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Bilder des Zerfalls: Im Klammergriff der Kontroverse – Teil 10

von Pascal Reis

„Ichi the Killer“ - einer der Skandalfilme schlechthin. Und tatsächlich: Damals, als klein Smooli anfing, sich für Filme zu interessieren und die bekannte Online-Enzyklopädie zu einem willkommenen Fundus des filmischen Wissens wurde, las er zum ersten Mal von einem Film, der in der Bundesrepublik Deutschland nicht zu erwerben ist. Ein Film, der so brutal und eklig sein soll, dass man ihn nicht mal als Erwachsener (damals ein fernes Ziel) sehen durfte. Da hat er nicht schlecht gestaunt und den Film auch nicht angesehen, bis es nun für Bilder des Zerfalls endlich Zeit wurde. Und einmal mehr musste er feststellen, dass er mit all den kritischen Stimmen nicht konform geht.

Das soll nicht heißen, „Ichi the Killer“ wäre nicht brutal, ekelerregend und bisweilen wirklich erschütternd; das ist der Film nämlich, wenn Menschen verbrannt werden, sich selbst zerstümmeln oder die Blutfontänen(!) aus den Halsschlagadern gefetzt kommen. Aber blutige Effekte selbst machen einen Film ja noch nicht jugendgefährdend bzw. menschenfeindlich oder strafrechtlich relevant, wie die Bundesprüfstelle so gerne schreibt. Blutige Effekte reichen nicht, es muss um die Position des Werkes gehen, die es in Anbetracht der Gewalt einnimmt. Zeigen ist ungleich legitimieren/ zelebrieren/ akzeptieren. Das ist etwas, was wir hier seit nunmehr zehn Wochen predigen. Aber ist Takashi Miike, Japans abgefahrener Turbo-Regisseur vom Dienst, denn hier, bei seinem berühmtesten Werk, denn so leichtfertig, dass er die gezeigte (und wirklich omnipräsente) Gewalt in all ihren Formen und Farben feiert?

Natürlich tut er das nicht. Aber, und das ist wirklich wichtig, wenn man sich „Ichi“ zu Gemüte führen möchte, ebenso wenig verteufelt Miike die Gewalt. Er bleibt herrlich passiv bei all dem Gemetzel, das hier so vor sich geht. Er verurteilt weder seine Figuren, noch ihre Handlungen. Er akzeptiert sie und schafft dadurch ein bewegliches, ein ambivalentes Werk, dessen Quintessenz der Gewalt für jeden Zuschauer leicht unterschiedlich sein dürfte. Der japanische Filmemacher inszenierte hier ein zweistündiges Werk, das der Welt offenbaren sollte, wie verkorkst sie eigentlich ist. Schließlich ist der Mensch von Gewalt stets umgeben. Sei es zuhause, in der Schule, bei Freunden, bei der Nahrungsbeschaffung (KFC ist nicht zufällig im Bild) und beim Sehen der Nachrichten, die man im Übrigen seltsam anteilnahmelos mitverfolgt.

Gewalt ist omnipräsent - im Film und im Leben - und Miike zeigt deutlich, dass es verkehrt wäre, sie zu verdammen und sie als Teil des menschlichen Wesens zu verleugnen. Dabei geht er sehr bewusst über Geschmacks- und Schmerzensgrenzen hinaus, um dem Zuschauer zu zeigen, wie weit der „Normalzustand“ mittlerweile gekommen ist. Eine Prostituierte wird von ihrem Zuhälter geschlagen und dann vergewaltigt und später, einmal mehr verprügelt, weil sie mit ihrem entstellten Gesicht nicht genug Kunden kriegt - ein Teufelskreis, der so schon schockierend genug ist. Aber Takashi Miike wäre wohl nicht Takashi Miike, wenn er es hierbei belassen würde. Er lässt Ichi einschreiten und die verzwickte Situation auflösen, indem er den Zuhälter umbringt - nur um der Prostituierten dann stolz mitzuteilen, er sei nun derjenige, der sie verprügele. Aus ihrem einen verbliebenen Auge strahlt bloßes Unverständnis. Solange, bis jegliches Strahlen erlischt.

Kakihari, der blonde sadomasochistische Yakuza, der jedes „Ichi“-Cover ziert, ist auf der Jagd nach Ichi und von ihm fasziniert. Er selbst sagt, jeder Mensch vereine masochistische und sadistische Züge, Ichi jedoch sei zu 100% Sadist. Damit wäre er das Gegenstück zu dem blonden Mann mit der lustigen Garderobe, der sich relativ früh schon die Zunge abschneidet. Kakihari möchte den ihm noch unbekannten Ichi für seine eigenen masochistischen Zwecke nutzen, weshalb er sich auf die Jagd nach ihm, (kitschig ausgedrückt) seinem Yang, begibt. Und um diese Reise geht es Miike ebenso, wie um die entlarvende Darstellung von all den Verbindungen zwischen Mensch - Gewalt, Medien - Gewalt und Mensch - Medien. Ichi, der mit der Zeit an seiner sadistischen Ader leidet, wird in Momenten der Schande von Überwachungskameras gefilmt. Er leidet, die Außenwelt suhlt sich in seinem Elend.

Derjenige, der für einen Großteil der Gewalt und für das ganze Leiden Ichis verantwortlich ist, heißt Jiji und manipuliert Ichi. Jiji ist eine Art Medium für die anderen Charaktere, der Ichi zu seinen Gewalttaten und seinem Sadismus treibt und ihn sich stets gefügig macht. Dieser Eindruck wird zudem von dem internationalen Filmtitel verstärkt, der so vom Filmemacher wohl nicht geplant war, aber als besonderes Bonbon fungiert: Ichi ist nur die Nebenfigur in einem Film, der seinen Namen trägt. Einsamer kann ein Mensch wohl nicht sein. Die Hauptfigur in diesem Film ist nämlich klar der stylische Kakihari, der tatsächlich verlängerte Mundwinkel hat. Er sieht ein wenig aus, wie der Joker, nur dass seine aufgeschnitten Lippen nicht vernarbt, sondern sauber verheilt sind. Er hat einen großen Mund und über ihn werden die meisten Botschaften der Gewalt an den Zuschauer vermittelt. Er ist das Zentrum, ein Charakter auf der Suche, der am Ende sich des Zieles verwehrt und den ultimativen masochistischen Akt begeht.

Mit seinem gefühlt 8000. Film namens „Ichi the Killer“ liefert Takashi Miike einen grandiosen Kommentar zur Lage der Gesellschaft und den bedeutenden Platz, den Gewalt in ihr vereinnahmt, ab. Er macht deutlich, wie omnipräsent Gewalt ist; so sehr gar, dass sie oft gar nicht als solche erkannt wird. Während er nie manipulierend einschreitet, seinem Publikum damit genug Reife und Hirnschmalz anvertraut und sich selbst der Oberlehrer-Gestalt verweigert, jongliert er mit lustigem selbstreferenziellen Humor, heftigstem Gore und dramatischen Schicksalen, bis am Ende das Endergebnis vor einem steht. Dass der Film hierzulande nicht zu haben ist, zeugt dagegen einmal mehr von absoluter Blindheit und peinlicher Bevormundung, die sich selbst ins Knie schießt. Denn, so weit gehe ich hier, wer „Ichi“ sieht, der wird was lernen.

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