Vorab sollte man ungefähr wissen was auf einen zukommt. Mit der falschen Erwartungshaltung kann YELLOWJACKETS durchaus enttäuschen. Die Serie bietet wenig direkte Action oder Gewalt, auch wenn explizite Szenen wirkungsvoll gezeigt werden. Wir haben hier ein ruhiges, aber hartes Charakter-Drama mit Coming of Age, Mystery und Survival Elementen. Endlich mal wieder etwas Neues!
Direkt in der 1. Folge wird clever verdeutlicht worauf der Fokus liegt. Mit einigen kurzen, drastischen Szenen sehen wir, was mal während den 19(!) Monaten Überlebenskampf in der Wildnis passiert. Diese Bilder sollte man jedoch nur bedingt als Appetizer sehen. Sie können beim Zuschauer leicht falsche Erwartungen auf das Tempo der Serie wecken. Damit wird jedoch nur das vorweg genommen, was sowieso klar war. YELLOWJACKETS möchte weitaus spannenderes erzählen: Wie es dazu kam und was das aus den Menschen gemacht hat. So können grenzwertige Dinge eine viel bessere Wirkung entfalten.
Entsetzliches und grauenhaftes wird passieren. Offensichtlich, wenn man in der Gegenwart (20 Jahre später) mitbekommt, was aus den Überlebenden geworden ist. Sie sind eine lange Zeit psychisch und körperlich durch die Hölle gegangen. Das was angeteasert wird ist nur eine sichtbare Spitze des Eisbergs. Die ganze Situation um den Absturz und der Überlebenskampf sind bereits genug traumatisierend. YELLOWJACKETS zeigt wie sich die Situation dort entwickelt und wie die Überlebenden damit umgehen.
Dass die Mädels in diesem gebrechlichen und schwierigen Alter in die Hölle geworfen werden, macht das nur noch interessanter. Thematisiert werden auch die für das Alter typischen Schwierigkeiten mit dem Erwachsenwerden, Freundschaft, Eifersucht, Geheimnisse und Zusammenhalt. Neben den hormongesteuerten Teenagern punktet die Serie mit subtilen Zwischentönen und einer sich durchschlängelnden, mystischen Komponente.
Die Geschichte verläuft parallel auf 2 Zeitlinien. Beide gleichermassen ausgearbeitet. Was genau passiert ist, halten die Überlebenden geheim. Aussenstehende brennen darauf, Einzelheiten in Erfahrung zu bringen. Reine Sensationsgeilheit. Falls der Zuschauer sich damit identifiziert, wird er ebenfalls stehen gelassen.
Für zukünftige Staffeln werden sich die emotional sehr nahe Charakterzeichnung und das gemächliche Tempo auf ziemlich krasse Weise auszahlen. Denn wenn der wahre Schrecken und Horror ihren Lauf nehmen, sind wir in der Lage mitzuleiden. So werden Schockmomente tief sitzen, und gleichzeitig den Charakter der Gegenwart genauer zeichnen. Das wird besonders mit dem Finale dieser 1. Staffel bereits ziemlich gut verdeutlicht. Dazu kann sich YELLOWJACKETS dank einem gewissen Mystery Anteil in viele Richtungen entwickeln.
Da es sich um eine Serie handelt, zeigen sich auch die Stärken dieses Formats. Wer rohen Kannibalismus sehen möchte, schaut sich besser die entsprechenden Filme an. Wir haben hier eine Serie, die langsam und unausweichlich auf Schreckensszenarien zusteuert und diese schlüssig enthüllt. In diesem Tempo und genauso reichhaltig gefüllt kann die Serie noch gut 2-3 Staffeln weitergehen. Mit Staffel 1 findet man sich erstmal mit der Situation ab. Da kann und wird noch einiges kommen – wunderbar am Ende mit einer kleinen Überraschung angeteasert. Genauso die Gegenwartsgeschichte. Wir haben die Figuren erst kennengelernt. Dafür hat man sich glücklicherweise Zeit gelassen.
Juliette Lewis spielt genial. Gerade mit ihr konnte ich gut mitfühlen. Ebenso in ihrer Jugend. In Natalie hab ich mich echt ein bisschen verguckt. Super geschrieben, verrucht authentisch und fantastisch gespielt (beide). Nicht zu vergessen ihr Verhältnis zu Travis. Zuckersüss. Ausserdem positiv auffallend: Christina Ricci und Melanie Lynskey. Wobei mich Christina Riccis Charakter oftmals eher gestört hat, zu drüber.
Zuschauer die selbst ein extremes Trauma durchmachen mussten, könnten zu YELLOWJACKETS ein spezielles Verhältnis aufbauen. Dank der ansprechenden Zugänglichkeit der Thematik, trifft sie auf psychischer Ebene immer wieder die richtigen Punkte. Durch die parallel laufenden Zeitlinien gibt es viele interessante Charakter-Momente. Auch wenn es für mich gerne etwas düsterer und rauer sein dürfte.
Direkt ums unmittelbare Überleben kämpfen. Dem Tod ins Auge blicken, nicht wie bei einem Unfall, sondern über längere Zeit. Ausweglosigkeit und Hoffnungslosigkeit. Das alles erleben zu müssen. Was das mit einem Menschen macht. Das zeigt die Serie ziemlich gut. Nicht stark nach aussen getragen, damit es abgestumpfte Zuschauer ja auch mitbekommen, sondern so wie sich das auch im richtigen Leben abspielt: Subtil und ruhig. Wo nach Aussen wenig passiert, spielt sich auf einer tieferen Ebene eben doch viel mehr ab.
Für mich war YELLOWJACKETS an einigen Stellen ein direkter Spiegel meiner eigenen Lage, was mir nicht gerade Vergnügen bereitete. Schliesslich möchte man sich beim eigenen jahrelangen Überlebenskampf eine Serie als Ablenkung reinziehen.
Anfangs wusste ich auch gar nicht wie mir geschieht, warum ich die Serie so seltsam anziehend finde. Es ist faszinierend, wie man sich als selbst Betroffener zu dieser Seite hingezogen fühlt. Zu Leuten, die ebenso genau wissen was es bedeutet wirklich in der Hölle gewesen zu sein und das mitzutragen. Schlimmstenfalls ist die Hölle hinauf gekommen und bleibt. Aussenstehende können das nie nachvollziehen. Shauna hat ganz gut gesagt: „Manchmal schaue ich mir die Welt um mich an und es ist, als wär alles Licht aus ihr verschwunden.“
Und doch versucht man weiter zu leben. Das Beste daraus zu machen. Davon gezeichnet sein wird man sein Leben lang. Aber man lernt damit zu leben. Es gibt schöne Momente, Geborgenheit und Glück. Man kann sich dennoch entwickeln. Perspektiven zu halten ist jedoch schwer. Eine auf diesem Level gebrandmarkte Seele kann niemals heilen. Diese Narben trägt man für immer.
Dadurch erhält man auch ein völlig anderes Bild der Existenz an sich. Diese Rauheit und Unmittelbarkeit des Erlebens lässt sich nur schwer erklären. Gewissermassen passiv, verglichen zu den meisten Menschen die ständig unwichtigen Dingen nachhechten. Bisweilen aber auch extrem stark sich nach unmittelbarem Erleben sehnend. Man ist nicht mehr der Mensch, der man davor war.
Solche Aspekte zeigt die Serie bedacht und diskret, aber wirklich gut ausgearbeitet.
YELLOWJACKETS hat mich aufgrund meines eigenen Lebens völlig auf dem falschen Fuss erwischt. Das ist der beste Beweis wie authentisch die Serie diese schwierige Seite rüber bringt. Jedes der Mädels in ihrem eigenen Wesen, Charakter und Leben.
In den 5 Wochen während der Ausstrahlung musste ich immer wieder an die Mädels denken. Hier kann wirklich ein einzigartiger unheimlicher Sog entstehen. Ich will tiefer in die Charaktere eintauchen. Wegen den Parallelen zu mir sind die spezielle Faszination und Anziehung wie Nahrung für mich. Mich auf diesen schwierigen, düsteren Ebenen damit identifizieren zu können, wärmt mich.
Ich bin bereit, mich tiefer in die Wildnis hinein zu begeben. Auf beiden Zeitlinien gibt es noch viel zu erzählen. Auch die weitere Ausleuchtung der Figuren dürfte sich gleichermassen spannend gestalten. Mit der Überraschung am Ende ist auch eine erste krasse Entwicklung der Geschichte eingeleitet. Staffel 2 wird wohl ein paar andere Mädels näher in den Fokus rücken. Gerne mehr davon!
Mit über 5 Mio. Zuschauern wöchentlich ist YELLOWJACKETS die erfolgreichste Showtime-Serie seit 6 Jahren. Geplant ist, jährlich eine neue Staffel rauszubringen.