7.2

MB-Kritik

Yallah! Underground 2015

Music, Documentary, News – USA, UK, Germany, Canada, Czech Republic, Egypt

7.2

Zeid Hamdan

Inhalt

Yallah! Underground folgt einigen der einflussreichsten und progressivsten Künstler der heutigen arabischen Underground-Kultur von 2009 bis 2013 (vor, während und nach dem Arabischen Frühling), und dokumentiert ihre Arbeiten, Hoffnungen und Ängste in einer Zeit grosser Veränderungen innerhalb der arabischen Welt.Im Mittleren Osten, einer Region voller Spannungen, kämpfen junge arabische Künstler seit Jahren darum, sich frei ausdrücken zu können und liberale Ansichten innerhalb ihrer Gesellschaften zu vertreten.Während des Arabischen Frühlings hatten lokale Künstler, ebenso wie viele andere dieser jungen arabischen Generation, grosse Erwartungen an die Zukunft und nahmen aktiv an den Protesten teil. Doch nach Jahren der Unruhen und Instabilität sind sie nun sowohl mit alten als auch neuen Problemen konfrontiert, zerrissen zwischen Gefühlen der Enttäuschung und einer vagen Hoffnung an eine bessere Zukunft.

Kritik

Wer erinnert sich nicht an den Beginn des Arabischen Frühlings, als zehn der 15 Minuten der Tagesschau verschiedenen Ereignissen in verschiedenen Städten und Ländern im Mittleren Osten gewidmet wurden, die jedoch alle ein gemeinsames Ziel verfolgten: Den Luxus der Wahl. Die Menschen möchten selbst wählen dürfen, was sie anziehen, was sie mögen oder nicht mögen, welche Künstler sie gut finden und welche Musik sie hören. Um diese Musik geht es in dieser Dokumentation von Farid Eslam („Istanbul United“), der sich verschiedenen Untergrund-Musikern aus dem Libanon, Ägypten, Israel, Palästina und Jordanien widmet. Musiker, die sich den Mund nicht verbieten lassen wollen, die Missstände nicht totschweigen sondern aufzeigen und ihren Unmut mittels Klang und Wort in die weite Welt herauslassen. Was ansteckender als jeder Virus sei, fragt Leonardo DiCaprio in „Inception“ - ein Gedanke. Dieses Prinzip nutzen die Künstler mit ihrem Output. Sie wollen andere Menschen erreichen und den verkrusteten Status Quo in den Köpfen der Gesellschaft aufbrechen.

Der erste Teil der Dokumentation steht ganz im Zeichen der Musiker, die hier zu Wort kommen. Eslam nimmt sich viel Zeit, um uns die Menschen näher zu bringen, schafft in dieser Zeit aber auch eine enorme Intimität. Der Zuschauer ist fast schon auf einer persönlichen Ebene mit den Menschen, die sich als Politiker, als Aktivisten, als Kämpfer ansehen - mit der Kunst als Waffe. Sie kämpfen und ihr Ziel lässt sich bescheiden als persönliche Freiheit deklarieren, doch es ist so viel mehr. Es ist eigentlich die Veränderung ihrer Welt. Die Unterdrückung von ganzen Musik-Genres, wie Rock oder Rap, was sofort als „Teufelszeug“ bezeichnet wird, ist nicht nur das willentliche Verbieten einer Meinung, sondern eines Lebens. Wenn alle gleich sein müssen, dann sei das kein Leben, sagt eine Sängerin gegen Ende. Sie klingt müde, aber nicht minder bestimmt. Die Musiker widmen ihr Leben einem Zweck und leben ohne Sicherheiten. Opfer, die sie bringen. Nicht gerne oder ungerne, sondern einfach, weil es eine Notwendigkeit ist.

Ab der Hälfte der Dokumentation eskaliert die Situation in den arabischen Ländern und die Musiker ziehen wie ihre Mitmenschen aus dem Schattendasein an die Öffentlichkeit und protestieren, brüllen, verlautbaren ihre Meinung. Sie leben in einer fremden Heimat und haben genug. Die Schizophrenie der Gesellschaft muss sich auflösen und in Individualität münden, in der man sich vereinen kann. Bis dahin hat sich der Klassenkampf von Schlachtfeldern ferngehalten und wurde von den Musikern über die vierte Dimension geführt: die Dimension der reinen emotionalen Energie, die nur die Musik entstehen lassen kann. Aber nun gibt es Schlachtfelder, der Krieg wurde vom mentalen zum körperlichen. Die Zeit der (medialen) Aufklärung ist da. Das Abschütteln der knochigen und führenden Hand von der eigenen Schultern wird gefordert. Es ist interessant, diese spannende Zeit aus der Sicht der Betroffenen mitzubekommen und die Interviewten erwähnen Sätze, die so zitierwürdig wie allgemeingeltend sind.

Fazit

Farid Eslam gelingt mit „Yallah! Underground“ ein dokumentarisches Rundum-Paket. Sicherlich ist es seine Intention, Aufmerksamkeit zu generieren und Wissen zu verbreiten und das gelingt ihm auch auf allen erdenklichen Ebenen. Die wahre Stärke des Filmes jedoch findet man nicht in der intellektuellen Ebene, sondern in der emotionalen. Von Anfang an besteht eine tiefe Verbundenheit zwischen Zuschauer und den gezeigten Personen, die durch die Liebe zur Kunst und Musik ein untrennbares Seil hat. Ein kurzes und knackiges Werk voller kleinen und großen Wahrheiten, Sehnsüchten, Träumen und Zielen. Blicköffnend und zutiefst inspirierend.

Autor: Levin Günther
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