Die Kathedrale des Mafia-Kinos
Freundschaft und Verrat unter Männern, die sich nicht an die Spielregeln halten und deshalb im oft beschworenen und ebenso oft verurteilten american way of life aufsteigen und fallen, der eine früher, der andere 35 Jahre später, ist in der Tat nichts inhaltlich bewegendes mehr und sicherlich auch schon unzählige Male in den verschiedenen Schwarz-Weiß- und Technicolor-Variationen erlebt. Das wußte natürlich auch Sergio Leone als er sich vor mehr als 34 Jahren daranmachte, den Film "Es war einmal in Amerika", seinen letzten großen Traum, zu verwirklichen.
Und er war sich sicher, daß er Mittel und Möglichkeiten wußte, wie so eine bekannte Story über den privaten Background hinaus zu realisieren ist: mit den auch heute immer noch verwegenen geheimnisumwitterten Mythen Amerikas - seiner Haß-Liebe - ebenso zu spielen wie mit diesen neuen-alten, ewig jungen, starken Figuren des Unterhaltungskinos, fabelhaft und doch realitätsnah. Doch dazu bedurfte es außergewöhnlich umfangreicher, sehr mühevoller und vor allem (und das ist im heutigen Filmgeschäft fast tödlich) zeitintensiver Vorbereitungsarbeit.
Die begann mit der hartnäckigen Auseinandersetzung um die bereits vergebenen Rechte an einem Roman, der autobiographisch gefärbten Gangster-Story eines Harry Gray ("The Hood"), von dem heute so gut wie nichts mehr übriggeblieben ist und der deshalb auch im Vor- und Nachspann nicht erwähnt wird; über das Finden von geeigneten Drehbuchautoren (genannt werden, mit Leone selber, sechs - nachdem sogar Norman Mailer im Gespräch war), deren Endfassung schließlich runde vierhundert Seiten betragen sollte.
Produzenten waren aufzutreiben, die bereit waren, das finanzielle Risiko für diesen ausufernden, filmischen Kraftakt einzugehen, und die Schauspieler für die insgesamt 110 Sprechrollen zu suchen. 500 Kandidaten wurden getestet, nach sechs Monaten stand endlich die Besetzung fest. Natürlich mußten erst auch geeignete Drehorte gefunden werden, die schließlich Montreal, New York und Cinecitta (Rom) hießen.
Nach achtmonatiger (!) Drehzeit lag dann dem Regisseur das Material für einen zehnstündigen Film vor. Die erste Schnittfassung ergab sechs Stunden Film, und Leone wollte daraus einen Zweiteiler fertigen. Die Produktion lehnte ab, worauf der Regisseur schließlich eine von ihm ausdrücklich autorisierte Endfassung von 3 Stunden und 47 Minuten schuf. In Amerika (wo sonst ?) allerdings war das dem Verleih zu lang, außerdem mäkelte er an den "unverständlichen" zeitlichen Verschachtelungen und Sprüngen des Films herum und schnitt diesen für die amerikanischen Kinogänger auf "Normallänge". Leone's Statement damals: "Ich möchte damit nichts zu tun haben, das Ganze ist absurd".
Zu Beginn von diesem Epos geht es alles andere als märchenhaft zu. Leone machte dort weiter, wo er in seinem Film vorher ("Todesmelodie") aufhörte - mit der totalen Gewalt. Mit einem der brutalsten, härtesten Einstiege in einem Film überhaupt, beginnt das Puzzlespiel um alle nur denkbaren erhabenen Gefühle: Liebe, Sex, Abenteuerlust, Gewalt wie gesagt, aber auch Zärtlichkeit, Kindheit und vor allem - Freunschaft. Die erste Stunde dieser langen , wunderbaren Kino-Reise ist ein einziges Verwirrspiel mit Zeit, Raum und Personen.
Schauplatz der Handlung ist zunächst New Yorks jüdisches Einwandererviertel der Lower East Side zur Zeit der Prohibition. Es geht um zwei Figuren: Die Gangster Noodles (Robert De Niro) und Max (James Wood). Sie werden Freunde, und Freundschaft ist Ehrensache. Aber Freundschaft ist plötzlich auch Verrat, Bruderschaft wie Kain und Abel, Zerstörung des Lebens. Wahrheit und Lüge, Erinnerungen und Gegenwart purzeln immer wieder durcheinander und ergeben 45 Jahre später das Bild eines grausamen Schicksals.
Der Abschied von diesem Film ist wie der von einem guten Freund. Noodles (De Niro) liegt auf der Pritsche in der chinesischen Opium-Arena und nuckelt genüßlich an seinem Pfeifchen, hebt nochmal den Kopf, bevor er wegtaucht, und blickt uns dann direkt, unverschämt-frech grinsend an. So als ob er sagen will: "Das war's Leute, das war nocheinmal schönes, großes, altes richtiges Kino. Hoffentlich habt ihrs auch genossen". - Sozusagen Leones Vermächtnis.
Fazit: Der Vergleich zum "Paten" drängt sich unweigerlich auf. Leones Epos gefällt durch eine sehr komplexe Geschichte mit emotionaler Tiefe und sehr viel Möglichkeiten zur Interpretation. Allerdings vermisst man zum Coppola-Vergleich die Originalität und vereinfachten Kompositionen. Verschachtelte Erzählstrukturen gefallen nicht allen. Trotzdem hat sich das Werk schon längst einen Platz in Filmolymp verdient.