Vorneweg: Ich habe in meinem Leben vielleicht einmal Schach gespielt, beherrsche keinerlei Regeln und interessier(t)e mich auch sonst nicht großartig für dieses Brettspiel, das derweil sogar als Sport klassifiziert ist.
Den Zuschaer mit einer Thematik zu fesseln, für die er in keinster Weise sensibilisiert ist oder an der er auch nur einen Hauch von Interesse zeigt, ist große Kunst; erfordert Feingefühl, das richtige Maß an Spannungsaufbau und vor allem Charaktere, denen es gelingt, mit jeder noch so kleinen Handlung Authenzität zu versprühen.
Scott Frank ist mit seiner Netflix-Miniserie ein Meisterwerk gelungen. Das hohe Aufgebot an talentierten Schauspielern, vorneweg Anya Taylor-Joy die wohl zu den begnadetsten jungen Darstellerinnen unserer Zeit zählt, lockte mich dazu, die erste Folge zu sichten und was soll ich sagen? 7 Folgen später und ich möchte mir ein Schachbrett kaufen, das Buch lesen und am liebsten noch einmal komplett in die Welt der selbstzerstörerischen Elizabeth Harmon eintauchen.
"Das Damengambit" funktioniert wohl deshalb so gut, weil es sich nicht als pure Darstellung von hoch komplexen trockenen Schachpartien versteht, sondern weil es sich als Schach-Charakter-Drama über 7 Folgen hinweg so gut verkaufen kann, dass man nicht anders kann, als gebannt vor dem Fernseher zu sitzen. Die Kostüme sind großartig, der Soundtrack absolut passend und ebenfalls famos komponiert, sodass sich jede Partie nicht nur visuell, sondern auch auditiv großartig anfühlt. Schach ist für Elizabeth Harmon anfangs purer Eskapismus, der sich aber zu einem wahren persönlichen Heiligtum entwickelt, für das sie nicht nur Energie, zwischenmenschliche Beziehungen und ihre Gesundheit opfern würde. Ein Spiel, das in Russland seinen Ursprung fand und als patriarchalisches Gut aufgestellt ist und über sieben Folgen hinweg seine neue weibliche Meisterin findet, die in ihren Zügen feministisch, aber auch viel zu egozentrisch handelt, um wirklich als Vorreiterin einer internen Revolution zu fungieren. Doch das tut sie. Die Männer um Elizabeth Harmon herum sind Mittel zum Zweck - nicht immer, aber oft - ihre Alkoholsucht kann nicht von dem Süßholzgeraspel eines ehemaligen Gegners geheilt werden, der sie als Projekt oder sich selbst als weißen Ritter sieht, um die Jungfrau in Drogen-Nöten zu retten - Harmon handelt so autark wie auch stur, selbst wenn es sie dabei gegen die Wand fährt. Eine gegeißelte (Ex)-Waise der Gesellschaft, die auf ihre Weise alles in ihrer Macht stehende tut, um Stigmata zu brechen und die Allgemeinheit zu überraschen.
Anya Taylor-Joy beweist hier wunderbar mit jeder Minute, was für ein Talent in ihr schlummert, das sie mit großer Lust am Schauspiel nach außen kehrt und so sympathisch unsympathisch auftritt, dass man nach nur wenigen Folgen nicht nur der Partie willen mit ihr mitfiebert, sondern auch ihrer selbstwillen. Auch Thomas Brodie-Sangster oder Harry Melling haben sichtlich Spaß an ihren facettenreichen Rollen und den Dialogen, die das Gespür für gute Erzählweise versprühen. Visuell ebenfalls eine Augenweide durch gute Kamerafahrten, eindrucksvolle Einstellungen und Nahaufnamen, die den Puls vor Spannung höhertreiben lassen. Hier stimmt alles.
Das Damengambit ist eine absolut runde Miniserie, die ich mit vollster Überzeugung jedem ans Herz legen möchte. Spannung in jeder Figur.
- 0.5 Punkte, weil es eine Folge gab, die sich für mich nicht ganz rund angefühlt hat.