Wenn man über das großartige skandinavische Kino redet, werden meist die Namen Lars von Trier und Susanne Bier genannt, doch einer bleibt dabei oftmals außen vor: Anders Thomas Jensen. Der werte Herr schrieb aber unzählige Drehbücher zu herausragenden Filmen (einige auch für, bzw. mit Susanne Bier) und durfte mit „Flickering Lights“, „Dänische Delikatessen“ und „Adams Äpfel“ auch beweisen, dass er ein überaus fähiger Regisseur ist, vor allem wenn es um rabenschwarze, absurde Komödien geht. Nun, nach über zehn Jahren des Wartens dürfen sich die Fans und alle Freunde von abseitigen Komödien freuen, denn mit „Men & Chicken“ kehrt Jensen endlich wieder als Regisseur zurück. Das Ergebnis darf sich bereits jetzt zu einer der wohl besten Komödien des Jahres zählen, neben Josh Lawson charmanter Episodenkomödie „Der kleine Tod. Eine Komödie über Sex“.
Erneut holt Anders Thomas Jensen die üblichen Verdächtigen seiner früheren Filme zusammen, ganz vorne der zum internationalen Star mutierte Ausnahmedarsteller Mads Mikkelsen, der hier so frei und herrlich aufgedreht agieren darf wie selten zuvor. Aber er ist nur ein Teilstück des großartigen Ensembles, das aus einer Vielzahl bekannter Darsteller aus dem hohen Norden besteht. Sie alle geben sich der hemmungslos skurrilen Geschichte, die Jensen, wie bei seinem vorherigen Regieeinsätzen auch, geschrieben hat, hin - und zwar idealistisch. Es ist deutlich zu spüren, dass „Men & Chicken“ eine Produktion aus Leidenschaft ist, eine Art freundschaftliches Wiedersehen, auf dass sich die Fans der Akteure und von Anders Thomas Jensen durchaus freuen dürfen, auch wenn es diesmal vielleicht nicht ganz in die Königklasse des Komödiengenres reicht, in der vor allem „Adams Äpfel“ einen Ehrenplatz inne hat. Dass „Men & Chicken“ nicht ganz die Qualität, bzw. die Erwartungen erfüllen kann, liegt paradoxerweise an einer größten Stärke des Films: seine Absurdität.
Während „Adams Äpfel“ durchaus emotionale Verbindungen zum Publikum erreichte, fällt es bei „Men & Chicken“ durchaus schwer einen empathischen Kontakt zu den Figuren zu erkennen. Denn Anders Thomas Jensen vierter Spielfilm wird vor allem gegen Ende so massiv durchgedreht in seinem Handlungsverlauf, dass auch der letzte Rest eines zum mitfühlen einladenden dramaturgischen Unterbau schlicht und ergreifend weggerissen wird. Kein Wunder, denn aus der von Beginn an bizarren Stoty wird nach und nach das reinste Kuriositätenkabinett und es ist kaum zu glauben, mit welcher Chuzpe und kecken Selbstverständlichkeit Anders Thomas Jensen bei „Men & Chicken“ fast schon spielerisch teils derbste Verrücktheiten integriert. Doch wie gesagt, je doller der übertriebene Wahnsinn, desto oller die eigentlich Verbindung zwischen Publikum und Figuren. Das war das Großartige bei „Adams Äpfel“: die harmonische Symbiose aus bösem Witz und durchgedrehten Rollen wie dem adipösen, kleptomanischen Ex-Tennisprofi, der trotz all seiner absonderlichen (wie auch abschreckenden) Eigenheiten immer noch Empathie erwecken konnten. Das fehlt „Men & Chicken“ leider. Allerdings ist es kein wirklich schmerzhafter Verlust.
Denn auch wenn „Men & Chicken“ vielleicht nicht das gesamtgroße Highlight geworden ist, welches viele erwartet haben, so erfüllt die Komödie - die durchaus versucht auch eine tragische Komponente in all die dargebotenen Anomalitäten einzufügen - doch über genau die humoristische Qualität, die Fans von Anders Thomas Jensen erwarten. Auch sein neuster Film ist voller grandioser Komik, die scheinbar keine Grenzen kennt. Da wird sich mit Holzlatten, ausgestopften Vögeln und Großküchenkochtöpfen verprügelt bis das Blut fließt, werden abstruseste Dialoge sowie Monologe gehalten und die Bibel so rezitiert, dass die Geschichte von Gott und Abraham plötzlich in einem realistischen wie psychologischen Kontext erstrahlt. Das alles und noch vieles mehr lädt zum schallernden Lachen genauso ein wie zum konstanten Schmunzeln. Vor allem aber herrscht eine wohlige anarchische Kraft. Hier kann einfach alles passieren. Da werden Erwartungen ohne Wenn und Aber erfüllt, nur um kurze Zeit später wieder den Vorhersehbarkeiten den Stinkefinger zu zeigen. „Men & Chicken“ ist kein herausragender Film, aber eine herausragende Komödie.
„Men & Chicken“ ist ungehemmt amüsant wie rabenschwarz und böse. Ein Schaulaufen des galligen Humors, der ganz nebenbei eine ganz eigene, fast schon abstrakte Welt erschafft. Eine Welt mit Nudelholzsammlungen, kuriosen Tiermischwesen und Figuren, die trotz ihrer grimassenhaften Äußerlichkeiten, schrägen, charakterlichen Merkmale wie dem stetigen Drang zur Masturbation (nie war Mikkelsen besser) oder ihrer selbstgewählten sozialen Isolation niemals nur als reinrassige Monster vom Film portraitiert werden. Für Anders Thomas Jensen sind es Individuen, die sich anders entwickelt haben als die breite Masse und dennoch der sogenannten Normalität ähnlicher sind, als es ihr Äußeres oder ihr vordergründiges Verhalten preisgibt. Die seltsamen Brüder sind vielleicht nicht mehr als eine verzerrte Reflexion von uns selbst. Und während Gabriel (David Dencik) die Wahrheit sucht, versucht Franz (Søren Malling) diese zu verdrängen. Diese beiden Verhalten… es gibt wahrlich nichts Menschlicheres. Hinter all dem frechen, garstigen und scheinbar unkontrollierten (un)erwachsenen Humor steckt vielleicht nicht mehr und nicht weniger als Philanthropie.