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Interview mit "The Square"-Regisseur Ruben Östlund

von Levin Günther

Klassikradio: Manche Szenen waren zu absurd, um sie zu erfinden. Haben Sie Ihr eigenes Leben als Inspiration genommen?



Ruben Östlund: Ja, viel vom Film basiert auf meinen Erlebnissen. Oder Erlebnisse von Freunden, die sie mir erzählen und die ich dann immer sofort klaue. Das meiste vom Film basiert auf Geschichten, die mir erzählt wurden. Aber ich stimme zu, es ist zu absurd, um fiktional zu sein.

NDR: Sowas passiert ja immer. Hier auf den Straßen sind Bettler, die mit chic angezogenen Menschen konfrontiert werden. Genau wie in Ihrem Film ist das der Alltag. Aber interessanter ist es, dies in eine Narration zu packen, also einen Anfang, einen Höhepunkt und eine Lösung am Ende.

Ruben Östlund: Ja, zum Beispiel wenn es um Bettler geht. Das ist ein relativ neues Phänomen für uns Schweden. Als das Schengen-Abkommen die Grenzen öffnete, kamen viele Rumänen nach Schweden. Und es gab eine Diskussion, wie man damit umgehen sollte. Das fand ich interessant und irgendwie provokant, wie so viel Schuld auf das Individuum gepackt wurde. Es hängt von mir ab, zu geben oder nicht zu geben. Und davon hängt dann die Zukunft dieser Menschen ab. Das erzwingt ein idealistisches Selbstbild. Ich persönlich fand es komisch, dass nicht über die Erhebung der Steuer um 0,01% gesprochen wurde, um das Problem als Gesellschaft zu lösen. Aber all die Diskussionen, wie man damit umgehen sollte, wurden auf dem Individuum abgewälzt.

Klassikradio: Das ist quasi ein Negativ-Beispiel vom Kunstwerk The Square

Ruben Östlund: Ja genau. Wir wollten einen symbolischen Platz schaffen, der uns an unsere normale Verantwortung erinnert. Der Square sagt: The Square is a zone of trust and care, within its bonds we share equal rights and obligations. Und dann kann man fragen; sollten diesen Regeln nicht auch außerhalb des Square gelten? Es geht also um Verantwortung für das Individuum und die Gesellschaft gleichzeitig. Es ist üblich, Bettler und Menschen der Unterschicht als ehrlicher, gütiger und spiritueller dazustellen. Das stimmt natürlich nicht für alle. Armut kreiert nicht gutes Benehmen. Sondern schlechtes. Es ist eine typische Mittelklasse-Reaktion, etwas „Gutes“ zu suchen, um das Problem ignorieren zu können. Man kann Viridiana von Luis Bunuel gucken. Das Publikum in Cannes war stinksauer, weil die Armen hier als Arschlöcher dargestellt wurden. Ich finde es viel interessanter. […] Versucht, nicht das Konventionelle zu erzählen, sondern versucht, die andere Seite der Medaille zu finden. Versucht, das wirklich Wahre zu finden und hinterfrag, ob etwas fehlt. Das ist immer mein Ziel.

NDR: Sie haben ein großes und schönes Echo für den Sieg in Cannes bekommen. Ist der Preis Ihnen wichtig? Im Vergleich zu einer Oscar-Nominierung?

Ruben Östlund: Die große Sache beim Filmemachen ist für mich, dass ich denke Inhalt zu haben, der wirklich wichtig ist. Und ich möchte den Inhalt so vielen Menschen wie möglich zeigen. Die Art meiner Filme kann viel Aufmerksamkeit bei solchen Festivals erreichen. Und die Goldene Palme ist ein Preis, den jeder will und ein Preis, der schöner ist als andere. Ich denke wirklich, dass die Palme besser als der Oscar ist. Weil es so viele Oscars gibt, aber nur eine Goldene Palme. Ich hatte nie Probleme damit, zu sagen dass ich auf die Palme abziele. Denn das Zielen verbessert meine Leistung. Und dann treffe ich Entscheidungen, die mich zum Preis führen. Es gibt die Leute, die sagen, dass man seine Ziele nicht laut sagen soll, weil man dann den Preis zahlt, wenn man nicht gewinnt. Aber das ist kein Problem für mich. Amerikaner haben eine ganz andere Einstellung dazu. Wenn du dort sagst „Mein Ziel ist Cannes“, dann wünschen die dir viel Glück. Wenn man es in Schweden sagt, dann sagen die „Sei vorsichtig, es klappt vielleicht nicht.“ Das weiß ich, aber das Ziel ist doch, eben ein Ziel zu haben.

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