellung:
Weil Dolores oben bereist erwähnt wird und hier näher vorgestellt, steht er nicht in der Top 3, in der Taylor Hackfords Drama sonst garantiert seinen Platz hätte. Hackford war nie ein sonderlich guter Regisseur und Tony Gilroy hat vielleicht zwei oder drei Filme geschrieben, die man nicht besser sofort verdrängt. Einer davon ist die Adaption eines der wenigen Werke, die zeigen, wie hervorragend King auch abseits seines favorisierten Genres sein konnte. Die Geschichte der titelgebenden Hausangestellten, die nach dem Unfalltod ihrer schwerreichen Arbeitgeberin unter Mordverdacht gerät - nicht zum ersten Mal, wie die Handlung vorantreibende Rückblenden enthüllen - konzentriert sich um die vielschichtigen Beziehungen dreier Frauen. Die scheinbar duldsame Dolores (Kathy Bates), ihre erfolgreiche erwachsene Tochter Selena (Jennifer Jason Leigh) und Dolores gebieterische Arbeitgeberin Vera (Judy Parfitt) werden vor allem dank des grandiosen Spiels der Darstellerinnen, angeführt von Bates, zu jede auf ihre Art verletzten Figuren, deren Zusammenhalt in entscheidenden Momenten die Bedäuting und Stärke weiblicher Solidarität in einer Männerwelt (ebenfalls überzeugend: Christopher Plummer als hartnäckiger Ermittler) zeigt. Die kalte, diesige Szenerie wird zur atmosphärischen Analogie der harschen Umstände, denen die unscheinbare Heldin des fesselnden Psychodramas trotzt.
Lidanoirs Top 3 an filmischen King-Adaptionen:
1. The Shining
2. Stand By Me
3. Misery