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MBs Kommentarspalte: „Utoya 22. Juli“: Die Undarstellbarkeit des Unvorstellbaren

von Maximilian Knade

Wir haben auf dieser Seite schon zwei sehr interessante Positionen zu diesem Film gelesen. Da wäre zum einen der Beitrag von Vitellone (hier), der dem Film im Gegensatz zu Lidanoir, die einen ebenso lesenswerten Beitrag verfasst hat (hier), eine besondere Empathie den Opfern gegenüber attestiert. Ich möchte mich hier hinter die Kritik von Lida stellen und ihre Ausführungen um einige Gedanken erweitern, die ich für essentiell halte. Vorab muss den Machern dieses Filmes doch schon einmal etwas eingeräumt werden: Utoya 22. Juli polarisiert. Das erkennt man nicht nur an den sehr verschiedenen Kritiken, die der Film erhält, sondern nicht zuletzt auch an der Rezeption auf moviebreak selbst. Neben der Kritik ist das schließlich in kürzester Zeit schon der zweite Kommentar, der sich mit diesem Film befasst. 

Vorab müssen wir dem Film weitere Qualitäten einräumen, die in vielen negativen Kritik zur kurz geraten sind, die Vitellone zum Teil schon benannt hat: Erik Poppe (Troubled Water) und sein Team haben nicht nur technisch sehr gute Arbeit geleistet, sondern waren auch sehr bemüht darum, möglichst empathisch mit dem Thema umzugehen, was im Endeffekt leider nicht geglückt ist. Dennoch ist es ein durchaus nobles Unterfangen, ein filmisches Denkmal setzen zu wollen, sich derartige Gedanken darüber zu machen, wie man ein sensibles Gesamtwerk schaffen kann. So verzichtet Utoya 22. Juli darauf uns den Attentäter zu präsentieren, verzichtet darauf, sich näher mit seinen Motivationen zu befassen und verzichtet auch auf reißerische Gewaltpräsentationen. Den Vorgang des Mordens bekommt man nur ansatzweise zur Schau gestellt, den Terror stattdessen in seinem grausamen Ausmaß an einem Stück - auf sichtbare Schnitte wird verzichtet.

Ich unterstelle Poppe keine bösen Intentionen, ich unterstelle ihm eine falsche Prämisse, auf die er diesen Film aufbaut. Er möchte uns erleben lassen, wie es sich angefühlt haben könnte, am 22. Juli dabei gewesen zu sein. Poppe betonte bereits explizit, dass der Film zwar auf wahren Begebenheiten beruht, die eigentlichen Abläufe der Handung jedoch mehr eine Variante darstellt, wie es gewesen sein könnte und nicht die exakten Ereignisse. Er möchte nur einen Eindruck des Terrors einfangen. In diesem klugen Satz destruiert er seinen eigenen Film. Fairerweise möchte ich an dieser Stelle kurz annehmen, dass sein Irrglaube, man könne einen Eindruck dessen erwecken, der Wahrheit entspricht. Im Folgenden werde ich noch zeigen, warum dem nicht so ist. 


Nehmen wir an, es wäre möglich, einen Eindruck des Terrors zu vermitteln. So müsste man dem Terror ein Gesicht geben. Das muss nicht zwingend im visuellen Sinne stattfinden, aber seine Wirkung kann nur durch das Mittel des Terrors selbst (z.B. die Schüsse) oder durch die Wirkungen, die man an Subjekten beobachten kann (z.B. Schreie), charakterisiert werden. Er versucht dies geschickt dadurch zu umfahren, dass er dem Attentäter und die eigentlichen Gewalttaten nicht explizit macht. Dennoch macht er den Terror explizit, in dem er uns die Angst erleben lässt, die Furcht vor den sich anbahnenden Schüssen, die pure Hysterie der fliehenden Jugendlichen. Er setzt uns dem Terror aus und gibt damit nicht der Intention und dem Mann hinter dem Terror ein Gesicht, dem Terror selbst jedoch schon. Wenn wir den Kinosaal verlassen, wissen wir nicht wirklich etwas über die Jugendlichen, den Terror scheinen wir jedoch nur zu gut zu kennen. 

Das Ziel eines Terroristen ist es, Angst bzw. Terror zu verbreiten. Hinter dem Anschlag vom 22. Juli steckte eine politische Mission, die durch Angst bestärkt werden sollte. Der Film unterstützt nicht die politische Mission,  jedoch die Angst, die der Akt des Terrors ausstrahlen möchte. Wir gedenken während des Filmes nicht den Opfern, wir fühlen uns an die Grausamkeiten dieses Tages erinnert, an den Terror an sich. Dementsprechend - so nobel die Intention auch war - setzt der Film eher dem Terror als den Terrorisierten ein Denkmal. Auch ermöglicht das Nacherleben des Terrors vor allem drei gefühlsmäßige Reaktionen: 1. "Das war ein schrecklicher Attentat auf unschuldige Menschen. Zum Glück passiert das nicht hier/ nicht allzu oft." 2. "Das war ein schrecklicher Attentat auf unschuldige Menschen. Ich habe Angst, dass das auch mir passiert." 3. "Das war ein schrecklicher Attentat auf unschuldigeMenschen. Ich habe Angst, dass das in Zukunft öfter passiert."

Die erste Empfindung basiert auf einer Beruhigung nach dem extremen Filmerlebnis. Wolfgang M. Schmitt erklärte in seiner wunderbaren Analyse zu 12 Years A Slave, dass die Gewalt, die man dort sieht, wie ein Ablassbrief funktioniert. Man erträgt zwei Stunden lang diese Grausamkeiten, um sich danach damit nicht mehr auseinandersetzen zu müssen. So funktioniert auch die ersten Empfindung: Man hat sich dem Terror ausgesetzt und braucht sich nun nicht mehr mit dem hinter dem Terror auseinandersetzen. Gerade das Politische und Unmenschliche hinter dem Terrorismus, das Porträt des Täters, ist das Erschreckende und gilt es zu reflektieren: Wie kann Derartiges geschehen? In vielen Kritiken war diesbezüglich zu lesen, dass der Film die Sinnlosigkeit der Gewalt darstellt. Da bleibt es jedoch fraglich, warum das anhand einer wahren Begebenheit geschehen muss, wenn das doch auch Filme wie The Strangers auszudrücken wissen, ohne Betroffenheit zu erzwingen. Auch ist die Aussage für jeden leicht konsumierbar: Jeder weiß, wie sinnlos Gewalt ist bzw. sein kann. 

Die zweite und die dritte Empfindung unterstützen letztlich das, was ich bereits ausgeführt habe: Empfunden wird zum einen die Angst und zum deren die Nähe des Terrors. In diesem Sinne würde dem Terror ein Denkmal gesetzt werden, weil die Angst, die vom Attentäter intendiert war, weitergetragen wird. Doch das Hauptproblem des Filmes ist ein viel Grundsätzlicheres, für dessen Ergründung wir wieder zu Poppes Annahme, man könne einen Eindruck des Terrors vermitteln, rekurrieren müssen. Diese ist nämlich von grundauf falsch. Es ist auch ein ständiges Dilemma von Anti-Kriegsfilmen, dass diese versuchen, das Unvorstellbare darzustellen. Dunkirk ist zuletzt daran gescheitert. Es ist einfach nicht nachzuempfinden, wie sich eine derartige Situation anfühlen muss.


Utoya 22. Juli versucht - und es ist letztlich leider so perfide wie es klingt - ein Erlebnis zu kreieren. Er versucht durch die Schüsse, durch die Schreie, durch das Verhalten der Charaktere, eine Atmosphäre zu schaffen. Die Schüsse ähneln dadurch der manipulativen Wirkung von Jumpscares, nicht im inszenatorischen Sinne, aber in ihrem Effekt. Jumpscares sind laut und bringen einen zum Aufschrecken. Die Schüsse sind ähnlich manipulativ, weil wir wissen, wofür sie stehen, was die Charaktere zu Beginn nicht wissen. Es ist ein ähnlich einfacher und plumper, wenn auch technisch viel geschickter und zumindest oberflächlich gesehen subtilerer Effekt. Das reine Nachempfinden des Filmes, aus dem dieser letztlich auch seinen Unterhaltungswert schöpft, ist das per se Amoralische. Er manipuliert uns - was Film immer in irgendeiner Art und Weise tut - nicht nur, sondern manipuliert uns grundlos. Der Film führt nicht zu einem Diskurs, einen Dialog, einer Würdigung, sondern lediglich ins Erlebnis.Wie man diesen Film hätte besser drehen können? Man hätte ihn in der Form gar nicht erst drehen sollen.  Die vermeintliche Katharsis, das von Poppe angestrebte "Verheilen-lassen der Wunden", ist filmisch nicht möglich. 

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