Von Beginn an arbeitet Lion gewissenhaft daran, jeden Punkt der Oscarcheckliste mit größter Sorgfalt abzuhaken. Aufdringliche Musik? Check. Übertriebene Schauspielleistungen? Check. Manipulative Gefühlsduselei? Check. Problemlos könnte man die Aufzählung noch eine Zeit lang fortsetzen, doch wer in seinem Leben schon ein paar Filme gesehen hat, der weiß worauf es letztlich hinausläuft. Lion ist ein Film der billig erkauften Emotionen, nie ernsthaft an seinen Figuren oder einem tiefergehenden Diskurs interessiert und doch unglaublich heuchlerisch im Vortrag. Die Geschichte eines verlorengegangenen Jungen wird zu Gunsten einer Handvoll plakativer Momente ausgeschlachtet und mit jeder Menge Wohlfühlesoterik wieder zugekleistert. Echte Gefühle werden dabei schon im Ansatz vom omnipräsenten Klaviergeklimper und der aufdringlichen Kameraarbeit erstickt. Noch plumper ginge es nur, wenn auf der Leinwand plötzlich eine Texttafel mit Jetzt bitte Weinen eingeblendet werden würde. An den Stellen wo tatsächlich ein interessanter Diskurs über Zugehörigkeit, Heimatgefühl und die eigenen Wurzeln entstehen könnte, zeigt man dann doch lieber einen niedergeschlagenen Dev Patel, der im Sonnenuntergang ein Bier trinkt oder eine weinende Nicole Kidman, die ihr Leid dem Zuschauer entgegenwirft. Am Ende von Lion steht dann ein Spendenaufruf für bedürftige Kinder in Indien, untermalt von Sias neuestem Pophit. Eigentlich ist damit bereits alles gesagt, was es über den Film zu sagen gibt.