Story
Pablo Escobar ist es gelungen, in einer spektakulären Nacht- und Nebelaktion aus seinem Gefängnis, La Catedral, zu entfliehen. Während die DEA-Agenten Murphy und Peña weiterhin ihren Lebensinhalt dahingehend investieren, den Drogenboss dingfest zu machen, hat sich auch ein Todesschwadron namens Los Pepes ebenfalls zur Aufgabe gemacht, Escobar zur Schlachtbank zu führen. Und dann wären da natürlich noch die Diskrepanzen mit dem Cali-Kartell, welche die Luft für Escobar noch dünner machen...
Kritik
„Wenn man die Familie eines Mannes bedroht, erfährt man, aus welchem Holz er geschnitzt ist. Pablo Escobar bestand aus Zorn, Terror, Vergeltung.“ Schon die erste Staffel hat mehr als nur angedeutet, was in der zweiten Staffel von Narcos nun endgültig bestätigt wurde: Hier wurde Seriengeschichte geschrieben, und man möchte allen Beteiligten im Vor- und Hintergrund der Netflix-Eigenproduktion nur seine Dankbarkeit für dieses Format aussprechen. Warum sich Narcos aber nun selbst übertroffen hat, lässt sich mit dem zeitlichen Umfang der Erzählung belegen: Waren die ersten zehn Folgen der Serie noch auf eine gigantische Spanne von fünfzehn Jahren ausgedehnt, um den Aufstieg von Pablo Escobar (Wagner Moura, Elite Squad – Im Sumpf der Korruption) nachzuzeichnen und damit seine politische wie wirtschaftliche Macht zu demonstrieren, konzentriert sich die zweite Season nun auf die letzten achtzehn Monate im Leben des sagenumwobenen Schneekönigs aus Medellín.
Und 'konzentriert' ist genau das richtige Wort an dieser Stelle: Sicherlich gestaltete sich Narcos von Beginn an als minutiöses, hochgradig ambitioniertes und durchgehend packendes Nachempfinden von Tatsachen, die aus dramaturgischen Gründen hier und da etwas Besuch von der Fiktion bekamen – Faktenorientierung aber war immerzu das oberste Gebot. Durch die zeitliche Komprimierung erfolgt nun auch folgerichtig eine klare Verdichtung, die sich sowohl im Narrativ, als auch in der auf das Ende von Pablo Escobar drängenden Atmosphäre manifestiert: Don Pablo, der Mythos, die Legende, muss fallen – und Narcos wird ihn dadurch zurück unter die Menschen bringen, wie DEA-Agent Murphy (Boyd Holbrook, Run All Night) in der letzten Episode feststellt: Das überlebensgroße Böse verliert seine Macht und schrumpft zum Miniaturmodell seiner selbst, wenn es erst einmal blutet. Und dort haben wir erneut das Leitmotiv der Serie, die Relativität der Dinge, auf den Punkt gebracht.
Gut und Böse, das sind vage Schemata, die Narcos niemals in Reproduktion bedient, sondern transzendiert. Pablo Escobar ist seit jeher ein enigmatischer Widerspruch in sich selbst: Wir sehen ihn als Familienmann, begeisterungsfähig für die Arglosigkeit seiner Sprösslinge, liebevoll und, ja, väterlich. Im nächsten Moment aber zeigt Pablo Escobar, dass er ohne Skrupel Bombenanschläge in der Innenstadt von Bogotá veranlässt, denen unzählige Kinder zum Opfer fallen. Escobar ist eine menschliche Grauzone, was seine Persönlichkeit so faszinierend macht und für den Zuschauer oftmals als äußerst diffizilen Umstand, diesem Charakter mit den angebrachten Empfindungen zu begegnen – eben weil es kein Gut und kein Böse gibt. Darsteller Wagner Moura schwingt sich indes erneut zu Höchstleistungen auf, um diesen Ambivalenzen bestmöglich gerecht zu werden: Immer wieder braucht es nur einige Blicke, um das paradoxe Naturell des Drogenbosses auf den Punkt zu bringen, wenn in Mouras Augen zuvor noch so etwas wie Güte schimmerte und im nächsten Moment das Feuer der Rachsucht lodert.
Obwohl man sich, sollte man sich schon ein Stück weit mit dem Auf- und Abstieg von Pablo Escobar beschäftigt haben, darüber im Klaren ist, wohin die Hetzjagd nach dem Don führen wird, bleibt Narcos aufmerksamer, durchweg getriebener Polit-Thrill, welcher sowohl zu seinen Genre-Anleihen steht (José Padillah nannte Narcos unlängst eine Hommage an Martin Scorseses GoodFellas – Drei Jahrzehnte in der Mafia), gleichwohl aber auch um seinen dokumentarischen Gehalt bewusst ist. Reißerisch jedenfalls artikuliert sich Narcos niemals, stattdessen lernt man inmitten dieser akribischen Detailmanie noch etwas über die Verstrebungen, die Escobars Kokainimperium und all seine Ableger initiierten: Das gesellschaftspolitischen Nachspiel wird detailliert im Panoramablick des veritablen Spannungskino abgezirkelt und entlädt sich in einem Anflug von magischem Surrealismus, der Kolumbien als Ballungsraum des Unbegreiflichen und Bizarren definiert, der ein Königreich aber letztlich auch nicht davor bewahrt, in Trümmer geschlagen zu werden.
Technischer Part
Die 3-Disc Blu-ray von Polybang (Veröffentlichung: 4. September) überzeugt durch eine fehlerfreie, tiefenscharfe Bildauflösung und ein klares Tondesign. Die 10 Episoden der Staffel dürfen sich also definitiv als wahrer Augen- und Ohrenschmaus bezeichnen lassen. Das Bonusmaterial indes beläuft sich auf Entfallene Szenen, Interviews mit Cast & Crew und einen Audiokommentar.
Fazit
Glückwunsch an alle Beteiligten: Hier wurde Seriengeschichte geschrieben. Die zweite Staffel von "Narcos" bestätigt sich als verdichteter Panoramablick, der sich umfassend mit den politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Dimensionen beschäftigt, die Pablo Escobars Imperium aufgefächert hat. Dazu ist die Serie herausragend inszeniert, zwischen elaborierten Götterperspektiven und dynamischen Handkamerabewegungen, und formidabel gespielt. Ein echter Gewinn!