Bildnachweis: © Netflix | Szene aus "Marvel's Luke Cage"

Marvel's Luke Cage - Staffel 2 - Kritik

von Thomas Söcker

Der beliebteste Marvel Netflix-Held war er ja nie. Daredevil und Jessica Jones waren vielschichtiger, der Punisher gnadenloser und Iron Fist hatte immerhin Kung Fu im Gepäck. Doch Season 1 von Luke Cage hatte, trotz all der Kritik, durchaus einige Vorzüge zu bieten, die die Serie wirklich einzigartig im Marvel-Universum machten. Und das bezog sich nicht nur darauf, dass hier ein afro-amerikanischer Held im Zentrum der Aufmerksamkeit stand. Gerade atmosphärisch durfte Luke Cage stets überzeugen. Der Mikrokosmos Harlem wirkte greifbarer, echter, ja lebendiger als das New York der anderen Netflix-Helden. Gepaart mit dem tollen Soundtrack und jeder Menge Style and Flow evozierte Luke Cage einen ganz eigenen Vibe, einen im Heldenuniversum einzigartigen Rhythmus. Nur Story und Hauptfigur blieben da etwas auf der Strecke und ließen die Tiefe anderer Marvel Netflix Figuren vermissen. Am 22. Juni erscheint nun die zweite Season von Luke Cage auf Netflix. Ein Grund, Harlem's Hero noch einmal unter die Lupe zu nehmen.

Da Netflix mit Daredevil und Jessica Jones unerwarteten, aber äußerst erfreulichen Erfolg bei Kritikern und Publikum erlebte, hieß es schnell, die Serien des Streaming-Services seien den Filmen erzählerisch überlegen und würde der bunten Welt des MCU einen ernsteren, facettenreicheren Spiegel vor die Nase halten. Doch dieses Lob hielt nicht ewig vor: Seien es Iron Fist, The Punisher oder The Defenders, keiner der neueren Marvel-Netflix-Ableger konnte mit besonders guten Kritikerstimmen prahlen, Marvel Netflix schien sich in eine erzählerische Ecke manövriert zu haben, die genau dieses „Neue“ vermissen ließ, was anfangs noch für Lobeshymnen sorgte. Doch bereits die zweite Staffel Jessica Jones zeigte, dass mit den kleineren Helden New Yorks immer noch zu rechnen ist.

Die zweite Staffel von Luke Cage setzt diesen positiveren Trend nun glücklicherweise fort. Sowohl inhaltlich, inszenatorisch als auch atmosphärisch führt die Season das weiter, was Staffel 1 (und inhaltlich The Defenders) offen ließen und geht dabei sogar ein gutes Stück weiter in die dringend benötigte Tiefe. Gerade inszenatorisch entwickelt sich die Serie weiter, die Macher spielen mit kreativen Kamerafahrten und -winkeln und schaffen es mitsamt des tollen Soundtracks einen faszinierenden audiovisuellen Teppich zu weben, der den Zuschauer gefangen nimmt und direkt in die heiße Atmosphäre Harlems transportiert. Denn was auch Staffel 2 von Luke Cage wieder ganz ausgezeichnet macht, ist Harlem in aller Pracht als faszinierendstes New Yorker Viertel aufleben zu lassen. Der Schauplatz der Serie wirkt hier viel mehr als bei seinen düsteren Pendants wie ein pulsierendes Stück Erde, das unserem Helden nachvollziehbar am Herzen liegt und dessen Rettung den Zuschauer daher viel deutlicher packen kann.

Und auch Harlems Hero selbst erfährt mehr Tiefe. Luke Cage muss sich mit seinem Prominentenstatus anfreunden, ohne Maske und ohne großes Versteckspiel steht er im Mittelpunkt der Harlemer Medien, in sozialen Netzwerken wird er in der Harlems Hero-App regelmäßig gespottet und nebenbei schließt er Werbeverträge mit großen Firmen wie Nike ab. Dass führt aber nicht nur zu mehr Fame, sondern zieht auch eine nachvollziehbar entwickelte Hybris nach sich, die mit dem Auftauchen eines neuen Gegenspielers, der ihm in punkto Kraft das Wasser reichen kann, ihren Höhe- beziehungsweise Tiefpunkt erfährt. Die zweite Staffel verhandelt gelungen die Schwächen des unbesiegbaren "Black Jesus" und dekonstruiert langsam aber deutlich den Mythos, den Cage in Harlem um sich herum erschaffen hat. Ob das komplizierte Verhältnis zu seinerFreundin Claire (Rosario Dawson - Sin City), die Wut auf seinen Vater (Reg E. Cathey - Fantastic Four) oder das Gefühl, trotz aller Macht, das Verbrechen immer nur temporär reduzieren anstatt beseitigen zu können, Season 2 von Luke Cage lebt von viel interessanteren Charakterkonflikten, die durch das stärkere Schauspiel des Hauptdarstellers Mike Colter (Girls Trip) glücklicherweise zum Großteil auch aufgehen dürfen.

Von dieser facettenreichen Darstellung dürfen auch die Nebenfiguren zehren, seien sie nun alt oder neu. Vor allem Misty Knight (Simone Missick - A Taste of Romance), Hernandes „Shades“ Alvarez (Theo Rossi - Sons of Anarchy) und Mariah Stokes (Alfre Woodard - Annabelle) dürfen mit ihren inneren Dämonen ringen, werden in ihren Grauzonen vertieft und in den 13 Episoden ausführlich weiterentwickelt. Schwarz-weiß Malerei war sowieso noch nie ein Problem der Serie und so kann man auch in Season 2 beobachten, dass fast jeder Charakter, egal ob gut oder böse, eine nachvollziehbare Motivation erhält und Sympathie beim Zuschauer erwecken darf. Hervorgehoben werden soll hier außerdem Mustafa Shakir (The Night Of) als Antagonist Bushmaster, der vor allem durch seine jamaikanischen Wurzeln sowie sein intensives Schauspiel zu einem der Glanzlichter der zweiten Staffel avanciert und mehrfach die interessante Frage aufwirft, was eigentlich Gerechtigkeit bedeutet. 

Perfekt ist die zweite Staffel von Harlems Hero aber trotz all dieser Qualitätssteigerungen nicht. Der 13 Episoden-Arc wird zwar besser genutzt als in der ersten Staffel, sorgt gerade im letzten Drittel der Serie immer wieder für unnötigen Füller. 10 Folgen hätten es hier, wie so oft, auch getan. Außerdem kann die Staffel sich tonal ab und zu nicht zwischen ernsthaftem (gelungenem) Drama und spaßiger (ungelenker) Comedy entscheiden. So wirkt gerade das groß erwartete (?) Auftauchen von Danny Rands (Finn JonesLeatherface) Iron First irgendwie fremdartig, die Figur mag sich einfach nicht in die Atmosphäre Harlems einpassen und erfährt auch zu keiner Zeit eine echte Daseinsberechtigung. Hier stand offensichtlich der Wunsch im Vordergrund den Fans das lang erwartete Heros for Hire-Crossover zu ermöglichen, egal, ob das in die Geschichte der Staffel passt oder nicht. Angst zu haben, Luke Cage könnte eine gesamte Serie nicht auf den eigenen, breiten Schultern tragen, brauchen die Macher nämlich nicht zu haben. Das beweist Staffel 2 mit Nachdruck.


Fazit

Trotz den Marvel-Netflix-typischen Füllermomenten, die das Format irgendwie auf 13 Episoden strecken sollen sowie dem aufgesetzten und so gar nicht harmonischen Humor, stellt Season 2 von "Luke Cage" eine deutliche Qualitätssteigerung zur ersten Staffel dar. Die Macher setzen nachdrücklich auf die atmosphärischen Stärken der Serie, bauen diese durch ein gutes Gespür für tolle inszenatorische Momente aus und verleihen auch ihren Hauptfiguren deutlich mehr Facetten als zuvor. Cast und Crew scheinen sich hier endlich auf das vorhandene Material eingegroovt zu haben. Davon gerne mehr.

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