Tansania: Die Jagd auf Albinos und der illegale Handel mit ihren Organen stellen bis heute eine verführerische Einnahmequelle für die verarmte Arbeiterklasse jenes Landes dar, in dem das durchschnittliche Pro-Kopf-Jahreseinkommen bei 442 Dollar liegt. In diesem Kontext erzählt Noaz Deshe mit seinem Spielfilmdebüt "White Shadow" die Geschichte von Alias, einem Albino-Jungen, der nach der Ermordung seines Vaters aus dem Dorf zu seinem Onkel Kosmos in die Stadt flüchtet. Für Kosmos, ein LKW-Fahrer, der versucht mit kleinen Geschäften über die Runden zu kommen, verkauft Alias auf den Straßen der Stadt Sonnenbrillen, DVDs und Handys. Dabei verliebt er sich zum Missfallen seines Onkels in dessen Tochter Antoinette. Alias muss nun lernen, dass Überleben für ihn mehr bedeutet als Essen und ein Dach über dem Kopf zu haben.
Kritik
Albinos kommt im Film meistens keine sonderlich gute Rolle zu. Silas in Da Vinci Code oder die Zwillinge in Matrix Reloaded sind nicht nur böse, sondern sie umgibt auch etwas Geheimnisvolles. Doch während westlich geprägte Filme sich mit der teilweisen Mystifizierung und der Platzierung in der Schurkenrolle zufriedengeben, sieht es für Albinos in anderen Teilen der Welt sehr, sehr bitter aus. White Shadow erzählt die Geschichte eines Albinojungen in Tansania. Dort werden Albinos gejagt. Ihren Körperteilen werden magische Kräfte zugesprochen, sie sollen Krankheiten heilen und Glück bringen. Auf Friedhöfen werden Albinogräber mit Zement abgedichtet, um Grabräuber fernzuhalten. Eine exakte Anzahl an Todesopfern ist nicht bekannt, denn die wenigsten Albinos können es wagen, in der Öffentlichkeit zu leben. So merkt niemand, wenn sie verschwinden. Und viele werden von ihren Eltern bereits kurz nach der Geburt getötet. Ein ernstes und bedrückendes Thema also, dem Regisseur Noaz Deshe sich bereits 2013 angenommen hat.
Das einzige, was man White Shadow vorwerfen könnte, ist die etwas zu lange Laufzeit. Zwischenzeitlich geht ein wenig die Luft aus und als Zuschauer bekommt man Gelegenheit, einmal tief durchzuatmen. Das ist angesichts der Thematik aber auch durchaus notwendig, denn White Shadow zeigt sich alles andere als zimperlich. Häufig wirken die gezeigten Dinge weniger wie ein Spielfilm, sondern tatsächlich wie eine Dokumentation, und die Grenzen zwischen Realität und Drehbuch verschwimmen. Als absoluter Glücksgriff entpuppt sich Hamisi Bazili als Alias, dem das Schauspieltalent in die Wiege gelegt scheint. Die ewige Flucht, die Unsicherheit und Angst, all das spiegelt sich in seiner nuancierten Mimik wieder. Und auch die kleinen Momente voller Glück, die der Film ihm zwischenzeitlich gönnt, meistert er beispielhaft.
So wechselt der ganze Film dann auch zwischen diesen beiden Polen. Sepiafarbene Glücksmomente werden immer seltener, wirken bisweilen gänzlich unwirklich. Die bittere Realität präsentiert sich als Alptraum, aus dem nur schwer entkommen werden kann. Hier kann Regisseur Noaz Deshe gar nicht genug gelobt werden, denn sein Film schafft es, niemals in Richtung Exploitation oder Mystifizierung zu kippen. Er bleibt bei seinem Thema und geht damit so nüchtern und sachlich um, wie es nur möglich ist. Das bedeutet nicht, dass es nicht zwischenzeitlich grafisch wird. Besonders der Angriff auf Alias‘ Vater zu Beginn schafft es in seiner Brutalität und eindringlichen Inszenierung durchaus, den Zuschauer gleich zu Beginn zu paralysieren. Im Verlauf verschwimmt dann die Struktur der Geschichte und zeitliche Abläufe sind oft nicht mehr klar zu ordnen. Doch der Gesamteindruck bleibt zielgerichtet, und durch jede Form der (gewollten) narrativen Unsicherheit scheint Hamisi Bazili mit seiner eindringlichen Darstellung als Ankerpunkt. Ein beeindruckendes Erstlingswerk, dessen Sogkraft man sich hingeben sollte.
Fazit
Ein eindringliches und eindrucksvolles Erstlingswerk liefert Noaz Deshe mit "White Shadow" ab. Die Darsteller überzeugen in einer beklemmenden, eigenwillig inszenierten Geschichte zu einem Thema, dem nicht genug Aufmerksamkeit zuteil wird.
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