Eine weitere Dokumentation vom (aus Sicht dubioser Politiker und reicher Unternehmer) nervigsten Filmemacher der USA. Dieses Mal widmet er sich der vermeintlichen Wurzel allen Übels: dem Kapitalismus.
Heißt also bereits im Vorfeld: Wer in den sozialen Netzwerken oder sogar im realen Leben schon einmal den schmucken Dysphemismus "links-grün-versifft" genutzt hat, wird diesem Film mit hoher Wahrscheinlichkeit wenig bis nichts abgewinnen können.
Ich hingegen fühle mich in diesem Milieu wie zuhause und hatte mich auch schon sehr auf die hoffentlich bissige und scharfsinnige Auseinandersetzung mit diesem komplexen, schwer greifbaren Themenkomplex gefreut. Umso größer war die Enttäuschung zu Anfang des Films. Michael Moore zeigt zerstörte Familien, die im Zuge der Zwangsvollstreckung ihre Häuser verlieren. Mit Sicherheit ein trauriger Anblick, aber wenn er das am Kapitalismus kritisieren will, ist Moore ein noch größerer Träumer als ich. Denn wer seine Rechnungen nicht zahlt, muss mit den Konsequenzen leben. Dachte ich zumindest.
In den folgenden zwei Stunden beleuchtet er die Hintergründe, die zu den anfänglich gezeigten Zwangsräumungen geführt haben. Wenn "die Wall Street" (ich sträube mich gewöhnlich gegen Verallgemeinerungen, aber bei diesen Verbrecher mache ich eine Ausnahme) den Menschen hinterlistige Refinanzierungen andreht, um ihnen durch undurchsichtige, horrende Zinssätze später ihr Haus zu stehlen, ist Moores Mafia-Vergleich da mehr als passend. Das war jetzt noch nichts gänzlich neues. Aber die geschichtliche Verknüpfung mit der Amtszeit Ronald Reagans wirft ein neues Licht auf den Sachverhalt.
Die vielleicht größte Leistung des Films, sowohl für amerikanische, als auch internationale Zuschauer, findet aber erst in den letzten 20 Minuten des Films statt, als der Kreis wieder geschlossen wird und die Handlungsstränge zum Ende geführt werden. Denn gerade als deutscher Zuschauer muss man diese Ereignisse vor dem Hintergrund betrachten, dass die USA nicht einmal ein ansatzweise funktionierendes Sozialsystem haben. Die Entstehung dieser Diskrepanz zwischen Europa und den USA liegt mehr als 70 Jahre zurück, als am Ende des zweiten Weltkrieges die Verfassungen von Deutschland, Italien und Japan neu geschrieben wurden. Durch den frühen Tod Franklin D. Roosevelts konnte dieser solche Reformen nicht mehr in seinem eigenen Land umsetzen, weshalb bspw. das Recht auf eine Wohnung, auf Grundversorgung, auf Rente (ok, das ist momentan auch problematisch) oder auf die Bildung von Gewerkschaften Selbstverständlichkeiten bei uns sind, aber nicht in den USA.
Der Film hat bei mir erreicht, dass ich unser Grundgesetzt jetzt noch mehr zu schätzen weiß, als ich es ohnehin schon getan habe - und zwar auch als Geschenk der USA an uns. Vielleicht können wir ihnen beim Aufbau eines Sozialstaats ebenfalls helfen, um ihre Großzügigkeit nach dem zweiten Weltkrieg zu erwidern. Aber durch die aktuellen Präsidentschaftsvorwahlen scheinen die amerikanischen Wähler alles zerstören zu wollen (und das ist noch nicht sehr viel), was Obama aufgebaut hat, was Journalisten und Filmemacher wie Michael Moore offengelegt haben und wofür die amerikanischen Arbeiter gekämpft haben.