Als James Cameron 1991 mit Terminator 2 - Tag der Abrechnung in die Kinos stürmte, entfachte der Film nicht nur Begeisterungsstürme, sondern auch eine hitzige Debatte: Darf ein Blockbuster 100 Millionen US-Dollar kosten? Was damals wie eine schwindelerregende Summe wirkte, scheint heute fast bescheiden. Im Zeitalter der Superhelden-Franchises haben sich Budgets vervielfacht – oft ohne dass der Wert dieser Investitionen auf der Leinwand sichtbar wäre. Doch genau hier setzt Wicked an und liefert eine opulente Antwort auf die Frage, wie sich Geld in künstlerische Vision umwandeln lässt.
Mit einem Produktionsbudget von 350 Millionen US-Dollar, das zwei Filme abdeckt, steht Wicked exemplarisch für die finanzielle Eskalation im heutigen Hollywood. Diese Summe mag horrend klingen, doch sie wird auf der Leinwand sichtbar: Die aufwendigen Sets strotzen vor Detailreichtum und laden dazu ein, jedes Bild akribisch zu studieren. Regisseur Jon M. Chu, bekannt unter anderem für Crazy Rich und G.I. Joe 3D: Die Abrechnung (!), erweckt eine märchenhafte Welt, die sich irgendwo zwischen bombastischem Glanz und ehrlicher Handwerkskunst verortet. Die Welt von Oz strahlt, funkelt und verführt – und doch bleibt sie greifbar, fernab der oft seelenlosen Digitalästhetik vieler Blockbuster.
Das Prequel zum Technicolor-Wunder Der Zauberer von Oz (1939) ist ein visuelles Fest, das keine halben Sachen macht. Die Pracht des Settings und die opulente Ausstattung füllen die Leinwand und gelegentlich auch die Geduld der Zuschauenden bis an die Grenzen. Ob die imposanten Kulissen oder die überbordenden Musicalnummern: Hier wird nicht gekleckert, sondern geklotzt. Doch diese Überwältigung hat ihren Preis. Die Geschichte, die in 160 Minuten ausgebreitet wird, bleibt trotz aller Schauwerte ein eher einfacher moralischer Fabelkosmos. Es fehlt an erzählerischer Tiefe und echten Überraschungen. Die Figuren sind archetypisch, ihre Konflikte vorhersehbar – was allerdings durch die Darsteller*innen zumindest teilweise kompensiert wird.
Cynthia Erivo (Luther: The Fallen Sun), die bis auf den Oscar bereits alle nennenswerten Branchen-Preise der USA in der Vitrine stehen hat, als grüne Elphaba und Popstar Ariana Grande (Don't Look Up) als glitzernde Galinda tragen den Film. Während Erivo die komplexeren emotionalen Facetten ihrer Rolle auslotet, bleibt Grande vor allem als Entertainment-Paket überzeugend. Ihre Darstellung wirkt weniger schauspielerisch herausfordernd als perfekt auf ihre Bühnenpersona zugeschnitten – was in diesem Fall jedoch kein Manko ist. Die Chemie zwischen den beiden verleiht der Geschichte einen mitreißenden Kern, auch wenn man sich manchmal mehr Subtilität wünschen würde.
Die Songs von Wicked werden mit Leidenschaft und großem Aufwand inszeniert, doch nicht alle bleiben im Gedächtnis. Die musikalische Darbietung pendelt zwischen opulenter Pracht und gefälligem Standard. Fans des Musicals werden sich an der grandiosen Inszenierung erfreuen, doch Neueinsteiger könnten die Tiefe und den Einfallsreichtum vermissen, den andere Genrevertreter in den letzten Jahren gezeigt haben.
Inhaltlich bleibt der Film auf sicherem Terrain. Die politischen und gesellschaftlichen Subtexte des Stoffes werden mit grober Methodik verhandelt. Regisseur Chu setzt ganz klar auf eingängige Botschaften, die leicht verdaulich sowie verständlich bleiben. Das ist weder mutig noch visionär, passt jedoch zu einer Produktion, die auf größtmögliche Zugänglichkeit setzt.
Wicked ist ein Paradebeispiel dafür, wie sich gigantische Budgets in spektakuläre Bilder und imposante Musikszenen übersetzen lassen. Es ist ein Film, der sich nicht durch narrative Raffinesse, sondern durch visuelle und akustische Reizüberflutung definiert. Für Fans des Musicals dürfte dies eine triumphale Adaption sein, während skeptischere Zuschauer den Kinosaal möglicherweise mit gemischten Gefühlen verlassen. Wer sich auf das Spektakel einlassen kann, wird reich belohnt. Wicked ist keine filmische Revolution, sondern ein perfekt kalkulierter Blockbuster, der sich mit seiner schillernden Pracht und der Hingabe an die Vorlage sehen lassen kann. Ein magisches Erlebnis für jene, die bereit sind, sich von der Schwerkraft der Kritik zu lösen und gerne zwei, drei Punkte auf das Fazit hinzu addieren können. In diesem Sinne: Defying Gravity.