Filme werben gerne damit, dass sie auf wahren Begebenheiten beruhen. Warum ein Film damit wirbt, dürfte klar sein. Das Zuschauerinteresse ist um einiges höher, wenn die Zuschauer glauben, dass ihnen vielleicht Ähnliches passieren könnte. Außerdem kann man Drehbuchautoren und Regisseuren eher verzeihen, wenn etwas unglaubwürdig wirkt oder wenn die Handlung zwischenzeitig sich zäh in die Länge zieht. Schließlich kann man ja nichts dafür, wenn es nun mal so passiert ist. Wie viel Wahrheit allerdings tatsächlich in die Handlung eingeflossen ist, lässt sich oft nicht beurteilen, es sei denn, man erhält vor dem Abspann noch ein paar Informationen über die zugrundeliegende Geschichte und wie es den echten Personen ergangen ist. Auch Tide - Gefahr aus der Tiefe weist gleich zu Beginn darauf hin, dass die Geschichte auf wahren Ereignissen beruht. Über weite Strecken kann man dem sicherlich Glauben schenken, doch gerade zum Ende hin wandelt der ursprünglich wie ein klassischer Survival-Thriller wirkende Film immer mehr auf den Pfaden des Mystery-Thrillers und versucht hierdurch Spannung zu erzeugen. Das gelingt eher nur bedingt und zerstört eigentlich sogar die Atmosphäre, die man zuvor mühsam aufgebaut hat.
Im Gegensatz zu vielen anderen Genrevertretern präsentiert Regisseur und Drehbuchautor Berty Cadilhac (Art Ache) hier keine Geschichte, bei der man gleich mit dem Kopf schüttelt, weil man ständig mit unlogischen Entscheidungen der Protagonisten konfrontiert wird. Tatsächlich ergibt hier vieles über weite Strecken einen Sinn und selbst die Motive der Figuren sind nachvollziehbar. Die Gefahrensituation baut sich Stück für Stück auf und als Zuschauer wartet man nun ab, wann der Überlebenskampf der vier befreundeten jungen Musiker beginnt. Schließlich weiß man genau, in welcher misslichen Lage sich Charlotte (Alice Sanders, How to Talk to Girls at Parties), Xavier (Edmund C. Short, Devil's Playground), Elliott (Benjamin McMahon, Roller Squad) und Olivia (Isabella Colby Browne, The Jack in the Box Rises) wiederfinden werden. Dass die Flut die größte Gefahr bei einer Watt-Wanderung ist, predigt dann auch der Guide (Kevin Sionneau), der die vier zusammen mit anderen Touristen durch das Watt zum Mont-Saint-Michel führt. Bis es so weit ist, werden die Figuren vorgestellt und erhalten nach und nach mehr Profil, sodass man später mit ihnen mitfiebert, wenn es um Leben und Tod geht bzw. gehen sollte. Geschickt werden dann noch Beziehungsprobleme und Traumata eingebaut, um den schönen Ausflug mit Zündstoff zu versehen, der dann zum unheilvollen Ende explodiert und der zugleich die nachfolgenden Aktionen der Protagonisten verständlich macht.
Was nun erstmal gut funktioniert, ändert sich im letzten Drittel immer mehr. Warum die Vier den Rückweg allein ohne Guide antreten ist noch gut erklärt, auch warum sie sich irgendwann den typischen Gepflogenheiten beugen und sich die Gruppe aufteilt. Selbst warum sie nicht einfach umkehren und auf der sicheren Insel übernachten, als die Flut rapide einsetzt und stattdessen den langen rund 7 km weiten Weg durch das Watt wählen, kann man vielleicht aus der Situation heraus verstehen. Doch man muss dem Film und vor allem Cadilhac als Regisseur und Drehbuchautor ankreiden, dass er nicht konsequent beim Survival-Thriller blieb. Vielleicht wäre das nicht besonders innovativ, aber ein solider Film wäre dabei allemal herausgekommen. Dass der Film dann jedoch mystisch wird, und die Gefahren übernatürlich, schadet dem Ganzen erheblich. Da hilft es überhaupt nicht, dass der Guide zuvor vor Fata Morgana und ähnlichen Wahnvorstellungen gewarnt hat, denn nicht nur die Protagonisten, sondern auch die Zuschauer verlieren hier einfach den Faden und können nicht mehr zwischen der vermeintlichen Realität und der Warnvorstellung unterscheiden und leider wird das bis zum Ende nicht aufgeklärt, weshalb man sich hier gerne den Rest zusammenreimen darf. Genauso rätselhaft bleibt die plötzliche Verhaltensänderung von Charlotte, die wirkt, als stünde sie unter dem Bann einer Hexe oder als sei sie extrem stoned. Zu guter Letzt vermasselt der Film zum Ende hin noch das eigentlich gute Szenenbild. Die Kulisse des Mont-Saint-Michel und die Wattlandschaft sehen spektakulär aus, doch als es dunkel wird und die Flut einsetzt, scheinen die Protagonisten nur noch im knietiefen Wasser einer größeren Pfütze zu strampeln, und dass, obwohl die Flut in der Bucht mit einem Tidenhub von 14 m rasend schnell steigt. Nur für die Protagonisten scheint die Flut irgendwann zu stoppen, was das ganze dann irgendwie ins Lächerliche zieht.