Immer wieder ertappt man sich selbst dabei, wie man einer beliebigen Serie, die international von renommierten Kritikern mal wieder mit einem einhelligen Jubeltenor bedacht wurde, das baldige Staffelfinale wünscht. Das hat dann auch nicht prinzipiell etwas damit zu tun, dass das Format mit erheblichen Qualitätsdefizite zu ringen hat; vielmehr fällt zunehmend auf, wie einzelne Staffeln künstlich aufgebauscht werden und sich folgerichtig ungemein schwer darin tun, die Geschichte sequenziell weiterzuentwickeln: Die Vormachtstellung wird zwar nicht von einer gähnenden Leere eingenommen, aber das durchhängende Gefühl lässt sich nun mal nicht kaschieren, auch nicht vom hinterhältigen Cliffhanger, der den Zuschauer am Ende jeder Episode repetitiv dazu animiert, in der nächsten Woche doch wieder vor der Mattscheibe Platz zunehmen. Wie schön ist es also auf einen Markt, dessen Standard der forcierte Überdruss scheint, es mit einer Serie wie Steven Knights „Peaky Blinders“ zu tun zu bekommen.
Das von BBC ins Leben gerufene Format nämlich hat verstanden, dass Qualität selbstverständlich nicht immer aus der Quantität gebiert und beschränkt sich auf komprimierte sechs Folgen mit einer jeweiligen Lauflänge von angenehmen sechzig Minuten: Entlastung für die so belasteten Sehgewohnheiten. Und das wirklich Schöne an „Peaky Blinders“ kommt erst noch: Die erste Staffel ist dazu auch verdammt stark und erweckt nicht den Verdacht, das einzelne Handlungsstränge womöglich zu kurz gekommen sind und dem formelhaften Zweck wegen kurzerhand abgehakt und weggeschoben wurden. „Peaky Blinders“ entführt uns in das Birmingham der 1920er Jahre, ein historisches Zeitalter, welches sich geschunden durch die Folgen des Krieges zeigt und gestandene Männer als gebrochene Persönlichkeiten in ihre Heimat zurückkehren lassen hat. Wie es die Serie allein in kürzester Zeit vollbringt, die sich im Schmutz suhlende Industriestadt Birmingham zu charakterisieren, ist schon große Kunst, gerade weil es vielen anderen Filmemacher in der Vergangenheit ungemein schwer fiel, ihre rekonstruierte Stadtporträts mit einem rechten Gefühl für das Zeitkolorit zu verknüpfen.
Die erste Staffel von „Peaky Blinders“ ist ein Period Picture aus dem Lehrbuch, jedoch ohne so verklemmt-akademisch zu erscheinen. Einen solch verschandelten, ständig aus allen Rohren keuchenden Mikrokosmos wie Birmingham in all seiner Verdorbenheit nicht als Projektionsfläche für einen zelebrierten Elendsporno zu instrumentalisieren, ist der einzig richtige Weg, wenn man sich eine gewisse Glaubwürdigkeit im Umgang mit seinem Sujet bewahren möchte. Und „Peaky Blinders“ bewahrt sie diese zweifelsohne, gerade auch deshalb, weil er sich dem Gangster-Enthusiamus nicht in ganzen Stücken hinwirft, sondern seine harten Kerls auch immer als innerlich gebrochene Charaktere versteht, die an den von der Gesellschaft aufgezwungenen Geschlechterrollen im stillen Kämmerlein verzweifeln – Wenn sie nicht wieder vom Schrecken der Front eingeholt werden. Hauptakteur Thomas Shelby (Cillian Murphy) zum Beispiel wird für immer im Krieg bleiben und einzig dubiose Substanzen helfen ihm dazu, nachts überhaupt ein Augen zu schließen, während andere Heimkehrer die verfeindete Soldaten auf jeder Ladefläche zu erspähen glauben.
Der eingeschworende Shelby-Familienclan jedenfalls ist Gravitationszentrum der Handlung und das kriminelle Gewerbe – manipulierte Pferderennen – gibt der Geschichte schließlich ihre emotionale Fallhöhe. Mit dem engagierten Chief Inspector Chester Campbell (Sam Neill), der auf den Auftrag von Winston Churchill höchstpersönlich nach Birmingham geschickt wurde, um eine Kiste Waffen der Royal Army aus den Händen der Peaky Blinders zu entwenden und die Stadt im gleichen Schritt vom Verbrechen zu säubern, bahnt sich die gute, alte Gut-vs-Böse-Didaktik an; und „Peaky Blinders“ findet zuweilen erhebliches Gefallen daran, die Klischees der Parallelisierung beider Fraktionen zu reproduzieren. Und doch überstilisiert er keine von beiden Seiten, er lässt dem antizipierenden und strategisch arbeitenden Thomas genauso viel Ambivalenz, wie dem stringenten Chief Inspector, zeigt sie wohlgesonnen und mit sozialem Gewissen, im nächsten Moment aber ebenso egoistisch wie verroht. Das macht sie natürlich menschlich und auf ihrer konträre, aber doch so ähnliche Art menschlich. Vor allem ist es auch mal wieder sehr erfreulich, dass talentierten Darstellern wie Cillian Murphy und Sam Neill eine angebrachte Plattform dargeboten wird, um ihr Können zu verdeutlichen.
Man könnte es selbstredend auch als 'konstruiert' und 'berechnend' titulieren, dass Grace (Annabelle Wallis) ausgerechnet zum „Love interest“ für Thomas wird, wo sie doch eigentlich als verdeckte Agentin Seite an Seite mit Campbell partizipiert. Annabelle Wallis jedoch agiert nuanciert und vielseitig, weiß ihre Weiblichkeit auszuspielen, kann aber auch auf den Tisch hauen, wenn es die Situation fordert. In jedem Fall sieht sich „Peaky Blinders“ nicht dazu gezwungen, seine männlichen Genre-Anleihen mit stumpfen Männerphantasien vom „allmächtigen Gangster“ zu assoziieren. Poser sucht mach vergebens, vielmehr sind sie alle in Wahrheit doch so sensibel und müssen sich alsbald eingestehen – nachdem sie mit ihrer Maxime der Ehre gebrochen haben -, dass der schlimmste Schmerz, den man erfahren kann, doch immer noch der eines gebrochenen Herzens ist. Aber, und dabei bleibt es wohl auf ewig: Love is blindness...