Es ist alles und gleichzeitig nichts. Eine Serie, die den unterschiedlichsten Ecken der Popkultur Tribut zollt, parodiert und endlose Stile, Figuren, Looks, Vibes und Geschichten in sich vereint und dennoch unterschiedlicher und einzigartiger nicht sein könnte. Die Serie, die ein neues Genre für sich erfand und bis heute der einzige Vertreter dessen ist. Heute in der Kritik: Cowboy Bebop.
3... 2... 1... Let's jam!
Bevor die Serie 1998 im TV ausgestrahlt wurde, wurde sie mit dem Subtitel “The show, which becomes a new genre itself” beworben. Und obwohl Serienschöpfer Shinichiro Watanabe (Animatrix, Samurai Champloo) diesen Werbeslogan heute für zu hoch gegriffen hält, trifft diese Aussage dennoch irgendwie zu. Während in der Geschichte des Animemediums viele Titel so wichtig und einflussreich waren, dass sie unzählige Nachahmer nach sich zogen (Mobile Suit Gundam, Neon Genesis Evangelion, Dragon Ball, Pokemon, Astro Boy) sticht Cowboy Bebop seltsamerweise hier heraus. Bis auf Samurai Champloo, das oft als Schwesterserie angesehen wird und vom selben Regisseur stammt, wird man nicht so schnell fündig, wenn man Animes sucht, die in die Fußstapfen von Cowboy Bebop getreten sind. Mit Serien, wie Trigun, Black Lagoon und Outlaw Star (oder auch Joss Whedons Firefly) kommt man Cowboy Bebop definitiv näher, aber irgendwie auch nicht nah genug. Was Regisseur Shinichiro Watanabe, Drehbuchautorin Keiko Nobumoto mit dem Animationsstudio Sunrise hier geschaffen haben, ist—unabhängig von der Qualität der Serie—wahrlich einzigartig und sucht selbst heute noch wortwörtlich seinesgleichen.
Die Storystruktur von Cowboy Bebop ist zum Großteil typisch “Monster of the Week”, wobei jede vierte oder fünfte Episode sich auf die im Hintergrund ablaufende Hauptgeschichte fokussiert, sprich: Spikes Vergangenheit in der Mafia und sein ehemaliger bester Freund, Partner und aktueller Erzfeind Vicious; Jets Vergangenheit in der Polizeieinheit und seine Ex-Frau und Fayes amnesiebedingte, nicht-existente Vergangenheit. Ist Cowboy Bebop über weite Strecken lustig und heiter, ist diese “Hauptstory” charakteristisch für ihre ansonsten untypische Ernsthaftigkeit, in die die Serie plötzlich getränkt wird. In diesen Episoden um die jeweiligen Vergangenheiten der Bebop-Crew offenbart Cowboy Bebop sein wahres Ich und besticht mit einer zynischen Melancholie, die diesen Anime in neue Höhen erhebt.
In der Retrospektive zieht Cowboy Bebop hiermit eine sehr traurige Parallele zu unserer aktuellen Realität, wo wir mit einer furchterregenden Nachrichtenzeile nach der anderen konfrontiert werden und wir letztendlich so abgestumpft sind, dass ein noch so schrecklicher Akt des Terrorismus bei uns kaum noch Reaktionen hervorrufen kann; schließlich haben wir alle unsere eigenen Probleme, die für uns viel greifbarer und dringlicher sind, als eine Totenstatistik aus Zentralafrika und es schwer ist, beim 100. Terrorakt die gleiche Betroffenheit zu empfinden, wie beim ersten. So ist auch die Realität der Bebop-Crew und ihre chronische Geldknappheit ein viel näheres und existentielleres Problem, als der Teenager, den sie erst vorgestern kennenlernten, dessen Mutter erschossen wurde und den sie wahrscheinlich nie wieder sehen werden. Als Kopfgeldjäger auf der Reise, laufen sie aufgrund ihres Berufs gutmütigen Menschen, denen das Schicksal in die Eier tritt, immer wieder über den Weg und sie können es sich einfach nicht leisten dieses Unglück fremder Leute zu nah an sich heranzulassen ohne Gefahr zu laufen an der tragischen Realität des Lebens innerlich zu zerbrechen. Auf diese Weise wird ein unglaublich hohes Level an Reife erreicht und der mitfühlende Zuschauer wird geradezu in eine Trance der Empathie gezwungen, wie es nur wenige Serien oder Filme schaffen. Cowboy Bebop versteht, dass Tragödien in den Leben aller Menschen existieren; ein trauriger Fakt, der nur mit dem Alter immer stärker unterstrichen und akzentuiert wird und dass Erwachsene Methoden finden oder erfinden müssen um mit der furchtbaren Last des Traumas klarzukommen, wenn sie nicht davon zerstört werden wollen. In Cowboy Bebop geht es nicht darum tragische Geschichten zu erzählen, sondern darum Charaktere explizit zu erforschen, die solche Traumata bereits durch- und überlebt haben, bzw. es immer noch versuchen.
Die “Monster of the Week”-Storystruktur hat unausweichlich zur Folge, dass die eine oder andere Episode etwas unterdurchschnittlich im Vergleich zum Rest der Serie ist (v.a. die zweite und 21. Episode sind relativ ernüchternd), doch ist jede Episode essentiell zur übergreifenden Hauptgeschichte, so unwichtig sie auch erscheinen mag. Dabei spielt v.a. das Finale (Episoden #24, #25, #26) eine enorm wichtige Rolle, da das Ende die gesamte Serie rückblickend in ein komplett neues Licht rückt und eine Wiederholung fast schon fordert. Empfohlen wird hier auf alle Fälle die hervorragende englische Synchronisation, die ein genauso großer Teil des Kults um diese Serie ist, wie der Soundtrack oder die Serie selbst. Die deutsche Synchronisation ist ebenfalls kompetent, fällt die Übersetzung des Dialogbuches allerdings oftmals unglücklich aus, v.a. dann, wenn die Serie mal etwas philosophischer wird.
Fazit:
Ob Anime-Fan oder nicht. Cowboy Bebop ist und bleibt die eine Serie im ganzen Anime-Universum, die einfach angesehen, analysiert und verstanden gehört; eine Serie, die in Menschen das Feuer entfachen kann, selbst Geschichten zu schreiben oder Filme zu drehen. Mit einem tiefgreifend-multikulturellen Zukunfts-, Gesellschafts- und Weltbild, das Jahre seiner Zeit voraus war, einem Soundtrack, dem seit der Veröffentlichung vor fast 20 Jahren immer noch nachgeeifert wird und einem Stil, der aus seinem identitätslosen Genre Roulette seine eigene einzigartige Identität extrahiert, ist Cowboy Bebop keinem Genre so richtig zuteilbar, fristet ein Dasein zwischen den Genrefronten und spiegelt somit auch das ziellose Treiben unserer chronisch-deprimierten Kopfgeldjäger durchs All wider, um in einem der perfektesten Serienenden der TV-Geschichte zu münden. Cowboy Bebop ist die ehrlichste und erwachsenste Studie über die Natur der menschlichen Beziehung, die ich in einer Geschichte (ob Film, TV oder Literatur) je gesehen habe und ist dadurch mit einer Universalität ausgestattet, die jeden Zuschauer erreichen kann; solange man gewillt und fähig ist den heiteren Action- und Comedy-Teppich anzuheben um zu sehen, was darunter liegt. Was zu finden ist, ist nicht einfach zu verstehen, v.a. weil das Verstehen einen gewissen Grad an seelischer Reife vom Zuschauer erfordert. Wenn ihr Cowboy Bebop also mal in eurer Jugend gesehen habt, steckt für euch ein enormer Mehrwert in einem Rewatch. Ist es jedoch ein Mal verstanden, wird es auch euch nie wieder loslassen. “You’re Gonna Carry That Weight”.