Rocky Balboa. Ein Name, den man sich am ehesten in neongrellen Lettern am Kopfe der Außenfassade einer Arena vorstellen möchte. Inzwischen hat sein Name ja tatsächlich auf einem gigantischen Plakat Platz gefunden, welches die gesamte Front des Operettenhauses in Hamburg einzunehmen weiß und auf das durchaus erfolgreiche Musical im Inneren des Theaters an der Reeperbahn aufmerksam macht, in dem sich Drew Sarich über eine Laufzeit von üppigen 140 Minuten in die Herzen des Publikums boxen darf. Aber natürlich assoziieren wir diese fiktive Kunstfigur nicht mit dem in St. Louis geborenen Drew Sarich, sondern mit einem ganz anderen Kaliber: Sylvester Stallone. Ein Darsteller, den man für seine muskelbepackten Vorstellungen verdrießlicher Alleskönner in verschiedenen Action-Filmen kennen, aber nicht lieben gelernt hat. Stattdessen war es die Underdog-Saga „Rocky“ im Jahre 1976, die nicht nur Sylvester Stallone quasi über Nacht zum Superstar gemacht hat, sondern auch eine innige Liebe zu Rocky Balboa initiiere, von der wir heute noch reichhaltig zehren.
Warum aber sind wir diesem Rocky Balboa so verfallen? Diesem Kleinganoven aus der Unterschicht von Philadelphia, der in der Dämmerung und im Morgengrauen die Fäuste für einen lokalen Kredithai fliegen hat lassen, bis er sein kämpferisches Talent auch im Ring bewiesen hat. Die Antwort liegt auf der Hand: Dieser Rocky Balboa ist ein Charakter von Format, der mit einer größtmöglichen Plastizität von Sylvester Stallone behandelt (heißt: geschrieben und verkörprt) und von John G. Avildsen auf die Leinwände gebracht wurde. Selten viel es leichter, sich mit einer Figur aus dem Mainstream-Kino anzufreunden, ist Rocky Balboa zwar keine Persönlichkeit, die sich immer geflissentlich aus Problemen herausgehalten hat, aber eine, die ihre Fehler nicht begangen hat, um anderen Menschen frohen Mutes Leid beizufügen. Rocky Balboa ist, das muss man so grobschlächtig formulieren, herzensgut. Ob als Versager oder als mit Blessuren übersäter Held der johlenden Massen. Und auf diesem Fundament baut alles, was Rocky Balboa ausmacht: Seine immense Herzensgüte.
Genau deswegen strahlt sein Name auch zwangsläufig heller, als er es selber jemals wahrnehmen würde: Rocky möchte kein Held sein, mit dessen Namen an allen Ecken und Enden der Stadt geworben wird, ihm wäre es – im übertragenen Sinne – auch recht, seinen Namen auf einem Sozialgeldantrag zu entdecken – mit seinem Charakter, seiner Selbstwahrnehmung, würde dieser herbe Kontrast nichts anstellen, Ruhm und mediale Popularität haben keinen Einfluss auf das Verhalten und die Entscheidungen seiner Person. Rocky Balboa ist einer von uns, wir wurden niemals von seinem ersprießlichen Markennamen verdrängt, weil sein Kampfgeist, sein Siegeswillen, immer menschlich bleibt, weil der Weltmeistergürtel ihn zwar ehrt und mit Stolz erfüllte, er aber niemals abgehoben ist und die sportlichen Triumphe für sich allein ausgekostet hat: Wenn Rocky die Arme gen Himmel reckte, dann durften wir, das Publikum, die Fans, das Volk, ebenfalls die Arme hochwerfen, weil seine Erfolge immer Andenken der Hoffnung für Jedermann bedeuten.
Und das ist ein ganz entscheidender Punkt, der den Mythos hinter dem florierenden „Rocky“-Franchise sowie dem dazugehörigen Heldenzyklus so standhaft macht: Rocky symbolisiert voller Humanismus den amerikanischen Traum; er beweist uns, dass man es zu etwas schaffen kann, wenn man seine Chance nur rechtzeitig ergreift und sich das nimmt, was einem rechtmäßig dargereicht wird. Eine romantische Naivität, nicht wahr? Aber genau das spornt nicht selten an, doch noch einmal Kraftreserven zu mobilisieren, die man eigentlich schon verloren geglaubt hatte. „Rocky“ jedenfalls tut alles dafür, dass die Menschen vor den Bildschirmen ihren internistischen Antrieb aktivieren, es sich selbst zu beweisen. Dafür muss man kein Intellektueller sein, Rocky Balboa besiegt den Verstand mit seiner aufrichtigen Güte; seine Sprache bleibt die des Herzens: Aufstehen, immer wieder. Einstecken, nicht nur austeilen. Dieses in blau, weiß und rot lodernde Licht am hollywood'schen Firmament, eingefangen in den (Tiger-)Augen von Rocky Balboa, hat die Massen infiziert – doch dieser aus reinem Pathos destillierte Virus trägt keine letalen Konsequenzen mit sich.
Stattdessen darf man wieder träumen – von einem besseren Leben, einer besseren Welt, wenngleich ein herbes Erwachen nicht ausgeschlossen ist. Auch nicht für die, die es geschafft haben, auf den höchsten Wolken treiben zu dürfen. Man kann daher auch problemlos verstehen, warum ein Rocky Balboa als blendendes Vorbild fungiert: Er hat ein Milieu aus Kriminalität und Arbeitslosigkeit durch pure Willenskraft überwunden, seine Klasse gezeigt und gefördert, aber auch im Moment des Scheiterns, des finanziellen Ruins, immer noch die Größe gehabt, den Schritt zurück in Würde anzutreten. Das Gewebe des Erfolgs ist dünn gesponnen und zerreißt schneller, als man glauben mag, doch was zählt, ist der Mensch, seine Standhaftigkeit, sein Courage, Rückschläge als Prüfungen anzunehmen. Und Rocky ist einer dieser (fiktiven) Menschen, deren Funkeln weit über den filmischen Rahmen hinaus ragen; denen man sich gerne anschließt, weil man weiß, man wird so genommen, wie man ist, weil man hier nicht unter Maschinen verkehrt, sondern immerzu unter seinesgleichen verweilen darf.
Am 14.01. startet mit „Creed - Rocky's Legacy“ die nunmehr siebte Ausformung des „Rocky“-Franchise in den deutschen Kinos und präsentiert erneut einen Rocky Balboa, der sich und seinen Prinzipien treugeblieben ist - ähnlich wie Sylvester Stallone, der kürzlich erst für seine hiesige Performance mit dem Golden Globe honoriert wurde. Das Erfolgsrezept bewährt sich dementsprechend weiterhin und wird gleichermaßen an die nächste Generation vererbt: Menschlichkeit führt zum Ziel.