Der größte Haufen Kitsch der Filmgeschichte
Steven Spielberg, der Hollywood wieder zu der Traumfabrik gemacht hat, die sie einmal gewesen ist, hat mit seinen Filmen fast alle Genres bedient. Ob Thriller-, Abenteuer-, Action- oder Gruselfilm - Spielberg ließ die Kassen klingeln. Er brachte die größte Ansammlung von Zuschauern für ein und denselben Film vor die Leinwand. Er ließ die größte Summe von Dollars in den Kinokassen klingeln. Und er machte die fettesten Gewinne der Filmgeschichte. In diesem Film ist Spielberg wieder ein Rekord gelungen: den größten Haufen Kitsch anzuhäufen, der jemals das Publikum unter sich begraben hat.
Ich gestehe, auch mir standen die Tränen in den Augen, als sich eine wahre Orgie an Happy-Ends über jener schwarzen Miss Celie (Whoopi Goldberg) zusammenbraute, die vorher eine Leben lang im Dauerfeuer schwerster Schicksalsschläge fast zu Boden ging. Aber ich nehme es Spielberg übel, daß er mit meinen Gefühlen spielt, als hätte er sie auf die Filmdauer von zweidreiviertel Stunden gemietet.
Was er uns da als pralles Leben eine armen Negerwaise vorgaukeln will, sieht zwar aus wie Wirklichkeit, hat aber mit Realität soviel zu tun wie ein Ringelspielauto mit der Straßenverkehrsordnung. Gegen die größte Gefühlsfalle seit dem Südstaatenepos "Vom Winde verweht" - offensichtlich ein Spielberg-Vorbild - ist man chancenlos. Spielberg ist kein Klischee zu simpel, kein Effekt zu billig. Hauptsache, der Zuschauer funktioniert ... und das tut er.
Für elf Oscars war die Verfilmung des Pulitzerpreis tragenden Negerfamilienmelodrams der afroamerikanischen Autorin Alice Walker nominiert. Einen verdient hätte jedenfalls die fabelhafte Whoopie Goldberg als Emanzipationsbeispiel in Schwarz, die vom jungen Mädchen bis zur bejahrten Matrone einem ganzen Leben ihr faszinierendes Gesicht gibt. Aber nichts. Nicht einer. Vor allem kein Oscar für Spielberg. Wenigstens das kostet mich keine Träne.
Dabei hat Spielberg ja viel vorgehabt, das Regie-As. Er wollte einen Film drehen, der von Inzest, lesbischer Liebe, sexueller Gewalt und dem Überlebenswillen einer schwarzen Frau zu Anfang dieses Jahrhunderts erzählt. Er wollte einen Film inszenieren, der ihm eine Charakterstudie abverlangte. Einen Film in dem die Figuren eine Geschichte diktierten, die sein Publikum vielleicht enttäuschen würde. Mit diesem Film könnte er seine eigenen Grenzen und Ängste konfrontieren, und er brächte ihm vielleicht den Oscar, nach dem er schon seit Jahren schielte.
Zuerst versuchte sich die Autorin Alice Walker an einer Drehbuchfassung, doch Steven Spielberg beschloß später, den jungen Holländer Menno Meyjes dran zu setzen. Innerhalb von vier Monaten entstand in enger Zusammenarbeit mit Spielberg das Drehbuch zu "Die Farbe Lila". Im Herbst 1985 begann Steven Spielberg mit seinem Kameramann Allen Daviau, der auch "E.T." fotografierte, im Süden Amerikas mit einer ausschließlich schwarzen Besetzung zu drehen.
Überraschenderweise fehlen die für Spielberg kennzeichnenden "special effects". An ihre Stelle treten wohlkalkulierte Effekte anderer Art: Gefühl bis hin zur Schwärmerei und Sentimentalität. Der Regisseur weiß, wie man das Publikum zu Tränen rührt. Dazu trägt auch die Musik bei, die den Zuschauer streckenweise beinahe nicht zur Besinnung kommen läßt.
Fazit: Spielbergsches Überwältigungskino für die Tränendrüse mit Whoopie Goldberg in ihrer ersten Filmrolle. Wer kitschige Melodramen wie "Die Dornvögel", "Fackeln im Sturm" oder "Onkel Tom's Hütte" mag, liegt hier genau richtig. Reichlich Taschentücher bereit halten.