Mein Gott, was hauen die Koreaner in erschreckender Regelmäßigkeit für Brocken auf den internationalen Filmmarkt, die dann auch zu Recht mit hallenden Begeisterungsstürmen und tosenden Ovationen von allen Seiten geadelt werden. Qualitativ, gerade in Bezug auf die immense Quantität, ist das schon im höchsten Maße beeindruckend, vor allem, weil sich das koreanische Kino eben auch zu genüge an europäischen wie amerikanischen Produktionen orientiert, diese aber immer wieder in einem weitaus interessanteren Licht aufglühen lassen können und eine visuelle Akkuratesse aufweisen, die den Zuschauer in ihrer ausführlichen Sorgfalt bereits nach wenigen Minuten hypnotisiert. Nach seiner hervorragenden Abwärtsspirale „The Chaser“ beweist auch Regisseur Hong-jin Na, dass er in keinem Fall in die unrühmliche Sparte der One-Hit-Wonder gepresst werden sollte, sondern in Zukunft zu den ganz großen Gesichtern des asiatischen Kinos zählen wird – und früher oder später wahrscheinlich auch darüber hinaus, wenn ihm der gierige Fleischwolf der Traumfabrik nicht zu nah auf die Pelle rückt.
Zwar reicht sein episches Gangster-Drama „The Yellow Sea“ nicht ganz an den formidablen Kracher „The Chaser“ heran, hat sich aber dennoch in jedem Fall reichlich Applaus aus aller Herren Länder verdient. Das Problem, wenn man es so nennen mag, welches „The Yellow Sea“ begleitet, ist dass sich die Geschichte zu Beginn etwas zu viel Zeit nimmt, den Zuschauer zwar in die dreckige Existenz und Sozialsituation unseres geschundenen Protagonisten Gu-Nam einbindet, sich ab einem gewissen Punkt aber nicht mehr von der Stelle bewegt, während die Handlung im zweiten Abschnitt in Anbetracht der Charaktere, der verschiedenen Settings und der einzelnen Erzählstränge etwas zu undurchsichtig und verworren formuliert wurde. Schönheitsfehler, die zwar auffallen, aber die eigentliche Klasse von „The Yellow Sea“ letztlich keinen profunden, sondern nur temporären Schaden zufügen, denn wenn der Film die ersten 45 Minuten überstanden hat, gibt es kein Halten mehr und die Spannung wird ohne plakative Taschenspielertricks in ihr eigenes Chaos getrieben.
Besonders wichtig ist da der Aspekt, dass Hong-jin Na seinen Charakterfundus nie in die Sphären der Idealisierung laufen lässt und die Gangster und ihre Handlungen in irgendeiner Form als Helden einfängt. Der fokussierte Gu-Nam ist da nur ein perspektivloser Taxifahrer, der bis zum Hals in einem Berg von Schulden steckt und zum Töten gezwungen wird, wenn er seine eigene Familie nicht in tausend Stücken vorfinden möchte. Was „The Yellow Sea“ aus dieser, zugegeben, recht simplen Grundlage entfaltet, ist ein derart dreckiger Überlebenskampf, in dem Opportunismus und tiefschwarze Sühne in das Herz der Unterwelt führen und das globalisierte Asien nur noch gebrochene Opfer aus ihrem von billigem Sex, betäubenden Drogen und abartiger Gewalt gezeichneten Moloch entlässt. Interessant ist ebenfalls, dass sich Na dazu entschieden hat, keinen Wert auf Schusswechsel zu legen und die Charaktere hauptsächlich mit Äxten und Messern aufeinander jagt. Daraus entwickelt sich eine physische Intensität, die zeitweise ihresgleichen sucht, gerade die Hafenverfolgung macht da Chan-wook Parks „Oldboy“-Plansequenz alle Ehre.
Aber Na geht noch einen Schritt weiter und lässt nicht nur die Charaktere langsam zu Staub zerfallen, er zerreißt das gesamte organisierte Verbrechen in bester Takeshi Kitano-Manier und setzt gleichzeitig die konträren Syndikatgliederung von Yangian und Seoul gegenüber, in der ein schmuddeliger Niemand auf Anzug tragende Snobs trifft und beide Seiten schlussendlich realisieren müssen, dass sie sich kein Stück unterscheiden und in der Ausnahmesituation nur noch an von ihrem existenziellen Erhaltungstrieb gesteuert werden: „The Yellow Sea“ ist ein ungemein physischer Film, der seine (zwischen-)menschliche Verelendung in so ausgebleichte Bilder packt, dass auch der Zuschauer die Wärme der Sonnenstrahlen, das satte Grün der Wälder und die kunterbunte Farbvielfalt der sommerlichen Wiesen vergessen möchte. Unter seiner brutalen Schale befindet sich aber auch in „The Yellow Sea“ ein Familien-Drama, in dem ein ratloser Vater frontal gegen die Grenzen seiner maßlosen Verzweiflung prallt, nur um sich und seiner Familie noch etwas Hoffnung auf eine bessere Zeit bewahren zu wollen – Zu welchem Preis? Letztendlich gibt es hier für niemanden ein Entkommen.