Am vergangenen Sonntag erlag George A. Romero in seiner Wahlheimat Toronto den Folgen einer Lungenkrebserkrankung, knapp fünf Monate nach seinem 77. Geburtstag. Eine traurige Nachricht für die Filmwelt und insbesondere jeden Horrorfilmfan, zählte der am 5. Februar 1940 in New York City geborene Regisseur, Drehbuchautor und Produzent doch zu den einflussreichsten und wichtigsten Genrekünstlern des letzten 50 Jahre. Ohne Romero wäre der (Horror)Film nicht das, was er heute ist, oder viel mehr das, was er einst mal war. Ganz speziell natürlich eines seiner beliebtesten Sub-Genres: Das des modernen Zombiefilms.
Ende der 60er Jahre befand sich die US-Gesellschaft im Umschwung und mit ihr das Filmgeschäft. Junge, Studio-unabhängige und radikale Filmemacher preschten mit unkonventionellen Low-Budget-Filmen nach vorne und veränderten den Markt zum Teil nachhaltig. Aber kaum jemand mit so bleibendem Effekt wie Romero, dessen nie mit einem kommerziellen Hintergedanken und mehr als „Freizeitprojekt“ initiierte Debütfilm Die Nacht der lebenden Toten schon bei seiner Veröffentlichung großen Wellen schlug, heute ein Teil des Museum of Modern Art und des Nation Film Registry darstellt, was seinerzeit undenkbar schien. Die 114.000 Dollar teure Amateurproduktion trieb den Horrorfilm in vorher so nie gezeigte Extreme, war von seiner Gewaltdarstellung beinah skandalös, aber das blieb selbst damals schon ein Nebeneffekt. Zwei Dinge sorgten für viel größeres Aufsehen und tiefgreifende, bis heute relevante Veränderungen: Romero erschuf das Bild des Zombies, wie es für die Popkultur seitdem zum Standard geworden ist, losgelöst von seinem eigentlichen Ursprung im Voodoo-Kult (The Walking Dead ohne Romero: Undenkbar) und brachte den gesellschaftlichen-politischen Subtext in das Genre, der in der Folgezeit von etlichen Klassikern anderweitig interpretiert wurde.
Ob Das letzte Haus links oder Hügel der blutigen Augen von Wes Craven, Blutgericht in Texas von Tobe Hooper oder Assault – Anschlag bei Nacht von John Carpenter, sie alle wurden inspiriert und profitierten von dem, was Romero mit seinem Meilenstein auf den Weg brachte. Der Horrorfilm sollte und besonders durfte nicht nur als reine Geisterbahn fungieren, es wurde ihm gestattet etwas über seine Zeit zu erzählen. Missstände und Entwicklungen anzuprangern und neben dem reinen Unterhaltungswert eine Parabelfunktion einzunehmen, die sich nicht nur an den Vorgaben klassischer Literatur, sondern gezielt am aktuellen Hier und Jetzt bediente. Im Fall von Die Nacht der lebenden Toten darf besonders die Kluft zwischen Schwarz und Weiß in den USA hineininterpretiert werden, die allgemeine gesellschaftliche Unzufriedenheit, Konflikte, die sich bis in die eigene Familie ziehen („They’re Comig To Get You, Barbara!“) und natürlich die Natur des Menschen in Extremsituationen und panischer Rudelbildung, gekrönt von seinem drastischen Finale.
Diesem Stil – dem Horrorfilm mit einer Botschaft (Romero über neumodische Torture-Filme: „Ich verstehe es nicht…Denen fehlt doch die Metapher“) - blieb er meistens treu. So auch bei The Crazies (1973), in dem eine amerikanische Kleinstadt dem Albtraum von Aufrüstungswahnsinn und Kriegs-Paranoia zum Opfer fällt, oder dem wunderbaren Vampir/Serienkiller-Hybriden Martin (1977), einem seiner stärksten und gleichzeitig kaum wahrgenommenen Arbeiten. Der große Erfolg war bei Romero immer verknüpft mit „seinen“ Untoten, Fluch und Segen zugleich, wobei er es wohl selbst eher als Segen betrachtete. Ein Gespräch mit dem Besitzer der Monroeville Mall in Monroeville, Pennsylvania, brachte ihn auf die Idee zum Mittelteil seiner so eigentlich nie geplanten Zombie-Trilogie. Prompt wurde auch direkt vor Ort gedreht, nach Ladenschluss und viele Geschäftsinhaber verweigerten sogar die Zusammenarbeit, um keine schlechte Publicitiy zu ernten. Heraus kam Zombie – Dawn of the Dead (1978), der angeblich (und wenn man noch heute relevante DVD/BD-Verkäufe oder Merchandising mitrechnet bestimmt exponentiell mehr) das Hundertfache seines 550.000-Dollar-Budgets einspielte. Die Nacht der lebenden Toten war der Grundstein, dieser Film endgültig und uneingeschränkt die Blaupause für alles, was danach kam. Die Zivilisation schlurfend überrannt und aufgefressen vom Tod auf zwei Beinen, die wenigen Überlebenden verbarrikadiert in einem Konsumtempel, geschützt vor dem „niederen“ Volk vor den Türen, die sich beharrlich Zutritt verschaffen wollen. Die Mall als Nabel einer nicht mehr existenten Welt, der seine Anziehungskraft dennoch nicht verloren hat. Aus anderen Gründen…vielleicht?
So, im wahrsten Sinne des Wortes „beißend“, war der Horrorfilm bis dahin nie. Von seiner unverblümten, offensiven Gift-und-Galle-Kritik wie von seiner expliziten Darstellung. Auch in Sachen Gore setzte Zombie – Dawn of the Dead neue Maßstäbe, was Romero-Buddy Tom Savini zum ungekrönten König des Splatter-Make-Ups und den Film bis heute, selbst bei der plötzlich sehr liberalen Freigabepolitik der FSK, in Deutschland nicht für den öffentlichen Verkauf zugänglich machte. Den (vorrübergehenden) Abschluss der Untoten-Saga bildete Day of the Dead (1985), dessen Kritiken einst nicht sonderlich gut ausfielen. Sicher der schwächste Teil der Reihe, was in Anbetracht der beiden übermenschlichen Vorgänger aber kaum als echter Makel wahrgenommen werden muss. Das nihilistische, gänzlich im Untergrund spielende letzte Gefecht der Militär-Menschheit gegen die anstürmenden Zombie-Horden ist ein konsequenter Schlusspunkt und blieb für lange Zeit der letzte Romero-Film, der für größeres Aufsehen sorgte. Und ein Ende der Zombie-Welle, die Toten kehrten in ihrer Gräber zurück.
Das heißt nicht, dass es danach nichts mehr Sehenswertes auf die Beine stellte. Sowohl Der Affe im Menschen (1988), sein gemeinsam mit Dario Argento gedrehtes Edgar-Allan-Poe-Double-Feature Two Evil Eyes (1990) oder die Stephen-King-Adaption Stark – The Dark Half (1993) waren ordentlich, aber natürlich nicht mehr als B-Horrorfilme, denen es eindeutig an der besonderen, cleveren Komponente fehlte, die sein bisheriges Schaffen auszeichnete. Mit dem furchtbaren Bruiser (2000) schien Romero schon mit Anfang 60 reif fürs filmische Altersheim, die Luft war offenkundig raus. Bis ausgerechnet ein Remake ihm zu einem Comeback verhalf. Nachdem schon Danny Boyle 2002 mit 28 Days Later das (dort nicht wirklich) untoten Gesindel erfolgreich reanimierte, gelang Zack Snyder mit Dawn of the Dead (2004) ein erstaunlich gelungenes Remake von Romero’s größten Hit. Zeitgemäß tempoverschärft, lange nicht so subversiv, aber nichtsdestotrotz ein echter Abräumer und Publikumshit. In der Folge wurde das Sub-Genre wieder salonfähig und Romero erschuf eine neue Trilogie, diesmal in deutlich schnellerer Abfolge.
Den Auftakt bildete Land of the Dead (2005), eine Allegorie auf die 9/11-Bush-Regierung-Panikmache und die auseinanderklaffende Schere zwischen Arm und Reich. Die privilegierte Oberschicht lebt in luxuriösen Wolkenkratzern einen ausgeträumten Traum, draußen kämpft das Fußvolk gegen die ausgegrenzten, primitiven Angreifer, die sich ungeahnt weiter entwickeln. Konnte man diesen Film noch grob als Sequel der ursprünglichen Serie betrachten, folgte 2007 mit Diary of the Dead ein kompletter Re-Start. Alles auf Anfang, die Epidemie beginnt erst und alle sind live dabei. Dank YouTube und Co, ein Found-Footage-Experiment, oft ungehobelt, aber als Zeitdokument gar nicht so misslungen, wie er gerne hingestellt wird. Das Finale bildete Survival of the Dead (2009), der sogar bei den Filmfestspielen von Venedig uraufgeführt wurde. Diesmal spielen die Zombies gar eine untergeordnete Rolle, bilden fast nur die Kulisse für eine alte Familienfehde, womit Romero zu seinen subversiven, beobachtenden Wurzeln gekonnt zurückkehrte. Es sollte leider sein letzter Film bleiben.
George A. Romero dreht verhältnismäßig wenige Spielfilme für so eine lange Karriere, allein ein halbes Dutzend davon widmeten sich dem Zombie, aber es ist und wird für alle Zeiten SEIN Zombie sein. Einer der Größten, der Besten, der Wichtigsten. Ruhe in Frieden. Und wenn es bei einem Menschen mehr als nur eine handelsübliche Floskel sein kann, dann bei George A. Romero. Er wusste selbst am besten, das Tote lieber die Füße stillhalten sollten.