Die frühe Filmgeschichte zeichnete sich - vor allem Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, durch sogenannte primitive Filme aus. Hier wurde nicht erzählt, sondern nur gezeigt, wie etwa bei den Filmen der Gebrüder Lumière. Nach und nach jedoch wurden die Grenzen des Films als Medium erweitert, sodass alsbald erste Genre-Werke und große Epen entstanden. In Deutschland fand sich bald eine Zweiteilung der Filmlandschaft. Abseits von den Werken der legendären Filmemacher Fritz Lang, F.W. Murnau, Georg Wilhelm Pabst und wie sie alle heißen, entstanden vor allem viele Werke der Neuen Sachlichkeit, quasi als Gegenbewegung zum Deutschen Expressionismus. Während erstere sich mittels dokumentarische Bilder identifizierte, zeichnete sich Letzteres durch betont künstlich-verworrene Studiobauten, Lichtsetzungen, Kostüme und Maske aus.
Bei Von morgens bis mitternachts handelt es sich um die Kino-Adaption eines von Georg Kaiser verfassten Schauspiels. Karlheinz Martin, der Regisseur des Films, arbeitete hauptsächlich für das Theater, inszenierte dort auch bereits jenes Schauspiel und transformierte es nun auf das Film-Medium. Dabei ist mittlerweile bekannt, dass Martin den Film ohne Unterstützung der Studios mit Kollegen und Freunden quasi als Nebenjob inszenierte. Der Film gilt als ein herausstechendes Werk des Deutschen Expressionismus, da es durchaus radikaler mit den minimalisierten Mitteln arbeitet, als andere Vertreter der Gattung. Dies macht den Film nicht unbedingt zu einfacher Kost, aber zu interessanter Kost, die es schafft, eine Geschichte über kreative Bilder zu erzählen. Eine Kunst, die heutzutage weitestgehend verloren und ungewollt erscheint.
Auffällig ist dabei, dass der Film dennoch exemplarisch für folgende Werke wirkt - so, als wäre er ein fester Bestandteil der Filmgeschichte und die anschließende Zukunft eine logische Folge. Dass das nicht der Wahrheit entsprechen kann, beweist die Tatsache, dass der Film über eine kleine Pressevorführung in München nicht hinauskam. In Deutschland wurde der Film erst vierzig Jahre später erstmals im Kino gezeigt. Dennoch zeigt Von morgens bis mitternachts mit einem feingliedrigen und langen ausgestreckten Finger klar in die Richtung der Straßenfilme, die drei Jahre später entstehen sollten. Es existiert hier eine Kluft zwischen der Vorstellung des Protagonisten von der Freiheit da draußen und seiner Realität in den eigenen vier Wänden. Das Eigenheim, das von trister Monotonie und erdrückender Perspektivlosigkeit gezeichnet ist, es erwirkt bereits hier eine Sehnsucht, die den Kassierer dazu drängt, seine Familie zu verlassen und dem Abenteuer Großstadt zu folgen - mit dem Geld, das er aus dem Register seines Arbeitgebers entwendet hat.
Die expressiven Bauten der Bank, dort, wo die Geschichte zunächst beginnt, sie lassen die Institution des Geldes wie ein Casino, eine Spielbank wirken. Der Ort des Vertrauens vermittelt direkt eine Stimmung der Verlogenheit, der Verruchtheit. Das zentrale Thema des Films, die Gier, sie umklammert die Seele des Kassierers (der von der Expressionismus-Legende Ernst Deutsch, Der dritte Mann, gespielt wird). Gier nach Geld, Gier nach einer anderen Frau, Gier nach der Freiheit; die Motive verschieben sich munter - aber stets kausal gestaffelt. Und auch wenn der Kassierer in der Bettlerin den Tod sieht, ist es auch die Bettlerin, die die Brücke zum Leben außerhalb der vermaledeiten vier Wände schlägt. Genau dieses Motiv nutzt auch Karl Grune in seinem drei Jahre später entstandenen ersten Vertreter des Straßenfilms Die Straße.
Es ist eine frühe Form des Kinos und Karlheinz Martin ist kein ausufernder Virtuoso; viel mehr bemerkt man, dass er ein Mann des Theaters ist. Die Kamera bleibt stets frontal, variiert höchstens mal die Einstellungsgrößen, bleibt ansonsten statisch. Aufregend bleibt jedoch der Inhalt der Bilder. So arbeiten Martin und sein Kameramann, der legendäre Carl Hoffmann (Dr. Mabuse, der Spieler) stets mit zwei Nichtfarben. Grautöne gibt es eigentlich gar nicht. Die Nichtfarben Schwarz und Weiß, die die heile, geordnete Welt als Illusion entlarven. Eine Welt, die verrückt geworden ist, so verrückt, dass man sich die Frage stellt, weshalb nicht bereits alles implodiert ist. Auf dem Weg in die Großstadt, auf der Flucht vor der Justiz, verschwindet der Weg, den der Kassierer gekommen ist, irgendwo am Horizont in der Dunkelheit. Der Kassierer ist ein Mann, der sich unmögliche Möglichkeiten einräumt, der aus seinem Wesen ausbrechen möchte, der aber bemerkt, nachdem er sich die Haut vom Leibe reißt, dass das „Wesen“ viel tiefer drin haust. Ein Mann, wie aus einem Film Noir.