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Bilder des Zerfalls: Im Klammergriff der Kontroverse – Teil 8

von Pascal Reis

Was für ein interessantes Projekt – und dazu auch noch eine Herzensangelegenheit von Martin Scorsese („Departed – Unter Feinden“). „Die letzte Versuchung Christi“, eine Adaption des Skandalromans „Die letzte Versuchung“ von Nikos Kazantzakis, schickte seiner Zeit die christlichen Fundamentalisten auf die Barrikaden. Nicht nur wurden mehrere Kopien des Filmes direkt aus dem Kino entwendet und zerstört, in Frankreich kam es gar zu Brandstiftungen und gewalttätigen Auseinandersetzungen, in Hamburg wurde eine Bombendrohung ausgesprochen, während sich in West-Berlin über 300 Glaubenskämpfer auf den Straßen formierten und gegen die Reinkarnation des Antichristen, Martin Scorsese, und sein mephistophelisches Machwerk vor Wut schäumend Stellung bezogen. Führt man sich „Die letzte Versuchung Christi“ zu Gemüte und reflektiert auf Augenhöhe, erscheinen all die Proteste in einem mehr als lächerlichen Licht. In Wahrheit nämlich sind die Fundamentalisten gegen einen Film in den (Glaubens-)Krieg gezogen, der sich fortwährend für den christlichen Glauben ausspricht, was folgerichtig bedeutet, dass in jenen Tagen ein paradoxer Widerstand gegen die eigene Gesinnung jener Fanatikern abgehalten wurde.

Wie dem auch sei: „Die letzte Versuchung Christi“ ist ein unglaublich interessantes Unterfangen, inszeniert Martin Scorsese doch einen lebendigen Jesus-Film, der sich nicht allein an ein religiöses Publikum wendet, sondern selbst Agnostiker wie Atheisten in sein Sujet miteinbezieht. „Die letzte Versuchung Christi“ nämlich beginnt ganz grundlegend mit der Frage, wie wir zu Jesus Christus stehen, ob wir den Bibelüberlieferungen einen gewissen Wahrheitsgehalt zusprechen oder ob wir das Christentum doch nur als von suspekten Dogmen versklavten Irrglauben definieren. In jedem Fall, und das ist der Grundpfeiler, auf den sich „Die letzte Versuchung Christi“ bezieht, hat sich jeder Mensch schon einmal mit diesem Thema beschäftigt, ein Agnostiker wird nicht als Agnostiker und ein Atheist wird nicht als Atheist geboren, höchstens von einer harschen Sozialisation darauf konditioniert, jede Form von Religiosität respektive Spiritualität abzulehnen. Allerdings wird auch unter diesen Bedingungen irgendwann (hoffentlich!) der Punkt kommen, an dem sich das eigenmächtige Denken ausprägt und über den pädagogischen Lehrstock hinauswächst.

Die Existenz von Jesus, die Bekenntnis zu Gott, diese Punkte sind essentielle Stützen des Fundamentes der persönlichen Philosophie. Und sollten wir zu dem Entschluss gekommen sein, dass Religion keinen Platz in unserem Leben hat, dann wartet „Die letzte Versuchung Christi“ mit einem Jesus von Nazareth (Willem Dafoe, „Leben und Sterben in L.A.“) auf, der selber nicht so recht versteht, worum seine Person nun eigentlich bestellt ist. Als Schreiner stellt er Kreuze über die römische Okkupation her, die sich über Palästina ausgebreitet hat und nimmt somit schon vorweg, was irgendwann auch ihm widerfahren soll. Die Menschwerdung Jesus wird in „Die letzte Versuchung Christi“ durch inhärente Zweifel eingeleitet, ständig befindet er sich in hadernder Pose, muss innere Gefechte austragen, die seine Liebe zu Gott immer wieder zurück in niederdrückende Schmerzen geleitet: Ist es Gott, der Jesus führt, oder ist es Satan, der Jesus mit gespaltener Zunge ins Ohr wispert? Ist Gott unser Schild, hinter dem wir Schutz und Geborgenheit finden, oder ist Gott das geschliffene Schwert, das sich bis tief in unser Fleisch bohrt?

Jesus strauchelt, in seiner Brust pochen zwei Herzen, befindet sich auf Sinn- und Identitätssuche, während ihm ausgerechnet Judas (Harvey Keitel, „Bad Lieutenant“) als treuster Gefährte und ärgster Kritiker zur Seite steht. Wir müssen von Beginn an akzeptieren, dass dieser hier präsentierte Jesus keine vollendete Persönlichkeit darstellt, sondern einen angsterfüllten Suchenden, der sich über seine Macht noch im Klaren ist und sich am liebsten gegen Gott und die Welt erheben möchte – wäre sein Innersten doch nicht so von Furcht vereinnahmt. „Die letzte Versuchung Christi", dessen Drehbuch im Übrigens Paul Schrader („Taxi Driver“) verfasst hat, ist nicht darauf erpicht, eine bibeltreue Rekonstruktion aufzubieten, die hiesige Verknüpfung zum Neuen Testament versteht sich vielmehr als Paraphrase, dessen Katalysator die Zwienatur des Messias (wider Willen) darstellt. Tatsächlich aber transzendiert „Die letzte Versuchung Christi“ seine mannigfaltige Prämisse nur selten, was den kontroversen Ansatz fortwährend stagnieren lässt und Martin Scorsese wiederholt auf eine äußerst platte Ikonographie zurückgreifen lässt: Die Schlange als Symbol der Versuchung? Ein blondgelocktes Mädchen als Bote des Teufels? Wirklich?

Es wäre der weitaus ergiebigere Weg gewesen, das Gedankenspiel fortzusetzen, wie Jesus Christus gehandelt hätte, würde er in der heutigen Zeit leben; wie er sich, seine Gebote und seinen persönlichen Glauben zusehends herausfordert, um diesen stetig weiterzuformen – oder ihm und seinen Ansprüchen letztlich zu erliegen. „Die letzte Versuchung Christi“ allerdings ist ein plakativer, ein episodisch zerfranster Film geworden, der seinen kontemplativen Interpretationslimbus geradezu überrennt und leise Denkanstöße permanent auf den Punkt zu bringen versucht, um dementsprechend affirmativ auf die Figur des Erlösers zu blicken. „Die letzte Versuchung Christi“ ist kein blasphemischer, spöttischer Film, nein, er lässt Jesus dem Zuschauer näher als möglich kommen, aber er ist zu simplistisch, zu grell und fühlt der Dualität der menschlichen Natur nie in emphatischer Fasson auf den Zahn. Die Schuld, die Unsicherheit, die Überforderung, die Jesus überbrücken muss, wirken nicht nach und versanden im Versuch, wirklich bedeutungsvolles, sprich, grenzüberschreitendes Kino zu erschaffen. Dass schlussendlich ausgerechnet das irdische Leben nur als satanische Versuchung existiert, irritiert, immerhin war Jesus doch Mensch und hatte somit eine Wahl, ein Recht!, in der „Beliebigkeit“ zu verbleiben.

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