MEINE TOP 10 FILME 2023:
1. Beau is Afraid
Bedingungslose Liebe. Liebe von Michael Haneke war 2012 der letzte (damals aktuelle) Film, dem ich aus dem Stand 10 Punkte vergeben habe. Das ist nun 11 Jahre her und ich habe mich schon ab und zu mal gefragt, ob ich zu anspruchsvoll, verbittert, abgestumpft oder kauzig geworden bin, aber Beau is Afraid hat mich in meiner Ausrichtung bestätigt und erfreut wie kein Film in diesem Zeitraum. Ich habe einfach nur gewartet. Um wieder pure, uneingeschränkte, bedingungslose Liebe zu einem Film zu empfinden. Gewartet auf einen Film, der es schafft, alle nur erdenkliche Emotionen in 180 verblüffend kurzweiligen Minuten in mir hervorzurufen. Ich war fasziniert, verwirrt, verängstigt und verliebt. Ich war gebannt, gespannt, verunsichert, beunruhigt, amüsiert, euphorisch und demoralisiert – zeitweise alles zugleich. Ich habe gelacht, Nägel gekaut, mich gefürchtet, Mitleid empfunden, (beinah) geweint und mich in eine Welt hineingefunden, die so absurd klingt, wenn man sie nur in der Theorie beschrieben bekommt. Und gerade da ich (Gott sei Dank) noch nie auch nur in der Nähe war von dem, was Ari Aster - der vermutlich beste, neue Filmemacher unserer Zeit (drei Kinofilme, dreimal Meisterwerk gesteigert) – hier auf eine brillant-kreative Weise auf die Leinwand bannt, bin ich äußerst dankbar für dieses Erlebnis. Danke.
Eine Schande, wenn dieses Werk wie einst angekündigt nur exklusiv für die 25 zahlenden Abonnenten von Apple TV+ verfügbar wäre. So was gehört auf die große Leinwand, mal ganz unabhängig von der Story und den Personalien. Killers of the Flower Moon ist – im besten Sinne – „altmodisches“ Cinemascope-Kino, in dem es noch echte Kulissen und Komparsen gibt. Große Einstellungen, viel Aufwand und dazu tatsächlich auch mal eine epische Geschichte, die etwas Wichtiges zu erzählen hat. Stoff für eine ganze Serie, geschickt „komprimiert“ auf über 200 Minuten, der trotz einer geduldigen Narration keine Spur für Längen lässt. Am Ende leider über die eigenen Füße stolpert, da weiß man gar nicht, ob man lieber deutlich früher oder noch deutliche später das Ende eingeläutet hätte. Der einzige Schönheitsfehler im einzigen echten, gigantischen Kinoepos dieses Jahres, das sich für jeden relevante Einzelpreis in der Award-Season qualifizieren würde. Robert De Niro endgültig reif für den dritten Oscar - jetzt oder nie.
Eigentlich schon letztes Jahr gestartet, hierzulande erst im Januar und für mich gefühlt da schon instant in den Top 10. Das sich dieser Eindruck nur bestätigt hat, könnte einerseits gegen das aktuelle Kinojahr sprechen, ist aber (in Anbetracht der doch gehobenen Dichte im Top-Bereich) nur eine Bestätigung für das letzte Werk von Martin McDonagh. In der Zweitsichtung (wie zu erwarten) deutlich gestiegen, hievt sich diese melancholische, mit subversivem Zeitkolorit nochmal zusätzliche untermauerte, sensationell geschriebene wie gespielte Tragikomödie meilenweit über alles hinweg, was sonst so im (vermeidlich) jahrzehnteüberdauernden Kontext des Jahres überleben wird. Allein das Ende – wie schön kann Film sein.
4. Babylon - Rausch der Ekstase
Hedonismus - Der Film. Ach was - das Opus Magnum. Damien Chazelle zerlegt in seinem extravaganten Epos den pervertiert-berauschten Aufstieg wie auch den ungebremst-zerschmetternden Kahlschlag der „Golden Years“ in Hollywood. Sarkastisch, rasant und überkandidelt, eine süffisante Oper der bitterbösen Ironie. Eine moderne Version von Boulevard der Dämmerung oder Alles über Eva - auf Koks.
5. Pearl
X war der erfrischenste Horrorfilm des letzten Jahres und Pearl ist sein kongeniales Prequel. Denn nur als Prequel macht es entsprechend Sinn, in der linearen Reihenfolge hätte dies nicht annährend den narrativen Wert. Pearl erscheint gar nicht wie ein klassischer Horrorfilm und ist dennoch mit das Beste, was dem Genre seit Jahren erfahren ist. Sogar noch besser als sein „Vorgänger“. Aber nur in seinem sehr klugen, aufeinander basierenden Kontext. Daher hängt es an MaXXXim, inwiefern die vermutlich beste Genre-Trilogie des Jahrzehnt ihren Abschluss findet. Stand jetzt: Fantastisch!
6. El Conde
Augusto Pinochet, einer der schlimmsten Diktatoren des vergangenen Jahrhunderts, ist nicht tot - sondern ein Vampir! Darum entspinnt Pablo Larraín, der zuvor mit kritischen, spekulativen und angriffslustigen, aber immer realistischen Portraits wie No!, Jackie oder Spencer ein absurdes Gedankenspiel, dass so vermutlich auch nur auf Netflix (ausnahmsweise mal danke dafür) ungefiltert auf die Öffentlichkeit losgelassen wurde. Eine großartige Posse, die sich in ihrer Unbekümmertheit und gleichzeitigen, geselschaftlichen wie persönlichen Tiefe spielend einen der Top 10 Plätze des Jahre sichert. Was scheinbar niemand gemerkt hat.
7. Holy Spider
Vegleichbar mit Zodiac - Die Spur des Killers, nur angesiedelt im Iran und - wie damals - beruhend auf einer realen Mordserie. Der Fokus liegt diesmal nicht auf den eigentlichen Verbrechen, obwohl der Film auch so einwandfrei funktionieren würde. Vielmehr ist es ein Porträit einer rückständigen Gesellschaft, die einem mit einem befremdlichen, erschütternden Resüme zurückläst. Und der Score ist grandios!
8. Past Lives - In einem anderen Leben
Eine nette, empathische Independent-Geschichte – mehr scheint Past Lives – In einem anderen Leben auch eine ganze Weile nicht zu sein, bis Celine Song bei ihrem Debüt als Regisseurin und Autorin fast aus dem Nichts die volle Emotions-Granate zündet. In den meisten Fällen ist das ein Collateral Damage, hier ist das so behutsam und geschickt vorbereitet, bevor im letzten Drittel alle Sprengladungen gezielt gezündet werden. Und trotzdem geschieht dies so unaufdringlich, unprätentiös und wundervoll beobachtet. Die letzte halbe Stunde ist wohl das Schönste und Berührendste, was nach Beau is Afraid 2023 zu erleben war.
9. Sonne und Beton
Ein ungeschliffener Rohdiamant. Sonne und Beton ist wie ein Stand by Me - Das Geheimnis eines Sommers der Generation Aggro Berlin. Packend, lustig, herzerwärmend und trotz einiger zu cartonesken Überzeichnungen (Polizei & Pädagogen lassen grüßen) jederzeit mitreißend und empathisch – schließlich geht es hier um ein sehr persönliches, subjektives Szeneporträt. Muss man etwas mehr augenzudrückend umarmen, aber fällt echt nicht schwer. Vor allem in Anbetracht der sonstigen, deutschen Filmlandschaft.
DIE Überraschung des scheidenden Filmjahres. Godzilla: Minus One ist vielleicht (oder ziemlich sicher) der beste Godzilla nach dem Original. Im Geiste sind sie zumindest vereint, tragen die Message – knapp 70 Jahre später, trotz veränderter Ausgangslage – exakt so nach außen und präsentieren das Monster aller Monster wieder als die nationale Katastrophe, die ihm lange nur als Echo nachhalte. Mit relativ einfachen Mitteln verwandelt sich ein objektiv „schlichter“ Monsterfilm wie Godzilla: Minus One zu einem der aussagekräftigsten und inszenatorisch wuchtigsten Filmen des Jahres. Einerseits schon bedenklich, andererseits aber auch irgendwie schön.
MEINE 5 ENTTÄUSCHENDSTEN FILME 2023:
1. Der Exorzist: Bekenntnis
„Lass dich von Jesus ficken“ hieß es einst noch in William Friedkin’s wegweisenden Masterpiece und nun fickt David Gordon Green unter dem Luden-Schutz von Blumhaus bereits den zweiten, legendären Horrorfilm auf unheilige Weise, diesmal direkt ohne Gummi. 400 Millionen $ wurden für die Rechte an dem Franchise bezahlt – für was genau? Irgendeinen random Bessenheits-Mumpitz, der außer den Namensrechten (und der 90jährigen Ellen Bursytn) auch nicht mehr mit dem Original zu tun hat als jedes x-beliebiges Rip-Off, von denen es seit 50 Jahren unzählige gibt? Und dann auch noch in so einer stinklangweiligen, uninspirierten und komplett an allen Qualitäten der angeblichen Vorlage vorbei inszenierten Frechheit? Es sind schon für geringere Fälle von Veruntreuungen Menschen in den Knast gekommen. Im Namen Jesu und Til Schweiger sei dank nicht der schlechteste Film des Jahres, aber es war haarscharf.
2. Scream VI
Sollte normalerweise gar nicht unter Enttäuschungen laufen, dafür hat ja schon das unsägliche, ach so smarte Se-Re-Make-Boot-Kauderwelsch aus dem letzten Jahr ganze Arbeit geleistet. Mit dem jetzigen Kurswechsel entstand aber wieder dezentes Interesse. Raus aus Woodsboro (die Nummer war nach den ganzen Logikaussetzern nun endgültig durch), ab in den Big Apple. Aus diesem Szenenwechsel zieht der Film seine zwei (mit viel Augenzudrücken zweieinhalb) guten Szenen, was dahingehend aber natürlich viel zu wenig ist. Sogar das wäre noch zu verkraften, ohne diesen absurd miserablen Schlussspurt, der selbst die schon ab Teil 3 überstrapazierte, hauseigene Twistologie ad absurdum führt. Ohne Spoiler: ich war sehr früh auf der „richtigen“ Spur und habe es verworfen, weil es unmöglich und total bescheuert war. Tata…Scream VI. P.S.: Messerangriffe sind scheinbar weit weniger tötlich als bisher gedacht.
3. Die Letzte Fahrt der Demeter
War unter meinen Most Wanted des vergangenen Jahres, obwohl das nach nicht mehr als einem B-Movie roch. Aber die Grundidee ist cool. WENN man die clever verwendet hätte. Allein der Name wie die Inhaltsangabe des Films sind zu viel Spoiler, aber selbst dafür ist dieses lahmarschige (Nicht-)Grusler zu einfallslos. Wie man es richtig macht: nenne den Film anders (keine Verweise auf Demeter, Dracula oder jeden anderen Zusammenhang). Ein Schiff startet, an Bord gehen nach und nach Personen hopps. Sollte im Idealfall auch noch spannend und gut gemacht sein, aber es geht hier nur rein um grundlegende Theorie. Erst im letzten Drittel sieht man in einem Kameraschwenk oder so den Namen „Demeter“. Dann wissen die Eigenweiten Bescheid und der Rest könnte trotzdem noch gespannt sein. So ist es weder das Eine, noch das Andere. Nicht komplett scheiße per se, in Anbetracht der Mittel aber schon fast.
4. 65
Also wenn mal ein halbwegs solides Projekt von jedwedem inhaltlichen Anspruch befreit war, dann wohl dieses. Adam Driver (hat der eine Wette verloren oder Spielschulden?) strandet als hochentwickelter Raumfahrer im Dinozeitalter. Reine B-Movie-Action, die in den 70ern mit billigen Mitteln wohl besser wäre als dieser stinklangweilige Scheißdreck. Selten wurde ich so enttäuscht von einem Film, dessen einzige Aufgabe es sein kann für ganz plumpe Unterhaltung zu sorgen. Wie kann man mit so einem Budget das so unfassbar dröge und lieblos hinrotzen? Ich bin sprachlos und hätte das Filmjahr leider nicht so viele Rohrkrepierer parat, der wäre easy unter den Flop 10. Glück gehabt.
5. The Boogeyman
Der Smile - Siehst Du es auch? von 2023. Was wurde nicht alles versprochen und letztlich auch gelobpreist über diesen ach so effektiven Horrorfilm? Hab ich alles nicht mitbekommen. Generische Stangenware, die nur dank eines gehobenen Production-Values nicht aussieht wie vom Grabbeltisch. Wohl nur aufgrund der extrem schwachen Konkurrenz (Insidious: The Red Door und Konsorten haben letztendlich sogar die härteste Fanbase erfogreich weggegruselt) gab es mal so was wie einen "Hype". Hoffentlich, denn wenn das ein guter Horrorfilm sein soll, bin ich wohl echt nicht mehr der richtige Ansprechpartner für so was.
MEINE 10 MOST WANTED FILME 2024:
Alien: Romulus
Challengers - Rivalen
Dune: Part Two
Furiosa: A Mad Max Saga
Horizon: An American Saga
MaXXXine
Mickey 17
Nosferatu
Planet der Affen: New Kingdom
Poor Things
MEIN SERIENJAHR 2023:
Wie auch schon im letzten Jahr: keine Zeit für und ernsthaft Lust auf Serien.
BESONDERE ERWÄHNUNGEN:
Der Unfall des Jahres:
Ohne Frage: Manta Manta - Zwoter Teil. Inhaltlich wie handwerklich der mit Abstand schlechteste Film des Jahres. Und das hat nichts mit Til Schweiger-Bashing zu tun. Völlig unbegreiflich, wie man daran auch nur ein verstecktes, gutes Haar finden kann. Selten war eine Wahl eindeutiger.
Der Kinobesuch des Jahres:
Bei Godzilla: Minus One war trotz eines sehr stiefmütterlichen Kinoslot (täglich nur um 17:30) der Saal knallvoll und alle hatten richtig Bock drauf. Sehr schön.
Der Magic-Moment:
Als ich beim Abspann von Killers of the Flower Moon - nach 200 Minuten - einfach sitzen bleiben wollte. Er hätte noch Stunden weiterlaufen können.
FAZIT:
Streik und Veschiebungen. Einige meiner Most Wanted konnte ich nicht sehen, aber volle Vertändnis für alle direkt Beteiligten, ich bin nur Konsument, alles gut. Verwässert natürlich die aktuelle Jahresauswertung. Das obere Drittel war trotzdem erstaunlich stark (lag aber auch an den späten Releases aus 2022). Ernüchternd mieß war es aus Genre-Sicht. Viele furchtbar schlechte (Mainstream)Horror- und Actionfilme. Wohin ist die solide B-Ware verschwunden? Es muss dringend ein valider Markt zwischen Stream-Egal und Kino-No-Go gefunden werden, während physische Medien leider auszusterben scheinen.