Inhalt
Das 18. Jahrhundert: die weißen Flecke auf der Landkarte beginnen sich langsam zu füllen und mutige Pioniere brechen auf, um die letzten, noch unerforschten Winkel der Erde zu erkunden. Robert Walton ist einer dieser Männer und zusammen mit seiner Crew aus tapferen Seemännern macht er sich auf, die eisigen Polarkappen zu umschiffen und so als erster Mensch den Nordpool zu betreten.
Seine Reise schildert er dabei in Briefform, adressiert an seine Schwester in St. Petersburg. Als sein Schiff jedoch je vom Eis umschlossen ist, erblickt er am Horizont eine riesige Gestalt, die sich offenbar per Hundeschlitten ihren Weg durch die karge Einöde bahnt, ein höchst verwunderlicher Anblick in dieser Menschenfeindlichen Umgebung. Doch damit hören die Überraschungen nicht auf, denn bereits am nächsten Tag erspäht Walton eine weitere Gestalt, mitsamt dem passenden Hundeschlitten. Anders als der Besucher des Vortages ist dieses Wesen jedoch von kränklicher Statur, Hunger und Frostbrand forderten ihren Tribut und so schafft es der halbtote Mann nur mit letzter Kraft an Bord des Schiffes. Zwischen Fieber und Delirium bringt der Mann immer wieder gebrochene Sätze heraus, mal sind es Namen, mal Orte und immer wieder taucht auch das Wort „Monster“ auf. Auf dem Weg der Genesung vertraut er sich schließlich Walton an und erzählt ihm seine Geschichte, die einem melancholisch düsterem Fiebertraum gleicht.
Sein Name: Viktor Frankenstein.
Persönliche Meinung
Ich glaube es war im 3. Semester, als mich im Curriculum der Uni ein interessanter Kurs anlachte. „Gothic Horror of the 19th century – From Mary Shelley to Edgar Allan Poe“, ein Titel der mich natürlich auf Anhieb ansprach, auch wenn dessen Nutzen für den Verlauf meiner beruflichen Karriere sicherlich fragwürdig war, aber nun gut, so ist das nun einmal in einem BA Studiengang.
Obwohl ich die meisten Titel des Kurses zumindest inhaltlich grob kannte, unter anderem etwa „The Picture of Dorian Grey“, „The Fall of the House of Usher“, „Frankenstein“, „The Strange Case of Dr. Jekyll and Mr. Hyde“, uvw., so war dies oft Wissen aus modernen Filmen und Neuschöpfungen des eigentlichen original Materials und so viel sei bereits vorweg genommen, im Laufe der Zeit hat sich der Fokus in den meisten Fällen deutlich verschoben.
Ein perfektes Beispiel dafür ist vermutlich Frankenstein, eine Geschichte die eigentlich jedes Kind kennt. Ikonisch sind dabei natürlich die gotische Szenerie, dass Schloss von Dr. Frankenstein und die berühmte Wiedererweckung vom Monster, gerne begleitet mit einem einschlagenden Blitz. Es folgt die Jagt auf das Monster ( welches von vielen fälschlicherweise als „Frankenstein“ bezeichnet wird, was den nächstbesten Klugscheißer im Raum dazu veranlasst groß und breit darzulegen, dass es sich bei dem Wesen lediglich um Frankensteins Monster handeln würde) und schließlich dessen tragisches Ende.
Wer dies jedoch im Buch „Frankenstein; Or, The Modern Prometheus“ erwartet, der befindet sich auf dem falschen Dampfer.
Der erste Punkt der einem ins Auge sticht, ist sicherlich die Sprache. Verfasst zu Beginn des 19. Jahrhunderts fällt es einem zunächst schwer sich dem deutlich gehobenen Sprachgebrauch anzupassen, ohne dabei einen Satz mehrere Male lesen zu müssen.
„Remember, I'm not recording the visions of a madman. The sun does not more certainly shine in the heavens than that which I now affirm is true. Some miracle might have produced it, yet the stages of discovery were distinct and probable.“
Dies waren im übrigen 3 Zeilen von knapp 50 pro Seite, wer also glaubt mit gerade einmal 108 Seiten wäre das Buch mal eben locker flockig in einem Rutsch zu lesen, der täuscht. Nach einer Weile hat man sich jedoch an den Stil gewöhnt und spätestens dann entfaltet das Werk seine wahre Stärke, denn die gute Mary Shelley war, wie viele Kollegen ihrer Zunft zur damaligen Zeit, eine Meisterin im Umgang mit der englischen Sprache. Heutzutage wird Englisch ja gerne als Allerweltssprache abgetan und in den meisten Fällen moderner Popkultur ist dies sicherlich auch zutreffend, daher ist es umso schöner zu sehen welch wunderbaren Klang und welche Pracht an Bildern man aus der Sprache holen kann, wenn man nur über den passenden Wortschatz verfügt.
Frankenstein erzählt seine Geschichte aus der Ich-Form, wodurch der Leser Eindrücke aus erster Hand von der zerrütten Psyche und gequälten Seele des Protagonisten bekommt. Shelley spielt zeitgleich mit einem weiterem Punkt, denn, anders als in den meisten Filmen, bleibt das Monster im Buch oft im Verborgenen und zeigt sich nur seinem Schöpfer, was im Verlauf des Geschichte immer wieder die Frage aufwirft, ob die Aussage „I'm not recording the visions of a madman“ unter Umständen anzuzweifeln ist.
Apropos Monster, dieses unterscheidet sich ebenfalls drastisch von der typischen Darstellung Marke Boris Karloff. Während die eigentliche Reanimation des toten Gewebes nur ein paar Zeilen verschlingt ( kein Wort von Schloss und einem Gewitter,vielmehr ein dunkler Keller in Frankensteins Studentenwohnheim), so beschreibt die Autorin die Merkmale des Ungetümes umso detaillierter.
„His limbs were in proportion and I had selected his features as beautiful. Beautiful! Great God! His yellow skin scarcely covered the work of muscles and arteries beneath; his hair was of a lustrous black, and flowing; his teeth of pearly whiteness; but these luxuriances only formed a more horried contrast with his watery eyes, that seemed almost of the same colour as the dun-white sockets in which they where set, his shrivelled complexion and straight black lips.
Was folgt ist eine lange Phase, in der das Monster von der Bildfläche verschwindet und Frankenstein immer tiefer dem Wahnsinn verfällt, wohl wissend welchen Schrecken er über die Menschheit gebracht hat. Es sind diese Momente, in denen das Buch seinem Genre alle Ehre macht, schließlich zielt die Stilrichtung der Gothic Novel keinesfalls auf billige Schockeffekte und grausame Bilder, viel eher geht es hier um die Atmosphäre, um die Angst vor dem Ungewissen und die Suche nach dem Übernatürlichem. Es spielt mit den Urängsten der Menschheit und trifft dabei einen Nerv, der Zuschauer bis Heute fasziniert.
Zugegebenermaßen ist das Buch jedoch auch nicht ganz frei von kleinen Makeln. So ist die gehobene Sprache sicherlich ein Hindernis, um überhaupt in der Geschichte Fuß zu fassen und selbst wenn einem dies gelingt, so wird man unter Umständen dennoch genervt mit den Augen rollen, ob der drölfzigsten langatmigen Formulierung. Auch der eigentliche Erzählstil dürfte man einem vor den Kopf stoßen, denn auch wenn der Ich-Erzähler ein übliches Stilmittel der Literatur ist, so treibt es Shelley gerne auf die Spitze, wenn es darum geht das Innerste von Viktor Frankenstein zu offenbaren. Durch den Umstand das die Figur Frankensteins selbst zunehmend dem Wahnsinn verfällt, kann es obendrein schwer sein seinen Gedanken und der eigentlichen Handlung zu folgen, vor allem wenn es um den zeitlichen Rahmen seiner Tour de Force geht.
Wer jedoch diese Hürden meistert und über die nötige Portion Sitzfleisch verfügt, den erwartet mit „Frankenstein; Or, The Modern Prometheus“ wahrlich eine Perle der Literatur, die man im Grunde bedenkenlos empfehlen kann.
Fazit:
Der Einstieg in ein Buch aus dem 19. Jahrhundert stellt sicherlich eine Hürde da und sowohl die Sprache, wie auch die eigentliche Erzählstruktur dürften für den Otto Normalbürger zunächst befremdlich wirken, dennoch lohnt es sich die extra Meile zu gehen und ein bisschen Arbeit in die Lektüre zu stecken, denn als Belohnung erwartet euch ein echter Klassiker, der auch rund 200 Jahre nach der ersten Veröffentlichung nichts von seiner Stärke eingebüßt hat.
Soweit zum Buch. Auf der nächsten Seite geht es weiter mit einer kleinen filmischen Zeitreise, durch die Geschichte von Frankensteins Monster.