"You are excrement. You can change yourself into gold."
Der bildgewaltigste, hypnotischste und spirituellste Film, welchen ich je ertragen durfte. Ein Meilenstein des cineastischen Surrealismus und die unangefochtene Königin unter den Adelsgeschlechtern des Mitternachtskinos, einfach entwaffnend schön! Mein intensivster Augen-, Gedächtnis- und Sinnesgangbang, bisher, samt geplatztem Kondom
Ich hatte nach dem erstmaligen Konsumieren sofort den Zwang, ihn mir noch einmal zu Gemüte zu führen, mein Körper war nur noch zuckendes Fleisch angesichts eines so aufwühlenden Werkes. Ich entdeckte erneut eine Vielzahl an Faszinationspotential und auch neue Interpretationsansätze. Immer noch verfolgen mich die Bilder dieses suggestiven und epochalen Meilensteins bis ins tiefste Unterbewusstsein.
Was Alejandro Jodorowsky mit Montana Sacra erschuf, ist ein interpretationsgeschwängertes Stück Filmkunst, welches einem einen gefährlichen, beeindruckenden, erleuchtenden, zynischen, moralischen, gewalttätigen und psychedelischen Bilderrausch in die Augen knallt, der sich noch lange Zeit danach ins Hirn hineinätzt.
Es kursiert das Gerücht, dass Jodorowsky sich einen Monat vor Drehbeginn mit seinen Schauspielern in einem Haus einschloss und bewusstseinserweiternde Drogen konsumierte, um ein tieferes Verständnis für die filmische Materie zu bekommen. Wenn man sieht was für Bilder er inszeniert glaub ich diesen Gerüchten jedes Wort.
Im Weiteren Verlauf versuche ich meine eigene Interpretation niederzuschreiben, welche es dem einen oder anderen vielleicht einfacher macht, den Film zu interpretieren, ich würde mich auch über einen Austausch freuen.
Die Handlung lässt sich nicht so einfach herausfiltern, aber ist mit unmissverständlichen Religionszynismen ausgestattet. Trotzdem ist es ein spirituelles Werk, was auch eine Vielzahl an religiösen Einflüssen mit sich führt, es kann meiner Meinung nach als Abrechnung und als Huldigung des Glaubens verstanden werden.
Jodorowsky rechnet zuerst mit der Gesellschaftsgeilheit ab, in dem er Touristen zeigt, welche mit Reisebussen zu Exekutierungen gekarrt werden, wo sie nach der Erschießung von Andersdenkenden Fotos und Erinnerungsbilder von sich und den Leichen knipsen.
In dieser Anfangsszene wird die Religion, gerade die christliche, als gewalttätiges diktatorisches Regime gezeigt, welches mit aller Waffenmacht ihren Einfluss aufrecht erhält. Unterstrichen wird diese Botschaft von einem Modelltempel der Maya, welcher von Eidechsen bevölkert wird, die Federschmuck tragen, welcher ebenfalls an die traditionelle Kleidung der Maya erinnert. Dann fahren Modellschiffe mit dem Zeichen der Kreuzritter in die Mayastadt ein und aus ihnen hüpfen Ochsenfrösche, welche die christlichen Konquistadoren darstellen. Sie überrollen die Maya-Eidechsen und diese zerplatzen.
In dieser zeitlichen Epoche wird uns der Protagonist dargestellt, welcher einen Dieb spielt und nebenbei aussieht wie Jesus. Er kommt zu einem Alchemistenturm und beobachtet das dort an einem Haken ein Sack mit Wertgegenständen hinunter zur wartenden Masse gelassen wird. Kurzerhand springt er auf den haken und lässt sich auf den Turm ziehen. Dort vermutet er noch mehr Reichtümer, welche er stehlen möchte.
Oben angekommen muss er feststellen das dort nur der alte Alchemist sitzt, er scheint ihn schon zu erwarten und lehrt in, dass jeder Mensch mit Fleiß und Schweiß zu Reichtum kommen kann, ohne es stehlen zu müssen. Er lässt den Dieb in einen Topf koten und verwandelt die Fäkalien in Gold.
Er lässt den Dieb eine seelische und körperliche Reinigungszeremonie durchlaufen und schickt in dann zu den anderen schon wartenden sieben Personen. Sie alle verbindet die Sünde des Stehlens, doch alle bedienen sich unterschiedlicher Mittel und bestehlen die Menschheit auf einem sehr viel höheren Level, als der einfache Dieb, sie stehlen nicht nur Geld, sondern auch den Willen von anderen Menschen.
Der Eine benutzt die Versessenheit der Menschen schön zu sein und beutet sie so aus, gleichzeitig ist es auch eine Ironisierung des Schönheitswahns. Er verkauft Plastiktitten, Ärsche, Muskeln und das perfekte Gesicht.
Eine Andere hat es sich zur Aufgabe gemacht Gewalt hübsch verpackt zu verkaufen. So bietet sie Granatenhalsketten oder Gitarrenmaschinengewehre an, welche natürlich farblich voll im Trend liegen, aber trotzdem nicht ihren tödlichen Zweck erfüllen, also spielt Jodorowsky hier mit Gewaltverherrlichung.
Der nächste Herr ist Hersteller von Kommerzkunst und mit dieser Manipuliert er die Kreativität der Menschen und beraubt sie so ihres Geldes und ihrer Individualität, da die Kunst als Massenobjekt verschleudert wird.
Des Weiteren betreibt eine Frau eine Firma welche Kinder erzieht, eine bestimmte Nation, je nach Buchung, schon von Anfang an als Hassobjekt wahrzunehmen, um später einmal loyale und psychisch starke Kämpfer zu haben, das Kind als Waffe und Geldscheißer.
Oder der Finanzminister der über Leichen geht, um für die Regierung, aber vor allem für die eigene Schwarzgeldkasse, möglichst viel Geld zu erwirtschaften. Dies führt er mit Massenerschießungen durch, indem er Arbeitslose, Arbeitsunwillige und Arbeitsunfähige an die Wand stellt.
Diese und zwei weitere Arten des Diebstahls werden hier vorgestellt, bevor der Alchimist die acht Diebe an einen Tisch bittet und ihnen erklärt, dass all dieses Geld sie nicht unsterblich werden lässt. Erst wenn sie sich frei machen würden von ihren materiellen Werten, könnten sie geistig auf eine höhere unsterbliche Ebene gelangen, also verbrennen alle ihr Geld und sind rein.
Anschließend erwartet der Alchimist von seinen Schülern, dass sie Puppen verbrenne, welche aussehen wie sie. Diese Puppen symbolisieren den Egoismus, der abgelegt werden muss, denn sie sollen zu einem gemeinsamen Wesen werden und nicht aus eigenen Interessen handeln.
Dann beschreitet der alte Alchimist mit seinen acht Schülern den Weg zu einer Insel, auf der der heilige Berg vermutet wird.
Als sie auf der Insel ankommen, treffen auf unterschiedliche Verlockungen, welche sie von ihrem Ziel abhalten wollen.
Je höher sie dem Gipfel kommen, desto größer werden die Qualen, welche jeden Einzelnen geistig heimsuchten.
Fast oben angekommen, wird der Dieb in Jesusgestalt vom Alchimisten wieder hinunter geschickt, da der Gruppe die ganze Zeit die Prostituierte vom Anfang gefolgt war und auch sie die ganzen Prüfungen bestand, weil wahrscheinlich ihre Liebe zu dem Dieb vom Anfang, sie alle schweren Hürden meistern ließ. Und so schenkte der Alchimist dem jesusähnlichen Dieb und der Prostituierten seinen Turm und ließ sie den Abstieg vollziehen.
Was auf dem Gipfel dann geschah, lasse ich jetzt mal offen, aber das Ende ist eigentlich das verblüfferste und genialste, was ich im surrealistischen Bereich bisher sehen dürfte, ein wahrer Meisterstreich des Jodorowsky!
Generell glänzt der Film mit seinen bildgewaltigen Einstellungen, welche ihresgleichen im Kino suchen. Zum Beispiel die Szene, in der aus dem Herzen der Erschossenen Vögel geflogen kommen, die den Geist darstellen. Oder die ganze Farbenpracht im Alchimistenturm. Und auch alle Gewaltdarstellungen wirken so künstlerisch, surrealistisch und ästhetisch, dass es mir die Sprache verschlug.
Die musikalische Unterlegung fasste auch hier den Glauben als Thema auf, so hört man orientalische Klänge genauso wie tibetanisch-buddhistische Gebetsgesänge, gepaart mit elektronischem Sound und europäischer Folklore.
Und somit beende ich den anstrengendsten Kommentar, den ich bisher verfasst habe, hoffe er wird überhaupt bis zu Letzt gelesen. Jeder sollte sich bewusst sein, was er sich da einverleibt, wenn er sich diese schwere Kost filmisch zuführt.