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RestlessKid

Kritik von RestlessKid

Diese Kritik enthält Spoiler.

Warten auf den Tod oder: Desperate Cop

Die meisten Menschen führen ein Leben voll Verzweiflung (H.D. Thoreua: Walden)
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Da sitzen drei Wohlstandsbuben in einem Fast-Food-Fresstaurant, dessen Name nicht genannt werden muss, und unterhalten sich über das Neueste.

Bub I: „Habt ihr das mitgekriegt? Neulich wurde (wieder) ein Obdachloser totgeschlagen…“

Bub II: „Na, nicht wirklich.“

Bub I: „Was heißt das, “nicht wirklich?““

Bub II: „Ein paar Jungs, du kennst die übrigens aus deinem Sportverein, wollten sich nur einen kleinen Spaß mit dem Pennerwichser erlauben und ihm ein bisschen Angst einjagen. Sie haben ihn von seinem Platz aufgescheucht, weil sie seine Hackfresse dort nicht mehr ertragen haben. Vermutlich haben sie ihn auch ein bisschen geschlagen und getreten, aber das ist doch nichts weiter. Der Penner ist dann jedenfalls plötzlich selbst zusammengebrochen, vermutlich Herzinfarkt oder sowas“

Bub III schlürft ausgiebig an seinem Milkshake.

Bub II: „Dafür können ja die Jungs nichts. Jedenfalls wurde das Ganze so wie es aussieht von diesem Polizisten, Azuma glaube ich, beobachtet.“

Bub I: „Azuma!?“

Bub II: „Ja. Ist dir der Name bekannt?“

Bub I: „Mhm. Mein Vater hat ja einen Bekannten bei der Polizei und kriegt so einiges mit. Dieser Azuma soll wohl den Ruf eines Polizisten haben, der nicht gerade zimperlich ist. Sein Spitzname, den ihm seine Kollegen hinter der Hand nachrufen, ist "Violent Cop".

Bub II: „Mhm. Das passt auch zu diesem Vorfall. Azuma war wohl nicht im Dienst und hatte seine Waffe nicht dabei. Er hatte wohl Angst, sich unbewaffnet einzumischen und…“

Bub I: „Mhm. Das kennt man ja oft von Feiglingen.“

Bub II: „Mhm. Jedenfalls hat Azuma abgewartet und ist einem der Jungen doch tatsächlich bis zu dessen Haus gefolgt. Wenige Augenblicke, nachdem der Junge sein Haus betreten hat, um es sich in seinem Zimmer bequem zu machen, klingelte Azuma an der Tür. Da er der besorgten Mutter seinen Dienstausweis vorweisen konnte, konnte er einfach so reinspazieren und zum Zimmer des Jungen gehen. Stell dir das mal vor: es klopft an deiner Tür, du denkst, es ist deine verblödete Mutter, machst die Tür auf und plötzlich steht so ein Typ vor dir und“, Bub II schlägt mit der Faust auf den Tisch, „HAUT DIR IN DIE FRESSE“.

Bub III verschluckt sich daraufhin an seinem Burger, kriegt einen Hustenanfall. Kann ihn aber stoppen, indem er ausgiebig an seinem Milkshake schlürft.

Bub I: „Wirklich!?“

Bub II: „Nicht nur das, Azuma hat ihn wohl richtig zusammengeschlagen, sodass der Junge richtig geweint hat.“

Bub I: „Ach du Scheiße!“

Bub II: „Die Mutter des Jungen hat wohl nichts mitgekriegt und Azuma ist dann unbemerkt wieder gegangen. Aber vorher hat er dem Jungen noch befohlen, dass er mit seinen Kumpels zur Polizei gehen und sie sich gemeinsam selbst anzeigen sollen.“

Bub I: „Und?“

Bub II: „Die Jungs sind am nächsten Tag zur Polizei und haben sich selbst angezeigt. Körperverletzung und versuchter Totschlag.“

Bub I: „So eine Scheiße. Das ganze Leben versaut. Und nur wegen dem Scheißpenner. Sollen doch froh sein, wenn dieses Dreckspack von den Straßen verschwindet. Dann wird die Luft nicht mehr so vollgestunken.“

Bub II: „Tja. Das Leben ist kein Ponyhof.“

Bub I: „Die Jungs können doch nichts dafür, wenn der Penner einfach so zusammengebrochen ist. Wahrscheinlich war sein Herz schon vorher angegriffen. Wahrscheinlich hat er geraucht wie ein Schlot und gesoffen wie ein Loch. Machen doch alle Penner so. Also um den Penner ist es echt nicht schade. Aber dieser Azuma… Mann, der macht mir Angst.“

Bub III hat nichts gesagt, sondern sich nur satt gefressen. Sein Motto: Essen ist wichtiger als Reden.
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Mit Violent Cop hat Takeshi „Ich-kann-auch-anders“ Kitano nicht nur seinen ersten Film als Regisseur und (Co-)Autor vorgelegt, sondern gleich noch einen kompletten Imagewechsel vom Quatschkopf Japans zum ernsthaften, konsequenten und zynischen Gesellschaftskritiker gemacht.

Er, der Schöpfer von Takeshi’s Castle, der sich als liebenswerter Komiker einen Namen gemacht hat, zum Star avanciert ist, hat auch die Hauptrolle in Violent Cop übernommen und inszeniert sich plötzlich als große Spaßbremse. Das japanische Volk hatte das wohl nicht so gerne und strafte Violent Cop mit Missachtung, sodass er ein Flop wurde. Aber was soll’s. Wir, die wir den Film kennen, wissen, was wir an ihm haben. Nämlich einen ganz großen Klassiker. Keine Widerrede!

Ohne sich die Mühe um einen Vorspann zu machen, macht uns Kitano gleich mit dem Charakter der großen Stadt bekannt und schildert ein ganz normales Ereignis, dass in der Regel noch nicht einmal den Weg in die Zeitungen oder TV-Nachrichten findet: Ein Obdachloser wird totgeschlagen. Na ja, nicht ganz. Ein paar Jungs prügeln „aus Spaß“ auf ihn ein und er bricht dann wahrscheinlich durch einen Herzinfarkt zusammen.

Gewalt regiert die Welt. Gewalttätig ist der Mensch, kaltherzig und verblödet.
Kitano zeigt die Großstadt, Tokyo (immerhin mit Metropolregionen und allem drum und dran über 30 Mio (!) Einwohner) als widerlichen Moloch, in dem die Menschen dem Anschein nach zwar ein unauffälliges Leben führen, aber durch die unweigerliche Kaltherzigkeit, die eine so große Industriestadt mit sich bringt, längst korrumpiert sind.

Alle für Kitano "typischen" Merkmale sind schon in diesem Film vorhanden. Das markante an Kitanos "Action" ist neben der plötzlichen Unmittelbarkeit die ruhige und teilnahmslose Inszenierung. Bei Kitano ufert die Gewalt nie aus oder ist selbstzweckhaft. Azumas Aggressionen sind nichts anderes als ein Hilfeschrei, Ausdruck tiefster Unzufriedenheit mit seinem Leben, seinem Job, seinen Kollegen, seinen Mitmenschen. Die sarkastische, zynische Gleichgültigkeit, mit der Gewalt als normaler Bestandteil des Alltags registriert wird; die Kaltherzigkeit, mit der geschlagen, getreten, geschossen, gestochen, geohrfeigt, gekniffen, gespuckt wird, schockiert und lässt einem gleichermaßen ein Lachen im Halse stecken bleiben.

Und die Kompromisslosigkeit, mit der Azuma zuschlägt, ist nichts anderes als eine Folge seines fehlgeleiteten Gerechtigkeitssinns, der in Anbetracht der Tatsache, dass andere Lösungsversuche scheitern, in Fanatismus endet.

Die Menschen in Kitanos Filmen, interessanterweise gerade auch seine "Helden" wie Azuma, gehören zu einer einzigen grauen Masse und unterscheiden sich von ihren Mitmenschen in keiner Weise. Sie sind apathisch, kaltherzig (auch wenn Azuma an sich zu Mitleid und wie am Filmanfang zu etwas, wenn auch merkwürdiger, Zivilcourage fähig ist), egoistisch, depressiv, ungemütlich, intolerant, zu keiner Freude fähig (nur mal ein kleines Lächeln hier und da), zu keinem freundlichen Wort fähig. Und selbst schon Kinder machen sich einen Spaß daraus, Erwachsene aus heiterem Himmel mit leeren Blechdosen zu bewerfen und als Mistkerl zu beschimpfen.

Azuma ist an einem Punkt angelangt, an dem er im Grunde keine andere Option mehr hat, außer zur Schusswaffe zu greifen. An dem er begriffen zu haben scheint, das mit Gewalt alles besser gehen würde. Aber nicht als Gewaltverherrlichung missverstehen, sonst gibt’s Dresche! Denn am Ende schildert Kitano, ebenso zynisch wie beiläufig die "Lösung", die alle mit ihrer Gewaltbesessenheit erreicht haben: Sie sind tot...

Der wohl zynischste „Witz“ ist das Ende, mit dem Kitano dem Zuschauer in die Fresse haut: Ausgerechnet der asoziale Yakuza profiliert sich als der einzige Vernünftige und erhebt sich über die anderen, über Azuma und dessen Schwester und sogar über seine Yakuzakollgen („Sie sind alle verrückt!“). Und ausgerechnet der junge Lehrling von Azuma, der zunächst als unerfahrener, aber treuer Polizist geschildert wurde, entpuppt sich als das neue loyale Bindeglied zwischen Polizei und Yakuza.

Vorhang, Applaus.

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