1. Highlights aus den Kinosälen:
Transit - Virtuos verknüpft Christian Petzold, der sich diesem dunklen Kapitel der Landesgeschichte schon in seinem vorherigen Werk Phoenix auf ungewöhnliche Weise als Film noir genähert hat, die NS-Vergangenheit Deutschlands mit der Flüchtlingskrise der Gegenwart, um beide Themenkomplexe ineinander zu verschränken und das Kino selbst in einen Transitraum zu verwandeln, der die vielen Flüchtigen in eine Art Vorhölle des Stillstands verbannt. Zwischen surrealem Flüchtlingsdrama, einer außergewöhnlichen Vierecksbeziehung zwischen drei Menschen und einem melodramatischen Tango zwischen dem Reich der Lebenden und Toten inszeniert der Regisseur diesen überwältigenden Film. Zurück bleibt in Petzolds Meisterwerk die Frage, ob es bei einer Trennung der Verlassene oder der Verlassende ist, der länger braucht, um über die zerbrochene Beziehung hinweg zu kommen. Zum Glück gibt es das Kino und Filme wie Transit, der einem diese Frage zwar nicht beantworten kann, aber dafür umso eindringlicher näherbringt und noch Stunden nach der Sichtung wie ein flüchtiges Irrlicht in den Gedanken umherkreisen lässt.
Der seidene Faden - Kein weiterer Film über den destruktiven Größenwahn des besessenen, verschrobenen Künstlers, sondern ein im besten Sinne klassisch erzählter Film über das unkontrollierte Ausmaß einer Liebe, die sich auf komplizierte Weise zwischen den beiden Betroffenen hin und her schlängelt wie eine Giftschlange, die nur darauf wartet, das erste Mal verheerend zuzubeißen. Bis zum überraschenden Abschluss bewahrt sich Paul Thomas Anderson in seinem Werk den Glauben an eine Liebe aufrecht, die selbst über Umwege, bei denen der Regisseur den toxischen Faktor dieser außergewöhnlichen Liebesgeschichte nur allzu wörtlich nimmt, einen Ausklang findet, der nachhaltig aufrüttelt und mit einer abschließenden Gratwanderung zwischen einfühlsamer Sinnlichkeit und zynischer Boshaftigkeit aufwartet, mit der Der seidene Faden den amerikanischen Regisseur ein weiteres Mal als einen Meister seines Könnens aufweist, in dessen Liga momentan nur wenige vergleichbare Filmemacher verweilen.
2. Flops aus den Kinosälen:
Maria Magdalena - Mit Lion - Der lange Weg nach Hause hat sich Garth Davis bisher als weitestgehend beliebiger Konsens-Regisseur etabliert, der ohne Ecken und Kanten möglichst gefälliges Kino kreiert, das offensichtlich auf bevorstehende Preisverleihungen schielt. Maria Magdalena ist nun erneut der Beweis dafür, dass sich der Regisseur bevorzugt an, teilweise durchaus imposant gestalteten, Oberflächen abarbeitet, ohne jemals zum Kern seiner Themen vorzudringen. Geebnet wird die Reise nach Jerusalem von Jesus und seinen Jüngern, die der Regisseur mit betonter Langsamkeit inszeniert, von pathetisch-theatralischen Dialogen, die das Rascheln der dazugehörigen Bibelseiten geradezu auf die Tonspur befördert. Davis zeigt Jesus als barmherzigen Wunderheiler, der Blinde wieder sehen lässt und Tote ins Leben zurückbringen kann, doch darüber hinaus bleiben die schwerwiegenden Konflikte rund um die immer wieder aufkeimende Glaubenskrise der Jünger um ihn herum blasse Randnotizen. Eine gescheiterte Bibelverfilmung, die minimalistische Gesten und gewaltige Wortsalven der ohnehin knappen Vorlage auf leere Epik auswalzt und die eigentliche Kernfigur sträflich vernachlässigt.
Death Wish - Uninspiriert spult Eli Roth die unausweichliche Spirale der Gewalt ab, in die der Protagonist abrutscht, nachdem die Ermittlung der Polizei von Chicago lange Zeit ins Leere verläuft und dieser feststellt, wie einfach es in den USA ist, selbst als ungeübter Laie an ein üppiges Arsenal an Schusswaffen zu gelangen. Der Verlockung der ironischen Brechung scheint sich der Regisseur trotz vereinzelter Ansätze aber nichtsdestotrotz konsequent zu verweigern. Wenn der Protagonist von einem absurden Werbespot der Waffenindustrie erst verführt und im Waffenladen von einer jungen, attraktiven Blondine, die kaum älter als seine Tochter ist, fachmännisch zum Kauf beraten wird, haftet Death Wish kurzzeitig ein grell überspitzter, durchaus bitter nötiger Tonfall an, der allerdings kurz darauf schon wieder verblasst. Vielmehr erweist sich Roths Neuauflage als ein Werk, das kaum zu einem ungünstigeren Zeitpunkt in den Kinos starten könnte.In Zeiten, in denen die USA wieder vermehrt von bewaffneten Attentaten erschüttert wird und Präsident Donald Trump in Betracht zieht, ausgebildete Lehrer an Schulen sicherheitshalber mit Waffen auszurüsten, damit diese im Notfall mit Gewalt auf Gewalt reagieren können, erhält ein Film wie Death Wish zusätzlich einen unangenehmen Beigeschmack.
Don't worry, weglaufen geht nicht - Wirklichen Biss und grandiosen Humor erhält die Geschichte des querschnittsgelähmten Cartoonisten bezeichnenderweise immer dann, wenn John Callahans Kunst auf der Leinwand mit groben Bleistiftstrichen zum Leben erweckt wird. In den Sketchen, die weder vor entstellten Unfallopfern noch vor dem Ku-Klux-Klan Halt machen, findet Gus Van Sants Film zu einer rebellischen Unangepasstheit, die man in der ansonsten naiv gezeichneten, vorhersehbaren Geschichte des Verlierertypen, der sich nur selbst akzeptieren muss, um neuen Halt im Leben zu finden, überwiegend vermisst.
3. Highlights im Heimkino:
Jerichow - Mit kontrollierten Bildern, in denen die Körpersprache und die Gesichter der Figuren oftmals bewusste Leerstellen ausfüllen, erzählt Christian Petzold in Jerichow auf großartige Weise und unterstützt durch fantastisch aufspielende Darsteller von drei Menschen, die in der kalten Realität des Kapitalismus schicksalshaft zusammengeführt werden. Die daraus entstehende Dreiecksbeziehung nutzt der Regisseur für eine Studie von Individuen, die selbst in gemeinsamen Momenten voneinander isoliert zu sein scheinen, während die titelgebende Stadt in Sachsen-Anhalt als Sinnbild für geplatzte Lebensträume und desillusionierende Realitäten fungiert.
On the Beach at Night Alone - In dem ersten von zwei Kapiteln schildert Hong Sang-soo keine optimistische Geschichte einer Aussteigerin, der durch einen radikalen Tapetenwechsel der erhoffte Neubeginn gelingt. Die winterliche Stimmung Hamburgs dient Hong stattdessen als Kulisse für eine melancholische Studie der Einsamkeit und Isolation, die der Regisseur nie aufdringlich in den Vordergrund rückt. Anhand der sehnsüchtigen oder vorsichtigen Blicke seiner Hauptdarstellerin Kim Min-hee formt er vielmehr das subtile Porträt einer ruhelosen Seele, die nirgendwo so richtig ankommen kann. Die ganz großen Fragen darüber, inwiefern die Menschen beispielsweise überhaupt für die Liebe qualifiziert sind, kann auch Hong selbstverständlich nicht beantworten. Der Regisseur, der sich gegen Ende womöglich noch einmal einen selbstreflexiven Auftritt in Form der fiktiven Filmfigur des Regisseurs verschafft, mit dem Younghee eine Affäre hatte und auf den sie in Hamburg vergeblich warten musste, führt seine Protagonistin viel lieber noch einmal an die harmonische Geborgenheit des Strandes zurück, an dem sie noch ein letztes Mal erwacht, als seien vorangegangene Teile dieses Films wieder nur ein Traum gewesen. Mit andächtiger Wehmut bleibt dem Zuschauer nichts anderes übrig, als zusammen mit Younghee einfach wieder aus Hongs Werk zu laufen, diesmal mit eigenen Schritten.
4. Flops im Heimkino:
Mute - Auch wenn der überwiegend famose Score von Clint Mansell eine melancholisch-entrückte Schwere andeutet, ist von eindringlicher Atmosphäre in diesem Film nichts zu spüren. Chaotisch bis unverständlich erzählt kommt Mute vielmehr einer zerfaserten, uninspirierten Bruchlandung gleich, die erstaunlicherweise sogar noch misslungener als Duncan Jones‘ zuvor vermurkster Warcraft-Film ist. Ein künstlerischer Befreiungsschlag, der kaum ein größeres künstlerisches Armutszeugnis darstellen könnte.
The Smell of Us - Mit The Smell of Us will der skandalträchtige US-Regisseur Larry Clark ganz eindeutig noch einmal an den Stil seiner früheren Filme anknüpfen und erreicht das genaue Gegenteil des von ihm beabsichtigten Effekts. Sein Werk, für das er sich mit einer Gruppe Jugendlicher im gegenwärtigen Paris beschäftigt, wirkt wie ein auf Valium gedrehtes Remake seines einflussreichen Filmdebüts Kids. Dabei zitiert sich Clark nicht nur uninspiriert durch vertraute Motive seines Schaffens und inszeniert konsequent an interessanten Aspekten des fortgeschrittenen Zeitgeists vorbei, sondern antwortet auf drastische Vorwürfe zudem mit platter Provokation. Ein überflüssiges Spätwerk.
5. Alles über Serien:
Kino, Kino, Kino. Serien?
6. Für den März plane ich:
Call Me by Your Name, Red Sparrow, Molly's Game, Tomb Raider, I, Tonya
7. Filmschaffende(r) des Monats:
Christian Petzold
8. Mein Monat hat mich irgendwie an diesen Film erinnert: