Bildnachweis: © Cold Symmetry / Playstack

Videospiel "Mortal Shell" im Test

von Sebastian Stumbek

Story

Mortal Shell ist in einer düsteren Zukunft angesiedelt, in der Leichen und groteske Gestalten über die Erde wandeln und von der einstigen Menschheit nichts mehr übrig geblieben ist. Der Spieler schlüpft in die Rolle eines Geistes, der in die Körper gefallener Krieger schlüpfen kann, um deren Kräfte und Fähigkeiten zu übernehmen. Als namenloser Held ist es unsere Aufgabe, einem mysteriösen Fremden seltene Drüsen zu aus den Tiefen der drei Tempel von Fallgrim zu beschaffen.

Kritik

Das vom japanischen Entwicklerstudio From Software begründete Soulslike-Genre hat sein einstiges Nischendasein unter Hardcore-Gamern schon längst verlassen, heute schießen neue Vertreter wie Pilze aus dem Boden und finden weltweit immer mehr Fans. Viele der von der Konkurrenz entwickelten Titel greifen zwar die gängige Formel des Genres auf, versuchten ihre Werke aber in neue Richtungen zu lenken, so beispielsweise The Surge, das uns in eine dystopische Sci-Fi-Welt voller Maschinen schickt, oder Nioh, das uns in ein mythologisches Japan führt. Ein kleines Kernteam von gerade einmal 4 Entwicklern, das sich 2017 unter dem Namen Cold Symmetry zusammenschloss, möchte gar nicht so viel anders machen. Ihr gerade veröffentlichtes Action-RPG Mortal Shell nahm sich direkt den Genre-Primus Dark Souls als Vorbild, ist trotz seiner unverkennbaren Anlehnung aber nicht bloß eine billige Kopie, sondern eine regelrechte Liebeserklärung daran, die obendrein auch ein paar richtig gute Ideen auf den Tisch bringt, um auf eigenen Füßen zu stehen.

Wir beginnen das Abenteuer gewohnt mysteriös und verwirrend: Wer wir sind und wo wir sind, ist völlig unklar, auch unsere Aufgabe erschließt sich uns erst mit der Zeit. Erklärende Zwischensequenzen oder aufschlussreiche Dialoge suchen wir vergebens, aus kryptischen Gesprächen mit einigen wenigen NPCs und gefundenen Lore-Fetzen versucht man sich mit der Zeit selbst einen Reim aus alledem zu machen. Wer klassische Erzählungen, die uns an die Hand nehmen, bevorzugt, wird sich wohl etwas verloren fühlen. Mortal Shell setzt, wie auch seine Vorbilder, voll und ganz auf Atmosphäre, was dem Spiel dank seines fantastischen Art-Works – von den kunstvoll entworfenen Gegenden bis hin zum abgefahrenen Kreaturen-Design – wunderbar gelingt. Vom Look her näher an Dark Souls war wohl noch keiner. Dass die Engine selbst keine Höchstleistungen auffährt und bei genauerem Hinschauen kleine Schwächen wie etwas matschige Texturen offenbart, ist verzeihbar, der Style wiegt vieles wieder auf, sodass das Spiel sehr hübsch anzusehen ist. 

Sobald wir uns im Startgebiet, einem weitläufigen Sumpf, der quasi als Hub-Welt fungiert, etwas zurechtgefunden haben, wird auch unser Ziel etwas klarer: Wir sollen drei Gebiete bereisen und jeweils einen dortigen Boss besiegen, um seltene Drüsen zu erhalten, die wir einem mysteriösen Fremden mit Pestmaske übergeben sollen. So kommen wir in beliebiger Reihenfolge in eine Eiswelt, in eine höllische Tempelanlage, die vom Look her aus einem Doom-Spiel sein könnte, sowie in eine abstrakte Welt voller Steinquader, die an die futuristischen Gegenden aus Destiny erinnert. Mit rund 20 Stunden Spielzeit ist Mortal Shell innerhalb seines Genres zwar recht kompakt ausgefallen, zeigt sich dafür aber sehr fokussiert und abwechslungsreich (und wird zum Release zu einem fairen Preis von gerade einmal 30€ angeboten). Anders als in Dark Souls und Co. sind die Gebiete etwas linearer angelegt und weniger verzweigt, unsere Route ist meistens klar auszumachen. Zu entdecken gibt es abseits des Weges dennoch viel für Spieler, die die Augen nach Verborgenem offen halten.

Unser Held ist zu Beginn nur eine Art Geist, der in der brutalen Welt von Mortal Shell kaum überlebensfähig ist. Er ist aber in der Lage, in die leblosen Körper gefallener Krieger zu schlüpfen (daher der Name des Spiels, der übersetzt "sterbliche Hülle" bedeutet). Insgesamt vier davon gibt es zu finden, sie alle unterscheiden sich spielerisch deutlich voneinander. Über die Leiche von Harros stolpern wir gleich zu Beginn. Seine Werte in Zähigkeit, Ausdauer und Entschlossenheit (dazu später mehr) sind allesamt ausgeglichen, er ist also quasi der Allrounder. Eredim ist der Tank der Truppe, der unheimlich viel einstecken kann, dem dafür aber schnell die Puste ausgeht. Tiel ist das genaue Gegenteil, mit der höchsten Ausdauer ist er wahnsinnig agil, verträgt aber nur sehr wenig Schaden. Und mit Solomon gibt es noch eine Art Magier, der mit hohen Entschlossenheitswerten die meisten Fähigkeiten auslösen kann. 

In Mortal Shell sind alle vier Charaktere vordefiniert, wir sammeln also keine Erfahrungspunkte und spielen nicht an ihren Attributwerten. Um dennoch ein wenig Individualisierung zu ermöglichen, hat jeder von ihnen 10 einzigartige Skills, die wir mit ausreichend gesammelten Seelen besiegter Gegner freischalten können. Dadurch erhält Tiel beispielsweise die Möglichkeit, im Kampf Giftwolken freizusetzen und sich in ihnen zu heilen, was Gefechte deutlich erleichtert. Auch die anderen kommen mit nützlichen Fähigkeiten daher. Wechseln können wir unsere Shells übrigens jederzeit, um uns so bei Bedarf auch innerhalb eines Spielgangs auf bestimmte Situationen einstellen.

Wie es sich für das Genre gehört, fallen Kämpfe sehr herausfordernd aus. Wir können entweder stark und schwach zuschlagen, Angriffe parieren oder im richtigen Moment ausweichen. Fehler werden nur selten verziehen und enden schnell im Tod. Mortal Shell ist dennoch nie unfair, jede Situation lässt sich meistern, wenn man taktisch vorgeht, das Timing bedenkt und ein wenig Geschick an den Tag legt. Werden wir doch einmal besiegt, bedeutet das nicht gleich das Ende, wir erhalten nämlich zunächst eine zweite Chance. Unser Geist wird dabei aus dem Körper geschleudert, während die Zeit kurzzeitig stillsteht. Nun können wir entweder auf Risiko in der "nackten" Form weiterkämpfen, was bei einem weiteren kassierten Treffer aber schon wieder vorbei wäre, oder aber wir schaffen es erneut in unsere Hülle zu schlüpfen, um wieder "lebendig" zu werden. Klappt jedoch nur einmal, sonst wäre es zu viel des Guten.

Unsere Hülle hat noch eine weitere tolle Eigenschaft: Wir können auf Wunsch jederzeit zu Stein erstarren, was uns immun gegen den nächsten gegnerischen Angriff macht. Bewegen können wir uns währenddessen zwar nicht, die Mechanik ermöglicht uns jederzeit einen kurzzeitigen Schutz und ersetzt den klassischen Block anderer Spiele. Doch auch hier muss mit Bedacht gehandelt werden, zwar ist das Feature beliebig oft einsetzbar, jedoch immer erst nach einem Cooldown. Mortal Shell belohnt und fördert übrigens aggressives Vorgehen, indem wir bei schnellem Ausschalten von Gegnern besonders viel Entschlossenheit sammeln und durch das Verhärten und wieder hineinschlüpfen in unsere Hülle eine gewisse Absicherung erhalten. Den Speed eines Sekiro oder Bloodborne erreichen wir hier zwar nicht, dennoch spielen sich Kämpfe sehr flott und durch die vermittelte Wucht überaus befriedigend und spaßig. Lediglich das Treffer-Feedback könnte etwas genauer sein, den Feinschliff eines From-Titels vermisst man gelegentlich.

Durch gesammelte Entschlossenheit führen wir im Kampf zudem einige tolle Spezialangriffe aus, die entweder beim Parieren ausgelöst werden, oder für besonders starke, effektvoll inszenierte Angriffe genutzt werden. Auch zur Heilung wird sie benötigt, denn gängige Heiltränke gibt es in Mortal Shell nicht. Zwar gibt es einige wenige Items, die uns etwas Lebensenergie spenden, sie müssen aber mühselig gefarmt werden und helfen nur bedingt. Um also vor allem in den knackigen Boss-Fights bestehen zu können, wird man sich genau überlegen müssen, wie man seine Entschlossenheit sinnvoll einsetzt. Insgesamt vier Nahkampfwaffen gibt es übrigens in Mortal Shell: Ein Kurz- und ein Langschwer, einen Streitkolben sowie einen Hammer mitsamt Meißel. Jede davon bringt eigene Vor- und Nachteile mit sich und erlaubt einen jeweils anderen Spielstil. Auch lassen sie sich, wenn die nötigen Items gefunden wurden, ein klein wenig verbessern, verursachen dadurch mehr Schaden oder bekommen coole Spezialeffekte wie Feuer- oder Eiseffekte hinzu. Darüber hinaus gibt es auch eine Fernkampfwaffe zu entdecken, die Ballistazooka, mit der wir Gegner auch aus Entfernung aufs Korn nehmen können. Das Angebot an Waffen mag nicht überwältigend sein, das Handling jeder einzelnen zeigt sich aber gut durchdacht und bringt im Einsatz auf seine Weise reichlich Spaß. 


Fazit

Was ein kleines Team hier auf die Beine gestellt hat ist höchst beeindruckend. "Mortal Shell" kann es mit seinem großen Vorbild "Dark Souls" zwar nicht gänzlich aufnehmen, dazu fehlt es an etwas Feinschliff, Umfang und Komplexität, schlägt sich in seiner jetzigen Form aber dennoch außerordentlich gut. Und das ist für ein erstes Game eines kleinen Studios bereits mehr, als man erwarten dürfte. Man darf gespannt sein, was den talentierten Leuten von Cold Symmetry als Nächstes gelingt, wenn sie mit einem größeren Team und mehr Budget arbeiten, das richtige Gespür für Ästhetik und spielerisch durchdachte Mechaniken haben sie definitiv. Fans des Soulslike-Genres dürfen bei "Mortal Shell" auf jeden Fall zugreifen, es erwartet sie ein atmosphärisch starker Titel mit fantastischem Art-Design in einer faszinierenden Welt mit packend inszenierten Kämpfen. Wer "Dark Souls" liebt, wird sicherlich auch von seinem kleinen Bruder angetan sein.

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