Ist die moderne Technologie eher Fluch oder Segen? Das haben sich die Menschen bereits seit vielen Jahrzehnten gefragt, schon zu den Zeiten, als der Fernseher noch zu einer innovativen Erfindung gehörte. Im dystopischen Roman von Ray Bradbury "Fahrenheit 451" aus dem Jahre 1953 wurden die Menschen dauerhaft durch Radio und Fernsehen beschallt und es galt als ein schlimmes Verbrechen, Bücher zu besitzen und zu lesen. Mit seinem Roman wollte Bradbury Kritik an dem Umgang mit Medien üben und vor der Gefahr des zügellosen Fernsehkonsums warnen. Auch im Thriller Unsichtbarer Angreifer wird Kritik an der unreflektierten Mediennutzung deutlich. Die moderne technikaffine Familie Turgut besitzt ein perfekt ausgestattetes Smarthome, indem alles durch das Wunder der Technik gesteuert wird: Die Rollos öffnen sich aufs Kommando, das Haus wird mit Kameras fernüberwacht und man kann sogar dem Paketboten von unterwegs die Haustür öffnen oder die Kaffeebestellung der Kaffeemaschine überlassen.
Außerdem hat man auch seinen eigenen Roboter, der sich um die wichtigen Belange der Familie kümmert und eine Uhr, die einen ständig daran erinnert, wie hoch der Puls ist oder wie viele Schritte man am Tag noch laufen muss. Leider gehört das Meiste von diesen Dingen keinesfalls mehr zu einer dystopischen Fantasie, sondern mittlerweile zum Alltag von so vielen Menschen, die wie Zombies auf ihre Smartwatches starren oder das Licht mit ihrer Stimme steuern und die smarte Kühlschränke besitzen, die potenziell die fehlenden Lebensmittel sogar nach Hause bestellen können. Im Moment ist es wohl nur eine Frage des Geldes, denn im Prinzip ist der Fortschritt nicht aufzuhalten und man kann sich mit so viel technischem Schnickschnack ausstatten, wie man nur will. Die große Preisfrage ist nur, ob man es auch muss, weil technischer Fortschritt auch Gefahren mit sich bringt und auf diese Gefahren macht der Thriller aufmerksam.
Unsichtbarer Angreifer hat eigentlich einen ganz klassischen Aufbau: Zuerst wird gezeigt, wie die Technik das Leben der Familie Turgut erleichtert und besser macht und, das nicht nur in dem privaten Lebensbereich, sondern auch bei der Arbeit. Emma Turgut (Emily Cox, Jerks) nutzt nämlich seit kurzem sogar eine Therapie-App, die den Umgang mit ihren Patienten erleichtert. Dann folgen die ersten Anzeichen, die Zweifel mit sich bringen, ob die Verwendung der modernen Technik wirklich in jeder Lebenssituation unbedingt die richtige Wahl ist. Vor allem, wenn man derart von der Technik abhängig ist, dass man keinen einzigen Schritt mehr ohne sie machen kann. Das Ganze wird hervorragend inszeniert, weil man hier und da Szenen einstreut, die sogar ein wenig an Final Destination erinnern und man stellt sich natürlich die Frage, ob Smarthome ganz im Still von 2001: Odyssee im Weltall ein gefährliches Eigenleben entwickelt so wie HAL 9000 oder hat sich da etwa jemand ins System gehackt? Das sind beides naheliegende Fragen und zwingende Kritikpunkte, wenn es um künstliche Intelligenz geht. Kann die Künstliche Intelligenz außer Kontrolle geraten oder kann sie durch Hacker ferngesteuert werden?
Zudem werden noch die Auswirkungen der Technik auf die Familie und insbesondere die Beziehung der beiden Eheleute (Emily Cox und Denis Moschitto, Schock) problematisiert. Wenn kein Gespräch mehr ohne die Begleitung der technischen Geräte funktioniert, ist es schon bedenklich und, wenn der eigene Sohn (Eren Güvercin, Eldorado - Alles, was die Nazis hassen) sich von den grenzwertigen Challenges auf den Social-Media-Kanälen mitreißen lässt, dann ist auch dieser Handlungsstrang relevant, um primär auf die Gefahr der Benutzung der modernen Medien durch Jugendliche aufmerksam zu machen. Im Grunde kreiert man hier Figuren, an denen man sämtliche Gefahren der modernen Technologien abarbeiten kann und es geschieht recht organisch. Man hat zumindest nie das Gefühl, dass irgendetwas an diesem Film zu konstruiert erscheint. Auch mit der Hauptdarstellerin Emily Cox hat man definitiv einen Volltreffer gelandet. Sie spielt überragend die Rolle einer von Schuldgefühlen geplagten Therapeutin. Ihr gefühlvolles Schauspiel trägt wesentlich zum Spannungsaufbau bei. Was an dem Film auch großartig funktioniert, ist die Kameraarbeit, die ihre eigene Sprache zu sprechen scheint. Wenn man allein durch das Filmen bei dem Zuschauer solche Assoziationen wie „Butter bei die Fische“ auslöst, ohne das Sprichwort laut auszusprechen, dann fühlt sich das ein wenig wie ein verstecktes Easter Egg an.
Als Kontrast für die technikbegeisterte Familie fügt man mit der Freundin Maria (Yodit Tarikwa) auch noch eine Figur ein, die überhaupt nichts mit der Technik anfangen kann und deswegen in der modernen Welt völlig verloren scheint. So wie eine Pro- und Contra-Liste stellt man diese Figuren gegenüber und lässt den Zuschauer im Endeffekt selbst entscheiden, was nun besser ist : ein Leben, das komplett von der Technik gesteuert wird oder ein Leben gänzlich ohne moderne Technologie. Die Beantwortung dieser Frage überlässt der Film dem Zuschauer, weil er diese Aufgabe nicht übernehmen will. Womöglich liegt die Antwort irgendwo dazwischen. Thematisch erinnert Unsichtbarer Angreifer sehr an den im Jahre 2021 erschienen Thriller Das Haus, doch Unsichtbarer Angreifer erzählt seine Geschichte deutlich eleganter und bei weitem glaubhafter. So weit wie die Technologie bereits fortgeschritten ist, erscheint gar nichts mehr an diesem Film irgendwie abwegig. Er warnt vor den Gefahren, die durch künstliche Intelligenz entstehen können, überlässt die Entscheidung über die Nutzung der modernen Technologie allerdings dem Zuschauer. Es wird nicht belehrend der Zeigefinder erhoben, sondern man wird nur zum Nachdenken angeregt. Cogito ergo sum. (Ich denke, also bin ich.)